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Michael Hüther, Peter Bofinger, Sebastian Dullien, Gabriel Felbermayr, Moritz Schularick, Jens Südekum, Christoph Trebesch in der FAZ Gastbeitrag 21. März 2020

Europa muss jetzt finanziell zusammenstehen

Die Starken müssen den Schwachen helfen. Jetzt ist der Moment, wo die oft beschworene Schicksalsgemeinschaft Europa Flagge zeigen muss. Ein Aufruf führender Ökonomen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, darunter IW-Direktor Michael Hüther. Der Beitrag erschien übersetzt in New Statesman, Le Monde, Het Financieele Dagblad und El Mundo.

Die Co­ro­na-Pan­de­mie trifft Eu­ro­pa mensch­lich und öko­no­misch schwer. Die Aus­wir­kun­gen der Kri­se stel­len un­se­re Ge­sund­heits­sys­te­me auf ei­ne ex­tre­me Pro­be. Die weit­rei­chen­den ge­sund­heits­po­li­tischen Maß­nah­men sind un­um­gäng­lich, aber sie ver­min­dern die Wirt­schafts­tä­tig­keit, und sie ge­fähr­den die Exis­tenz von Un­ter­neh­men und Ar­beits­plät­zen.

Der Staat ist ge­for­dert, die gra­vie­ren­den öko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen durch Li­qui­di­täts­hil­fen und di­rek­te Trans­fers so gut es geht ab­zu­fe­dern. Das wird sehr ho­he öf­fent­li­che Mit­tel er­for­dern. Al­le Län­der müs­sen in der La­ge sein, die not­wen­di­gen Maß­nah­men zu tref­fen, um die Be­völ­ke­rung zu schüt­zen, die Wirt­schaft zu sta­bi­li­sie­ren und sie nach der Kri­se schnell wie­der zu be­le­ben.

Da­mit dies für al­le Mit­glied­staa­ten un­ab­hän­gig von der Haus­halts­la­ge mög­lich ist, muss Eu­ro­pa in die­ser Kri­se fi­nan­zi­ell zu­sam­men­ste­hen. Die Star­ken müs­sen den Schwa­chen hel­fen. Jetzt ist der Mo­ment, wo die oft be­schwo­re­ne Schick­sals­ge­mein­schaft Eu­ro­pa Flag­ge zei­gen muss.

An den Fi­nanz­märk­ten herrscht ak­tu­ell Zwei­fel am Wil­len und der Fä­hig­keit der eu­ro­päi­schen Staa­ten. Die Ren­di­te zehn­jäh­ri­ger An­lei­hen Ita­li­ens ist be­reits merk­lich ge­stie­gen. Auch wenn die Re­for­men im Ban­ken­sys­tem seit der Kri­se von 2008 ih­re Wir­kung zei­gen und die Ban­ken sta­bi­ler sind, so ber­gen die nicht ab­seh­ba­re Dau­er der Kri­se und die schon jetzt mas­si­ven Ein­kom­mens­ver­lus­te enor­me Ri­si­ken für die Zu­kunft. Ei­ne zen­tra­le Leh­re aus der letz­ten Kri­se ist, dass ein früh­zei­ti­ges und pro­ak­ti­ves Han­deln ge­for­dert ist, da­mit Zwei­fel an der Sta­bi­li­tät des Ban­ken­sys­tems gar nicht erst auf­kom­men und spe­ku­la­ti­ve At­ta­cken im Keim er­stickt wer­den.

Wie kann die­se Her­ku­les­auf­ga­be be­wäl­tigt wer­den? Eu­ro­päi­sche So­li­da­ri­tät und Ri­si­ko­tei­lung kön­nen und müs­sen jetzt ei­nen ent­schei­den­den Bei­trag leis­ten. Die Ge­schich­te zeigt, dass sich Län­der in schwe­ren wirt­schaft­li­chen Kri­sen im­mer wie­der ge­gen­sei­tig un­ter­stützt ha­ben. So hat bei­spiels­wei­se die Eu­ro­päi­sche Ge­mein­schaft zur Be­kämp­fung der Kon­se­quen­zen der Öl­kri­se von 1974 ei­ne Ge­mein­schafts­an­lei­he emit­tiert.

Die Län­der der Eu­ro­zo­ne sind gleich­zei­tig mit ei­nem An­ge­bots- und ei­nem Nach­fra­ge­schock kon­fron­tiert. Ei­ne In­dus­trie­re­zes­si­on und ei­ne Kon­sum­re­zes­si­on tref­fen zu­sam­men. Ge­sun­de Un­ter­neh­men mit ei­nem gu­ten Ge­schäfts­mo­dell se­hen sich plötz­lich auf­grund gra­vie­ren­der Li­qui­di­täts­pro­ble­me vor dem Zu­sam­men­bruch. Oh­ne mas­si­ve staat­li­che Hil­fen kä­me es zu rasch stei­gen­der Ar­beits­lo­sig­keit, ei­ner mas­si­ven Kon­sum­zu­rück­hal­tung und zu ei­ner Es­ka­la­ti­on der Kri­se. Li­qui­di­täts­hil­fen durch Kre­di­te, Bürg­schaf­ten und Steu­er­stun­dun­gen so­wie die Re­duk­ti­on der Ar­beits­kos­ten durch das Kurz­ar­bei­ter­geld sind wich­ti­ge Maß­nah­men zur Sta­bi­li­sie­rung der La­ge, aber sie wer­den nicht aus­rei­chen.

1000 Mil­li­ar­den Kri­sen-An­lei­hen

Es be­darf um­fang­rei­cher staat­li­cher Hil­fen vor al­lem für die vie­len klei­nen Un­ter­neh­men (Ein­zel­un­ter­neh­mer, Frei­be­ruf­ler, Klein­ge­wer­be­trei­ben­de, So­loselb­stän­di­ge), aber auch für mitt­le­re und grö­ße­re Un­ter­neh­men. In­ter­na­tio­nal auf­ge­stell­te Kon­zer­ne ha­ben bes­se­re Mög­lich­kei­ten, die fi­nan­zi­el­le La­ge aus­zu­ta­rie­ren, doch mit an­dau­ern­der Kri­se dürf­te auch de­ren La­ge pre­kär wer­den.

Die er­for­der­li­chen fis­ka­li­schen Maß­nah­men im Sin­ne ei­nes „wha­te­ver it ta­kes“ wer­den in al­len Län­dern sehr ho­he Mit­tel er­for­dern. Die eu­ro­päi­schen Staa­ten ha­ben je­doch un­ter­schied­li­che Hand­lungs­spiel­räu­me in den öf­fent­li­chen Haus­hal­ten. Es muss ver­mie­den wer­den, dass die Co­ro­na-Kri­se zu ei­ner zwei­ten Staats­schul­den­kri­se wird. Die ak­tu­el­le Kri­se be­darf des­halb ei­nes ge­mein­sa­men star­ken Si­gnals an die Fi­nanz­märk­te, dass Wet­ten ge­gen die Eu­ro­zo­ne oder ein­zel­ne Mit­glied­staa­ten kei­nen Sinn ma­chen. Im Ver­gleich zur Eu­ro-Kri­se steht die Fis­kal­po­li­tik da­bei un­ter fun­da­men­tal ver­än­der­ten Be­din­gun­gen. Ins­be­son­de­re ent­zie­hen sich die jetzt er­for­der­li­chen Hil­fen der For­de­rung der Kon­di­tio­na­li­tät, die bei den Maß­nah­men in den Jah­ren ab 2010 ih­re Be­rech­ti­gung hat­te.

Die Stra­te­gie, die wir vor­schla­gen, setzt auf Kri­sen-An­lei­hen mit ei­ner ge­mein­schaft­li­chen Haf­tung und bringt da­mit die eu­ro­päi­sche Fi­nanz­po­li­tik in die Ver­ant­wor­tung. Da­zu ge­hört ei­ne star­ke, aber er­gän­zen­de Rol­le für die Eu­ro­päi­sche Zen­tral­bank als Ga­rant der Sta­bi­li­tät der Märk­te und der Trans­mis­si­on der Geld­po­li­tik. Die EZB hat schon auf die stei­gen­den Ri­si­ko­prä­mi­en für ita­lie­ni­sche Staats­an­lei­hen re­agiert. Jetzt ist ein ge­mein­schaft­li­ches un­miss­ver­ständ­li­ches Han­deln der Staa­ten ge­for­dert.

Ge­mein­schafts­an­lei­hen sind jetzt not­wen­dig, um die Kos­ten der Kri­se auf vie­le Schul­tern zu ver­tei­len. Da­mit kann man den be­son­ders be­trof­fe­nen Län­dern bei­ste­hen und ver­hin­dern, dass sie un­ver­schul­det in ei­ne Sol­venz­kri­se ge­ra­ten. Die Län­der der Eu­ro­zo­ne soll­ten da­für be­grenzt auf die­se Kri­se Ge­mein­schafts­an­lei­hen in Hö­he von 1000 Mil­li­ar­den Eu­ro emit­tie­ren (rund 8 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts der Eu­ro­zo­ne). Aus die­sem Pool kön­nen Mit­glied­staa­ten un­ter­stützt wer­den, wenn sie den Zu­gang zum Ka­pi­tal­markt zu ver­lie­ren dro­hen. Auf­grund der ge­mein­schaft­li­chen Haf­tung wür­de sich die Ver­schul­dung der am meis­ten be­trof­fe­nen Staa­ten ver­gleichs­wei­se we­nig er­hö­hen. Ent­schei­dend ist da­bei, dass es sich um ei­nen Not­fall­fonds zur Kri­sen­be­wäl­ti­gung han­delt, al­so um ei­ne ein­ma­li­ge Maß­nah­me, wie bei der Ge­mein­schafts­an­lei­he aus der Zeit der Öl­kri­se. Die Lauf­zeit der An­lei­hen soll­te mög­lichst lang­fris­tig sein. Die Zins- und Rück­zah­lungs­ver­pflich­tun­gen soll­ten sich an den An­tei­len ori­en­tie­ren, die die Mit­glied­staa­ten am Ka­pi­tal der EZB hal­ten.

Die auf die­se Wei­se ge­schaf­fe­nen An­lei­hen wür­den gleich­zei­tig „Safe As­sets“ für die Ban­ken der Eu­ro­zo­ne schaf­fen. Da­durch wür­de das Ri­si­ko Ge­fahr ei­nes Teu­fels­krei­ses (doom-loop) zwi­schen an­ge­schla­ge­nen Ban­ken und schwa­chen Staats­fi­nan­zen re­du­ziert wer­den.

Es ist da­von aus­zu­ge­hen, dass das vor­ge­se­he­ne Vo­lu­men am Ka­pi­tal­markt zu güns­ti­gen Fi­nan­zie­rungs­kon­di­tio­nen zu pla­zie­ren ist. An­dern­falls wä­re zu prü­fen, ob die Ge­schäfts­ban­ken bei der Zeich­nung vor­ran­gig be­dient wer­den, die dann die­se Bonds bei der EZB zur Re­fi­nan­zie­rung ein­rei­chen kön­nen.

Sol­che Ge­mein­schafts­an­lei­hen wä­ren ein deut­li­ches Zei­chen, dass Eu­ro­pa in der Kri­se zu­sam­men­steht. Das Si­gnal wä­re nicht zu über­hö­ren. Nicht ein ein­zel­nes über­for­der­tes Land tritt als Bitt­stel­ler auf. Die Eu­ro­pä­er be­wäl­ti­gen die Kri­se ge­mein­sam. Es gibt durch die Ver­schul­dung kein Stig­ma.

Der Eu­ro­päi­sche Sta­bi­li­täts­me­cha­nis­mus (ESM) ist ei­ne In­sti­tu­ti­on aus ei­ner an­de­ren Zeit. Er soll­te des­halb in die­ser Si­tua­ti­on nicht ak­tiv wer­den. Zu prü­fen wä­re aber, ob der ESM nicht für ei­ne schnel­le und ver­läss­li­che Um­set­zung be­auf­tragt wer­den kann, die So­li­da­ri­täts-An­lei­hen zu emit­tie­ren und die Fi­nan­zie­rung in den Mit­glied­staa­ten zu steu­ern, oh­ne dass da­bei un­nö­ti­ge Hür­den na­tio­na­ler Zu­stim­mungs­rech­te ver­zö­gernd wir­ken.

Zu­dem soll­te die EZB – wie mit dem neu­en Pan­de­mie-Not­fal­lan­kauf­pro­gramm für 750 Mil­li­ar­den Eu­ro be­gon­nen – in der La­ge sein, die An­lei­he­märk­te zu sta­bi­li­sie­ren. So kann sie Spe­ku­la­tio­nen über Sta­bi­li­tät der Staats­fi­nan­zen und da­mit über die Re­fi­nan­zie­rung von Alt­schul­den von An­fang an un­ter­bin­den. Da­zu soll­ten die Auf­la­gen für die ESM-Pro­gram­me tem­po­rär au­ßer Kraft ge­setzt wer­den. Dies ist für die Li­qui­di­tät und In­te­gri­tät der An­lei­he­märk­te zen­tral und zu­gleich ei­ne flan­kie­ren­de Maß­nah­me ge­gen die Spe­ku­la­ti­on.

Ge­mein­schaft­li­che Haf­tung

Schließ­lich wer­den grö­ße­re Res­sour­cen er­for­der­lich sein, um ein Si­cher­heits­netz für die Ban­ken der Eu­ro­zo­ne auf­zu­span­nen. Hier kann auf exis­tie­ren­de In­sti­tu­tio­nen wie den ESM und de­ren Ex­per­ti­se zu­rück­ge­grif­fen wer­den. Da­bei geht es dar­um, dass aus­rei­chend Mit­tel für die Re­ka­pi­ta­li­sie­rung von Ban­ken vor­han­den sind. Die hier­für ver­füg­ba­ren Mit­tel des ESM soll­ten von 60 Mil­li­ar­den auf 200 Mil­li­ar­den Eu­ro auf­ge­stockt wer­den, was in et­wa 50 Pro­zent der Markt­ka­pi­ta­li­sie­rung der Ban­ken der Eu­ro­zo­ne ent­spricht. Dies wür­de da­zu bei­tra­gen, dass kei­ne Zwei­fel an der So­li­di­tät der Ban­ken auf­kom­men. Die­ser Me­cha­nis­mus muss fle­xi­bel und nicht erst dann ein­ge­setzt wer­den, wenn die Res­sour­cen des be­trof­fe­nen Mit­glied­staa­tes er­schöpft sind. Da­mit kann ver­hin­dert wer­den, dass es zu ei­ner ge­fähr­li­chen Selbst­ver­stär­kung von schwa­chen Ban­ken und ei­nem sin­ken­den Markt­ver­trau­en in die Sta­bi­li­tät der Staats­fi­nan­zen kommt.

Die­se Kri­se ist von ho­her, un­ab­seh­ba­rer Dy­na­mik. Sie be­darf des­halb star­ker Si­gna­le po­li­ti­scher Hand­lungs­fä­hig­keit. Das jüngs­te An­lei­he­kauf­pro­gramm der EZB hat ein Zei­chen ge­setzt, dass die EZB tut, was ge­bo­ten ist, um die Märk­te in der Eu­ro­zo­ne zu sta­bi­li­sie­ren. Aber der po­li­ti­sche Hand­lungs­wil­le darf jetzt nicht er­lah­men. Die­se Dy­na­mik war in der Eu­ro-Kri­se oft zu be­ob­ach­ten: Nach je­dem be­herz­ten Ein­grei­fen der EZB lie­ßen die po­li­ti­schen An­stren­gun­gen nach. Dies ist uns teu­er zu ste­hen ge­kom­men.

Es gilt jetzt, kei­ne Zeit zu ver­lie­ren. Je län­ger die ge­gen­wär­ti­ge Kri­se an­hält, um­so deut­li­cher wer­den die Un­ter­schie­de in der Fis­kal­si­tua­ti­on in Eu­ro­pa wer­den. Das wür­de Eu­ro­pa tren­nen, wenn es zu­sam­men­ste­hen muss.

Pe­ter Bo­fin­ger war Mit­glied des Sach­ver­stän­di­gen­rats. Se­bas­ti­an Dul­li­en ist Di­rek­tor des ge­werk­schafts­na­hen Wirt­schafts­for­schungs­in­sti­tuts IMK. Ga­bri­el Fel­ber­mayr ist Prä­si­dent des In­sti­tuts für Welt­wirt­schaft (IfW) in Kiel. Chris­toph Tre­besch lei­tet die Fi­nanz­markt­ab­tei­lung des IfW. Mi­cha­el Hüt­her ist Di­rek­tor des ar­beit­ge­ber­na­hen In­sti­tuts der deut­schen Wirt­schaft (IW). Mo­ritz Schul­a­rick (Bonn) und Jens Süd­e­kum (Düs­sel­dorf) sind Pro­fes­so­ren für Volks­wirt­schafts­leh­re.

Zum Beitrag in der FAZ.

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Der Beitrag erschien zudem in New StatesmanLe MondeHet Financieele Dagblad und El Mundo.

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