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Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 130 28. Dezember 2020 Corona: Droht eine Zombiefizierung der deutschen Wirtschaft?

Die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen wird 2020 voraussichtlich auf einen neuen Tiefststand von wenig über 17.000 fallen. Der schwere Wirtschaftseinbruch und die Lockdowns im Frühjahr und zum Jahresende ließen jedoch eigentlich einen kräftigen Anstieg der Insolvenzzahl um etwa 15 Prozent erwarten. Rechnerisch ergeben sich damit Ende 2020 circa 4.500 weniger Insolvenzen als erwartbar waren – möglicherweise Zombieunternehmen.

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Droht eine Zombiefizierung der deutschen Wirtschaft?
Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 130 28. Dezember 2020

Corona: Droht eine Zombiefizierung der deutschen Wirtschaft?

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen wird 2020 voraussichtlich auf einen neuen Tiefststand von wenig über 17.000 fallen. Der schwere Wirtschaftseinbruch und die Lockdowns im Frühjahr und zum Jahresende ließen jedoch eigentlich einen kräftigen Anstieg der Insolvenzzahl um etwa 15 Prozent erwarten. Rechnerisch ergeben sich damit Ende 2020 circa 4.500 weniger Insolvenzen als erwartbar waren – möglicherweise Zombieunternehmen.

Im bisherigen Jahresverlauf 2020 ist die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen trotz des kräftigen Wirtschaftseinbruchs mit einem für das Gesamtjahr erwarteten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 5 bis 6 Prozent rückläufig. Zum Teil kann dies auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende September – und für den Insolvenzgrund Überschuldung darüber hinaus – zurückgeführt werden, doch auch seit Oktober signalisieren Frühindikatoren kein Anschwellen der Insolvenzzahlen (IWH, 2020). Im laufenden Jahr könnte die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen damit gegenüber 2019 um circa 9 Prozent sinken, auf einen neuen Tiefststand von 17.060.

Insolvenztrend, Strukturwandel und Staatseingriffe

Der aktuelle Rückgang der Insolvenzen ist positiv zu sehen, da die Beschäftigten insolventer Firmen große Schwierigkeiten haben dürften, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, solange die Krise andauert. Das Ausscheiden von Unternehmen gehört aber zum funktionierenden Strukturwandel, deshalb sollte der Staat prinzipiell nicht als Retter für schlecht wirtschaftende Unternehmen einspringen: Der Trend zum Onlinehandel war zum Beispiel schon vor der aktuellen Beschleunigung in vollem Gange, so dass Kaufhauskonzerne unter Druck gerieten. Die Corona-Pandemie verändert die Bedingungen jedoch rasant, etwa im Luftverkehr. So war die Lufthansa „vor Corona“ ein gesundes Unternehmen. Da Deutschland als Handelsnation auf exzellente globale Verbindungen angewiesen ist, ist die Stützung einer Netzwerk-Airline vertretbar (Röhl/Rusche, 2020). Die Corona-Pandemie führt zu Verwerfungen, die Staatshilfen und -beteiligungen auch in sicherheitsrelevanten Bereichen wie Impfstoffen rechtfertigen können.

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Nachholeffekt bei den Insolvenzen 2021

Im kommenden Jahr wird es voraussichtlich einen Nachholeffekt bei den Insolvenzen geben, dessen Stärke jedoch noch unklar ist. Aus der Diskrepanz zwischen erwartbaren Insolvenzen 2020 – angesichts der Wirtschaftsentwicklung wäre eine Zunahme von circa 15 Prozent plausibel (Röhl/Vogt, 2020) – und des sich tatsächlich abzeichnenden Rückgangs lässt sich eine Differenz von 4.500 weniger Insolvenzen als erwartbar wären berechnen. Eine Erklärung hierfür ist, dass es sich um so genannte Zombieunternehmen handelt, die wirtschaftlich nicht überlebensfähig, aber noch marktaktiv sind. Andere mögliche Erklärungen sind, dass die staatlichen Corona-Hilfen zu einer Überkompensation geführt haben, so dass weniger Unternehmen als 2019 existenzgefährdet sind (dies erscheint unwahrscheinlich) oder dass die Arbeit der Insolvenzgerichte pandemiebedingt weiterhin sehr verlangsamt abläuft (dann müssten die Insolvenzzahlen in Kürze stark steigen). Ökonometrisch handelt es sich um einen Prognosefehler des Modells (vgl. Röhl/Vogt, 2020).

Wird angenommen, dass diese „fehlenden“ Insolvenzen 2021 erfolgen (vgl. Abbildung) – statt in den Folgejahren oder auch gar nicht in der Insolvenzstatistik aufzuscheinen – und dass auch ohne diesen „Überhang“ zumindest wieder die im Langfristvergleich niedrige Insolvenzzahl von 2019 realisiert wird, könnte die Gesamtzahl 2021 bei etwa 23.250 Insolvenzen liegen. Dies wären zwar 36 Prozent mehr als 2020, aber trotzdem weniger als in den Jahren von 1996 bis 2014. Zu bedenken ist, dass die Bundesregierung für 2021 eine Reform des Insolvenzrechts anstrebt, durch die Sanierungen vor einer Insolvenz erleichtert werden (BMJV, 2020) – dies könnte den Anstieg dämpfen.

Größe der betroffenen Unternehmen und wirtschaftliche Effekte

Generell dominieren kleine und mittlere Unternehmen das Insolvenzgeschehen zahlenmäßig, während die größeren für die Arbeitsplatzverluste und Forderungsausfälle entscheidend sind. 2019 betrug die durchschnittliche Mitarbeiterzahl pro insolventem Unternehmen 7,7 (Destatis, 2020). In Krisen nimmt die Betroffenheit größerer Unternehmen überproportional zu. Zuletzt gab es mehr Großinsolvenzen (IWH, 2020), so dass trotz zahlenmäßigem Rückgang am Jahresende mehr Beschäftigte betroffen sein dürften als 2019 (mit 144.000); Creditreform (2020b) rechnet für 2020 mit Schäden von 34 Milliarden Euro und 332.000 betroffenen Beschäftigten. Eine Prognose für 2021 fällt schwer, da einzelne Großinsolvenzen diesen Wert massiv beeinflussen.

Drohen weit mehr Zombiefirmen?

Umfragebasierte Prognosen sagen einen teils dramatischen Anstieg der Insolvenzzahl voraus. So meldete das ifo-Institut (2020), dass mit 750.000 etwa ein Fünftel der Unternehmen existenzbedroht sei. Gemäß DIHK-Umfragen ist es ein Zehntel (350.000). Creditreform rechnet mit 550.000 überschuldeten Unternehmen, die zu „Zombieunternehmen“ werden könnten, 2021 sogar mit bis zu 800.000 (Dierig et al., 2020).

Die Unsicherheit in den Befragungsergebnissen ist jedoch sehr hoch (BMWi, 2020). Bei den umfragebasierten Zahlen sind zwei Faktoren zu berücksichtigen: Erstens dürfte es im Rücklauf zu einem Bias in Richtung betroffener Unternehmen kommen, der die Hochrechnung auf den Gesamtbestand erschwert, und zu Übertreibungen im Antwortverhalten. Zweitens erscheint die Hochrechnung auf alle circa 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland, die zu den hohen Zahlen führt, fragwürdig, denn Kleinunternehmen etwa in der Gastronomie stellen den Betrieb üblicherweise ohne Insolvenzantrag ein. Aus diesem Grunde erscheinen die teils extrem hohen Zahlen der „Zombies“, also ökonomisch eigentlich nicht mehr lebensfähiger, aber trotzdem am Markt agierender Unternehmen wenig plausibel. Hier wird ein anderer Ansatz verfolgt, der von der Anzahl der realisierten Insolvenzen ausgeht. Bei den 4.500 weniger Insolvenzen und damit möglichen Zombies handelt es sich überwiegend um wirtschaftlich bedeutendere Unternehmen; Kleinbetriebe, die ohne Insolvenzanmeldung schließen, kommen hinzu.

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