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Henry Goecke / Christian Rusche IW-Kurzbericht Nr. 123 11. Dezember 2020 Corona: Wie sehr leiden die Innenstädte?

Museen, Restaurants und Bars sind geschlossen, Veranstaltungen sowie Weihnachtsmärkte abgesagt. Darunter leiden auch die Einzelhändler in den Städten, da viele Konsumenten zu Hause bleiben und dort im Internet einkaufen. Eine Analyse der Passantenzahlen erlaubt nun eine erste Schätzung des Umsatzverlusts.

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Wie sehr leiden die Innenstädte?
Henry Goecke / Christian Rusche IW-Kurzbericht Nr. 123 11. Dezember 2020

Corona: Wie sehr leiden die Innenstädte?

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Museen, Restaurants und Bars sind geschlossen, Veranstaltungen sowie Weihnachtsmärkte abgesagt. Darunter leiden auch die Einzelhändler in den Städten, da viele Konsumenten zu Hause bleiben und dort im Internet einkaufen. Eine Analyse der Passantenzahlen erlaubt nun eine erste Schätzung des Umsatzverlusts.

Allein die Deutsche Post rechnet dieses Jahr mit 1,8 Milliarden beförderten Paketen (ntv.de, 2020). Dies entspricht einem Wachstum von etwa 15 Prozent im Vergleich zu 2019. Für die Zunahme dürfte insbesondere der Internethandel verantwortlich sein, weil viele Konsumenten während der Pandemie lieber zu Hause bleiben. Insbesondere im November hat sich die Entwicklung verschärft, weil durch die Schließung von Gastronomie, Hotellerie und kulturellen Einrichtungen sowie der Absage beispielsweise von Weihnachtsmärkten die Anreize für einen Einkaufsbummel in der Stadt vor dem Hintergrund der latenten Infektionsgefahr noch weiter gesunken sein dürften.

Das Ausmaß des Rückgangs wird an den Zahlen der Firma Hystreet deutlich. Diese misst die Kundenfrequenz in Einkaufsstraßen an verschiedenen Standorten und bietet sie auf hystreet.com zur Einsicht an. Diese Daten wurden verwendet, um die Effekte der Pandemie auf die Innenstädte im November und Dezember abzuschätzen. Dazu wurden die Passantenzahlen mit den Werten aus dem Vorjahr verglichen. Es gingen insgesamt 40 Straßenabschnitte in 21 deutschen Städten in die Analyse ein. Im November 2019 wurden 32,5 Millionen Passanten an diesen Messabschnitten verzeichnet, während es dieses Jahr lediglich 18,3 Millionen waren. Der Rückgang betrug somit knapp 44 Prozent. Einen ähnlichen Wert vermeldete der Handelsverband Deutschland (HDE): Dieser gab für die 2. Novemberwoche einen Rückgang von 43 Prozent bei der Kundenfrequenz und mehr als einem Drittel beim Umsatz an (HDE, 2020a).

Für die Abschätzung des Effekts auf den Dezember wurde die Woche vom 23.11.-29.11.2020, also die Woche, die auf den 1. Advent endet, mit der entsprechenden Woche aus dem Vorjahr verglichen (25.11.-1.12.2019). An den insgesamt 40 Straßenabschnitten in 21 Städten konnte hier ein Rückgang um knapp 50 Prozent verzeichnet werden. In dieser Woche beginnen in vielen Städten traditionell die Weihnachtsmärkte, wodurch ein Hinweis auf den Verlauf im Dezember möglich sein dürfte.

Zur Abschätzung des Umsatzausfalls in der Innenstadt durch die Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung mussten in einem weiteren Schritt die betroffenen Einzelhandelsbranchen sowie deren Umsatz in der Vergangenheit bestimmt werden. Zur Kategorisierung der Einzelhandelsbranchen wurde die Einteilung in WZ08-Klassen des Statistischen Bundesamts (2020) verwendet. Um die Innenstädte abzugrenzen, wurden zunächst alle Untergruppen der WZ08-47 herangezogen, die den Einzelhandel abbildet. Damit wurde bereits der Kfz-Handel ausgeschlossen. Anschließend ebenfalls ausgeschlossen wurde der Internet- und Versandhandel (WZ08-4791), der Einzelhandel mit Wohnmöbeln (WZ08-47591), Baumärkte (WZ08-47523) sowie Tankstellen (WZ08-473). Herausgenommen wurde ebenfalls die Klasse WZ08-4711 (Einzelhandel mit Waren verschiedener Art, Hauptrichtung Nahrungsmittel), da der hohe Umsatz pro Unternehmen darauf hindeutet, dass es sich hierbei hauptsächlich um Supermärkte handelt. Apotheken finden sich zwar in jeder Innenstadt, doch auch sie wurden herausgenommen, da hier kaum Ausfälle zu beklagen sind (DAZ, 2020).

Für die verbliebenen Einzelhandelskategorien wurden die aktuell verfügbaren Umsatzzahlen des Statistischen Bundesamts (2020) mit Stand 31.12.2018 um die ebenfalls angegebenen E-Commerce Anteile bereinigt. Bei den Umsatzzahlen handelt es sich jedoch um Jahresangaben. Deshalb wurden die Monatsanteile des Gesamtjahresumsatzes aus 2019 herangezogen (HDE, 2020b, 19), um eine Verteilung auf die Monate zu ermöglichen. Basierend auf diesen Daten wurde der innerstädtische Einzelhandelsumsatz im November 2019 auf rund 17,4 Milliarden Euro geschätzt. Für Dezember ergab die Schätzung einen Wert von 19 Milliarden Euro. Für das gesamte Jahr 2019 wurde ein Umsatz von nahezu 190 Milliarden Euro in den Innenstädten geschätzt.

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Für die Darstellung des Schadens wurde die Unterteilung in ein optimistisches und ein pessimistisches Szenario gewählt (Abbildung). Im optimistischen Szenario wurde angenommen, dass der Umsatzrückgang geringer ist als der Rückgang der Passanten. Konkret wurde ein Rückgang um ein Drittel gemäß Angaben des HDE (2020a) gewählt. Entsprechend würde der Umsatzausfall in den Innenstädten 5,8 Milliarden Euro im November sowie 6,3 Milliarden im Dezember betragen. Im pessimistischen Szenario wurde angenommen, dass der Rückgang in der Kundenfrequenz im jeweiligen Zeitraum 1:1 auf den Umsatz durchschlägt. Dies entspräche einem Schaden von 7,6 Milliarden Euro im November und 9,3 Milliarden Euro im Dezember. Alle Angaben sind dabei ohne Umsatzsteuer.

Vor dem Hintergrund, dass der Dezember der umsatzstärkste Monat ist (HDE, 2020b, 19) und der Tatsache, dass der stationäre Handel bereits seit dem Beginn 2020 durch Corona mit Einschränkungen zu kämpfen hat, dürfte der Rückgang im Weihnachtsgeschäft erneut schmerzlich für viele Einzelhändler sein. Ein Ausscheiden vieler Händler würde die Situation für die verbliebenen Geschäfte zudem nicht einfacher machen, da die geringere Auswahl und hohe Leerstände kein Magnet für Passanten sind.

Der Gewinner der ganzen Entwicklung ist insbesondere Amazon. Das Unternehmen profitiert durch Geschäftsschließungen wie im Frühjahr sowie durch den Trend zum Internethandel direkt. Doch auch wenn viele stationäre Händler seine Plattform nutzen, um die Umsatzverluste auszugleichen, profitiert Amazon durch Gebühren und gewinnt an Attraktivität, da die Auswahl zusätzlich steigt. Diese Entwicklung lässt sich bereits an den Geschäftszahlen ablesen. So steigerte Amazon seine weltweiten Netto-Verkäufe, die direkte Verkäufe und Dienstleistungen an Geschäftskunden umfassen, um mehr als 37 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf über 96 Milliarden US-Dollar (Amazon, 2020). Bereits vor Corona war Amazon für 48 Prozent der Umsätze im E-Commerce in Deutschland verantwortlich (HDE, 2020c). 2020 dürfte die Bedeutung nochmals gestiegen sein. Damit dabei alles mit rechten Dingen zugeht, ermöglicht die kommende 10. GWB-Novelle (Deutscher Bundestag, 2020), Unternehmen wie Amazon den Rang einer kritischen Infrastruktur, analog zu Brücken, Stromnetzen usw., zuzuerkennen und entsprechend strenger zu regulieren. Wenn sich die Rahmenbedingungen jedoch nicht grundlegend ändern, werden viele Händler dies wohl nicht mehr erleben (HDE, 2020a).

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