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Christiane Flüter-Hoffmann im Staatsanzeiger Gastbeitrag 16. November 2022

Fluch oder Segen?: Homeoffice in der Verwaltung

Jetzt, wo es keine Homeoffice-Pflicht mehr gibt, wo wir aus dem Großversuch mit Experimentiercharakter alle sehr viel gelernt haben – wie kann das Homeoffice jetzt für uns alle zu einem Segen werden? Dieser Frage geht Christiane Flüter-Hoffmann in einem Gastbeitrag für den Staatsanzeiger nach.

Die Schuldige ist schnell gefunden: Die Pandemie war’s, sie hat uns alle ins Homeoffice gezwungen. Unsere Arbeitgeber:innen wollten uns damit schützen und die Infektionskurve abflachen. Wer immer Aufgaben hatte, die sich fürs Homeoffice eignen – und das sind in der Verwaltung sehr viele – musste sogar zeitweise ausschließlich von zuhause arbeiten. Aber wer dann nicht die richtige Technik-Ausstattung hatte, wer mit großer Familie in beengten Verhältnissen ohne Arbeitszimmer wohnt oder wer sich selbst nicht gut managen kann, für den wurde das Homeoffice bald zum Fluch. Doch jetzt, wo es keine Homeoffice-Pflicht mehr gibt, wo wir aus dem Großversuch mit Experimentiercharakter alle sehr viel gelernt haben – wie kann das Homeoffice jetzt für uns alle zu einem Segen werden?

Die PwC-Studie „Homeoffice in der Verwaltung“ fand 2020 in einer Online-Befragung von 1.200 Beschäftigten und 18 Interviews mit Führungskräften von Behörden auf Landes- und Kommunalebene heraus, dass während des ersten Lockdowns drei Viertel der Verwaltung (73 %) zumindest teilweise im Homeoffice war, aber unter teils schwierigen Bedingungen: Fast die Hälfte der Befragten (49 %) musste teilweise oder sogar ausschließlich private Technik nutzen, gut ein Drittel (35 %) berichtete über schlechtere Abläufe und etwa ein Viertel über Leistungsminderungen. Dennoch hat sich bei einer großen Mehrheit die Einstellung zum Homeoffice verbessert. Und mehr als die Hälfte der Befragten wünscht sich mehr Homeoffice, nämlich zwischen 54 Prozent (einfacher Dienst) bis 64 Prozent (höherer Dienst). Viele Führungskräfte sehen im Homeoffice einen wichtigen Attraktivitätsfaktor der öffentlichen Verwaltung als Arbeitgeberin für Nachwuchskräfte.

Für die Studie von Next:Public in Kooperation mit der Hertie School of Governance „Verwaltung in Krisenzeiten“ wurden 2.500 Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie 5.000 Bürgerinnen und Bürger befragt. Es zeigte sich, dass für die Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei denen Homeoffice grundsätzlich möglich ist, diese Arbeitsform sehr attraktiv ist: 92 Prozent wollen auch künftig im Homeoffice arbeiten. Nachdem die IT-Infrastruktur inzwischen verbessert worden sei, müssten jetzt aber noch die digitalen Prozesse folgen. Vielfach gibt es beispielsweise noch keine elektronische Aktenführung. Der erhoffte Digitalisierungsschub sei zu einem kleinen Digitalisierungsschubs verkümmert.

Wir sehen schon: Es gab (und gibt) zahlreiche Schwierigkeiten und Herausforderungen, die im Homeoffice und mit dem Homeoffice gemeistert werden mussten und immer noch müssen.

Die 7 größten (gelösten?) Probleme

Während der Pandemie gab es naturgemäß viele Probleme rund um die „erzwungene“ Arbeitsform des Homeoffice. Vor allem solche Verwaltungen, für die bis zu diesem Zeitpunkt die Telearbeit und das mobile Arbeiten noch gänzlich fremde Welten waren, konnten nicht so schnell umschalten, ohne gravierende Fehler zu machen.

  • Problem Cyberkriminalität: Allein im ersten Jahr des erzwungenen Homeoffice gab es einen Schaden von mehr als 52 Milliarden Euro in Deutschland, weil Cyberkriminelle durch Phishing-Mails oder unsichere Passwörter unberechtigten Zugriff auf die Netzwerke von Firmen und Verwaltungen bekommen haben.
  • Problem IT-Ausstattung: Der plötzliche Run auf die IT-Hardware führte zu Beginn der Pandemie zu langen Wartezeiten und längeren Lieferfristen. Notebooks und Laptops waren schnell ausverkauft. Hier wurde und wird jetzt (noch) nachgerüstet, damit die Beschäftigten nicht ihre private Ausstattung nutzen müssen.
  • Problem digitales Desaster in der Breitbandversorgung: Deutschland hinkt bei der Breitbandversorgung noch hinterher: Bisher haben erst 18 Prozent aller Haushalte einen Glasfaseranschluss, der eine hohe Datenübertragungsrate ermöglicht. Bis 2030 sollen es 100 Prozent aller Haushalte sein. Dieses digitale Desaster macht sich bei vielen im Homeoffice bemerkbar, wenn sie beispielsweise nicht an Videokonferenzen teilnehmen können.
  • Problem Produktivitätsverlust: Durch die pandemiebedingt überstürzte Flucht ins Homeoffice sind vielfach Geschäftsprozesse nicht neu organisiert worden, Zuständigkeiten nicht eindeutig geregelt und Erwartungen nicht klar formuliert worden. Dadurch gab es zahlreiche Motivationsverluste, Leistungsminderungen und reduzierte Produktivität, was zur Unzufriedenheit der Kundschaft, also der Bürgerinnen und Bürger führte.
  • Problem Informations- und Kommunikationsverluste: Im Homeoffice fehlt nicht nur der Flurfunk als informelle, aber wichtige und schnelle Informationsquelle. Auch die spontanen Zusammenkünfte sind nicht möglich. Der alte Fehler „aus den Augen, aus dem Sinn“ führt vielfach dazu, dass Teammitglieder nicht gleichzeitig über wichtige Änderungen informiert sind oder nicht die Informationen in der Form haben, um ihre Aufgaben erledigen zu können. Manche Personen kamen auch nicht von Anfang an mit den neuen Informationskanälen und den digitalen Kommunikationstools wie Teams oder Trello zurecht und hätten beinahe den Anschluss verpasst.
  • Problem Prokrastination: Diesen Begriff kennen eigentlich nur Studierende an Hochschulen, die es auch „Aufschieberitis“ nennen, wenn sie ihre Referate und Hausarbeiten zugunsten vermeintlich wichtiger anderer Aufgaben immer wieder verschieben. Doch Prokrastination ist für viele Personen im Homeoffice auch eine große Gefahr, weil sie plötzlich zuhause ebenfalls Ablenkungen jeglicher Art haben und nur mit einer ausgeprägten Selbstdisziplin ihre betrieblichen Aufgaben termingerecht meistern.
  • Problem Vereinsamung zuhause: Viele Beschäftigte fühlen sich im Homeoffice ohne ihre Teammitglieder etwas verloren. Die sozialen Kontakte und der direkte zwischenmenschliche Austausch fehlen. Neue Rituale wie der informelle virtuelle Austausch mit Kaffee, Feierabendbier oder digitale „walking meetings“, virtuelle Mittagessen mit Lieferservice konnten hier gute Abhilfe schaffen und dieses Problem zumindest abmildern.

Es sind also schon gute Lösungen gefunden worden, teilweise mit Leitfäden, Erfahrungsberichten oder Checklisten anschaulich dokumentiert.

Erprobte, erfolgreiche Lösungen, Empfehlungen und Hilfen

Damit die positiven Aspekte von Homeoffice – wie Wegfall von langen Pendelzeiten und weniger Vereinbarkeitsstress – auch langfristig überwiegen und diese Arbeitsform für die meisten Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung zu einer erfolgreichen Arbeitsform werden kann, sind einige Empfehlungen und praktische Hinweise hilfreich.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat zu Beginn der Pandemie einen Leitfaden für sicheres mobiles Arbeiten im Homeoffice herausgegeben. Das BSI warnt vor einer unsicheren, provisorischen Homeoffice-Infrastruktur, die zum Einfallstor für Cyber-Angriffe werden kann. Es empfiehlt eine Reihe von organisatorischen und technischen Maßnahmen, um solchen möglichen Gefahren nicht zu erliegen.

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft hat im Juli 2022 hat unter dem Titel „Arbeiten im Homeoffice – nicht nur in der Zeit der SARS-CoV-2-Epidemie“  eine Arbeitshilfe veröffentlicht, in der unter anderem die Gestaltung des Arbeitsplatzes im Homeoffice und arbeitsorganisatorische Aspekte beleuchtet werden.

Dazu passt die ausführliche Checkliste der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung von Juni 2022 „Check-up Homeoffice. Praxishilfe“, in der einzelne Aspekte der Arbeitsmittel, des Arbeitsplatzes, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsaufgaben im Homeoffice unter den Aspekten von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz genau geprüft werden können.

Fazit

Das große Experiment „Homeoffice in Zeiten der Pandemie“ war lehrreich für uns alle. Es hat gezeigt, dass mehr Homeoffice möglich ist, als ursprünglich gedacht und dass es besser funktioniert als manche vorher zu hoffen wagten. Denn das Arbeiten im Homeoffice kann mit seinen zahlreichen Vorteilen ein Segen für uns alle sein: Selbstbestimmtes Arbeiten, hohe Zeitsouveränität, Wegfall langer Pendelzeiten oder eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Aber das Experiment hat auch gezeigt, dass so manches umorganisiert und neu gedacht werden muss, damit das Arbeiten zuhause auch effizient und effektiv sowie sicher und gesund stattfinden kann. Dazu gibt es inzwischen zahlreiche Empfehlungen, Leitfäden und Checklisten als Hilfe zur Selbsthilfe für jede Dienststelle und jeden Verwaltungsbereich.

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