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Dominik H. Enste, Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik
Dominik Enste im ZDF Interview 27. März 2020

Ethische Fragen in der Krise: „Immer nur zwei schlechte Entscheidungen”

95 Prozent der Deutschen tragen die Maßnahmen der Bundesregierung. Im Interview mit ZDFheute spricht IW-Wirtschaftsethiker Dominik Enste über kommende Entscheidungen.

In der Coronakrise hat sich die Politik für einen Shutdown entschieden, der massive ökonomische Folgen in Kauf nimmt. Geht Gesundheit immer vor?

Grundsätzlich geht die Gesundheit vor. Zurzeit sehen wir ja auch, dass alle Maßnahmen, die umgesetzt werden, vor allem dem Erhalt der Gesundheit dienen und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Auch die Milliardensummen, die jetzt ausgegeben werden im Bereich der Wirtschaft, dienen am Ende dem Zweck, möglichst viele Menschenleben zu erhalten und das ist im ersten Schritt auch durchaus sinnvoll und notwendig.

Und was ist im zweiten Schritt zu tun?

Es ist dringend erforderlich, dass sich jetzt möglichst viele Wissenschaftler zusammenfinden, die gemeinsam mit der Bundesregierung abwägen, wie lange wir diese Güteabwägung in dieser Richtung beibehalten können.
Wie vor allen Dingen ein geordneter Schritt aus den vielen Freiheitsbeschränkungen hinaus erfolgen kann. Es braucht Regeln, damit am Ende nicht Mediziner vor die Wahl gestellt sind, Entscheidungen alleine am Krankenbett treffen zu müssen. Damit aber auch Politiker nicht nur auf einzelne Wissenschaftler angewiesen sind, sondern dort ein breiter Konsens ist, wie aus dieser Situation in den nächsten Schritten dann weitergegangen werden muss.
Gefährlich wäre es, wenn man quasi diese schwierigen Fragen am Ende dann nur noch in einer populistischen Debatte stellen würde und die Antworten dann nicht differenziert ausfallen.

Inwieweit sind Kosten-Nutzen-Abwägungen überhaupt zulässig, wenn es um Menschenleben geht?

In unserer Verfassung ist es sehr eindeutig geregelt: die Würde des Menschen ist unantastbar. Und in Deutschland sind wir da in einer klaren Tradition von Immanuel Kant, der auch genau das sehr stark gemacht hat. Und genauso agiert die Politik zur Zeit auch. Wir kennen aus anderen Ländern, angelsächsischen Ländern, auch den sogenannten Utilitarismus.
Das heißt dort wird durchaus abgewogen, inwiefern man beispielsweise bestimmte Menschengruppen nur in Quarantäne schickt und für andere die Freiheit entsprechend weiter aufrecht erhält. Aber auch wo man, was auch in Italien zur Zeit zu beobachten ist, irgendwann sehr, sehr schreckliche Entscheidungen treffen muss, welches Menschenleben man rettet und welches nicht. Noch haben wir Zeit, dafür im Konsens Regeln zu finden, wie eine Abwägung stattfinden müssen.

Selbst wenn solche Abwägungsentscheidungen einer rechnerischen Vernunft gehorchen: Inwieweit sind sie politisch oder gesellschaftlich überhaupt durchsetzbar?

Das ist in der Tat die größte Herausforderung - wie man einen breiten Konsens schafft, wie man aus dieser Krise herausfindet, bei der man dann eben nicht in die Situation hineinkommt, dass man als Unmensch oder als sehr brutal wahrgenommen wird. Wenn man irgendwann sagt, bestimmte Maßnahmen lassen sich nicht mehr durchhalten, wir müssen die Menschen wieder zur Arbeit lassen.
Wichtig ist dabei, dass Ethiker, Virologen, Mediziner, Ökonomen, Politiker gemeinsam dort Entscheidungen treffen, die im Konsens vermittelt werden. Dass nicht einer der Buhmann ist und der dann nachher dafür an den Pranger gestellt wird.

 Kennt die Ethik Verfahren oder Kriterien für die Abwägung zwischen Übeln?

Dilemmata kennt die Ethik, das ist quasi der Beruf der Moral-Philosophen, dass sie genau mit solchen Dilemmata umgehen müssen und es gibt leider nicht das eine einfache Instrument, wie man auf solche Situationen reagieren kann. Es ist und bleibt ein Dilemma.
Da gibt es immer nur zwei schlechte Entscheidungen. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass wir hier eine gute Güterabwägung vornehmen, die auch der moralischen Intuition der Menschen nicht zu sehr widerspricht. Bei dem ersten Schritt wollen wir jedes Menschenleben retten. Jeder möchte, dass seine Eltern/Großeltern, wenn sie zur Risikogruppe gehören, geschützt und gerettet werden. Und dieser Intuition folgend tun wir ja auch alles was möglich ist. 
Zugleich werden immer drastischer die Folgen in der ökonomischen Realität deutlich, die klar machen, dass wir das nicht über Monate hinweg aushalten können, wie wir das zur Zeit mit dem Shut-Down haben.

Wenn Donald Trump warnt, ein schwerer Wirtschaftseinbruch könne mehr Leben kosten als die Pandemie – ist das nur "Trumpism" oder eine berechtigte Sorge?

Das ist genau meine Sorge, dass wir Populisten, wie Donald Trump, die nicht gerade durch "brillante" Abwägungen auffallen, diese Debatte überlassen.
Und natürlich denken verschiedenste Forscher, Wissenschaftler jetzt darüber nach, wie der Ausstieg aus dem Shut-Down funktionieren kann. Und dann wird zu entscheiden sein, genau über das, was wir jetzt beobachten: für wen gelten Freiheitseinschränkungen. Wie schaffen wir es, wenn der Impfstoff erst in einem Jahr kommt, trotzdem in diesem Jahr in irgendeiner Form Existenzen zu retten, Menschen zu retten, auch Menschenleben an anderer Stelle zu retten, die unter häuslicher Gewalt leiden, unter Depressionen oder Selbstmordgedanken, wenn Sie sich in Isolation befinden. Alles das muss diskutiert werden.
Dafür war im Notfall keine Zeit aber die nächsten zwei, drei Wochen bis nach Ostern, wie ja Spahn angekündigt hat, sollten genau dafür genutzt werden, um einen breiten Konsens zu finden, wie wir das bisher geschafft haben. 95 Prozent der Deutschen sind damit einverstanden und auf diesem Konsens muss man aufbauen, auch die Maßnahme schrittweise zu lockern.

Spielt jetzt eine Rolle, wer sich in dieser Debatte zu Wort meldet?

Das ist ein ganz wichtiger Faktor, den Sie gerade ansprechen. Wenn jetzt Ökonomen oder Wirtschaftsethiker darauf hinweisen, dass die Folgen der Pandemie und der Bekämpfung vor allen Dingen in den Blick genommen werden müssen, kann es sehr schnell passieren, dass man in die Ecke des Buhmanns geschoben wird. Oder, wenn Donald Trump bestimmte Äußerungen trifft oder Diktatoren in anderen Ländern in dieser Position vorpreschen, dann ist quasi das Gespräch über sinnvolle Maßnahmen unmöglich.
Und deshalb ist es sehr wichtig, frühzeitig in einen gemeinsamen Dialog einzusteigen und dabei mit Wissenschaftlern auch ganz offen die Konflikte anzusprechen, die nicht so leicht zu lösen sind – sei es die Güterabwägung zwischen Menschenleben und Freiheit, sei es aber auch die Abwägung welches Menschenleben, welche Bevölkerungsgruppe besonders schützenswert ist und dass wir auf Dauer die Gleichbehandlung aller Menschen, nicht ganz so weit aufrecht erhalten werden können in dieser Krisensituation. Das sagen auch immer mehr Wissenschaftler.

Welche Art von Debatte, welche Art von Abwägung wünschen Sie sich jetzt?

Zurzeit haben wir ja eine sehr klare Dominanz von Medizinern, Virologen usw. die das Meinungsbild bestimmen was in einer Krisensituation sehr relevant ist.
Aber Soziologen, Wirtschaftsethiker, Ökonomen und viele andere Wissenschaftler, die sich mit Gesellschaft beschäftigen auch Psychologen sollten auch von der Bundesregierung eingeladen werden um eben auch in diesen Krisengesprächen über den Ausstieg aus diesen Maßnahmen zu beraten. Und dann muss das natürlich die Bundesregierung entsprechend gemeinsam beschließen, und da hilft es wenig, wenn dann einzelne Politiker vorpreschen und versuchen sich darüber zu profilieren. Ich denke dafür sind die Entscheidung, die hier zu treffen, sind viel zu wichtig.

Zum Interview auf ZDF.de

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