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Berthold Busch IW-Kurzbericht Nr. 2 16. Januar 2020 Frankreich: Licht und Schatten

Frankreich ist von erheblichen Streiks getroffen worden, besonders der öffentliche Verkehr wurde massiv behindert. Gewerkschaften haben zum Widerstand gegen die Pläne aufgerufen, das französische Rentensystem zu reformieren. Geht es nach der Regierung in Paris sollen mehr als 40 verschiedene Rentensysteme durch ein einheitliches System ersetzt werden.

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Licht und Schatten
Berthold Busch IW-Kurzbericht Nr. 2 16. Januar 2020

Frankreich: Licht und Schatten

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Frankreich ist von erheblichen Streiks getroffen worden, besonders der öffentliche Verkehr wurde massiv behindert. Gewerkschaften haben zum Widerstand gegen die Pläne aufgerufen, das französische Rentensystem zu reformieren. Geht es nach der Regierung in Paris sollen mehr als 40 verschiedene Rentensysteme durch ein einheitliches System ersetzt werden.

Begünstigte der derzeitigen Regelungen befürchten, Privilegien zu verlieren und beispielsweise länger arbeiten zu müssen oder geringere Renteneinkünfte zu haben. Im internationalen Vergleich hat Frankreich ein teures System. Die staatlichen Rentenausgaben hatten zuletzt (2017) einen Anteil von 13,4 Prozent des BIP. Die Länder des Euroraums kommen im Durchschnitt auf einen Wert von 10,7 Prozent (Eurostat, 2019).

Streiks haben eine lange Tradition in Frankreich. So hatte die Bewegung der Gelbwesten für massive Demons­trationen gesorgt, und schon einmal – 1995 – scheiterte eine Rentenreform am Widerstand der Gewerkschaften. Gestreikt wird in Frankreich auch häufiger als in manch anderen EU-Staaten. Während im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2017 in Frankreich 125 Arbeitstage je 1.000 Arbeitnehmer infolge von Arbeitskämpfen ausfielen, waren es in Deutschland 17 (ETUI, 2019).

Die aktuellen Auseinandersetzungen könnten der wirtschaftlichen Entwicklung in Frankreich schaden. Zuletzt hatte sich die französische Wirtschaft vergleichsweise gut entwickelt. Während die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal 2019 real um 0,2 Prozent geschrumpft war und im dritten Quartal nur ganz leicht um 0,1 Prozent zulegte, konnte unser westlicher Nachbar im zweiten und im dritten Quartal jeweils real um 0,3 Prozent wachsen. Über den gesamten Zeitraum seit Anfang 2018 ist die französische Wirtschaft mehr als doppelt so stark gewachsen wie die deutsche.

Die gute wirtschaftliche Entwicklung hat sich auch am Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Die Arbeitslosenquote ist rückläufig und liegt aktuell bei 8,6 Prozent (Abbildung). Der Rückgang hat allerdings schon im zweiten Quartal 2015 begonnen. Insofern wäre es zu kurz gesprungen, wenn man die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt allein auf die Reformen zurückführen wollte, die der 2017 gewählte Präsident Macron initiiert hatte. Mehrere Regierungsverordnungen haben unter anderem für mehr Flexibilität gesorgt, in dem die Regelungsmöglichkeiten auf Unternehmensebene im Vergleich zur Branchenebene gestärkt wurden. Dezentrale Vereinbarungen können zum Teil sektorale Vorgaben ersetzen. Außerdem wurde die Höhe von Abfindungen im Fall von Entlassungen gesetzlich geregelt, was die Zahl von Kündigungsschutzklagen bereits verringert hat (Nikolka/Poutvaara, 2018; Meny/Uterwedde, 2019).

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Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass schon die Vorgängerregierung unter Präsident Hollande (Mai 2012 bis Mai 2017) mit einer Reihe von Maßnahmen versucht hat, den Arbeitsmarkt zu reformieren sowie für mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit zu sorgen. Hierzu zählten unter anderem Steuererleichterungen für Unternehmen sowie Kürzungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitgeber für Niedriglohnempfänger. Mit dem nach der früheren Arbeitsministerin El Khomri benannten Gesetz von 2016 – das ebenfalls auf Massenproteste stieß – wurden Betriebsvereinbarungen gegenüber Vereinbarungen auf Branchenebene gestärkt, wenn es um Fragen der Arbeitszeit, um Überstundenzuschläge, Arbeitszeitorganisationen, Feiertage und um bezahlten Urlaub geht (Busch, 2017; Nikolka/Pautvaara, 2018). Regelungen zur Erleichterung von Kündigungen wurden ebenfalls bereits vor der Amtszeit von Präsident Macron erlassen.

Nicht nur der Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern auch der Beschäftigungsaufbau, den Frankreich erlebt, hat deutlich früher eingesetzt. Betrug die Anzahl der Erwerbstätigen im ersten Quartal 2014 noch 26,1 Millionen, sind es im zweiten Quartal 2019 schon 26,8 Millionen.

Ein Wermutstropfen ist allerdings die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich; insofern kann man von einem gespaltenen Arbeitsmarkt sprechen. Die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen ist zwar ebenfalls rückläufig, doch lag sie im dritten Quartal 2019 immer noch bei über 19 Prozent.

Weniger gut ist es in Frankreich auch um die Staatsfinanzen bestellt. Der staatliche Schuldenstand lag vor der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise noch bei knapp 69 Prozent des BIP (2008). Aktuell liegt dieser Wert bei 98,4 Prozent (2018), ist also weit von der 60-Prozent-Marke des Maastrichter Vertrags entfernt. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Nach der Herbstprognose der EU-Kommission steigt die Quote bis zum Jahr 2021 auf 99,2 Prozent an. Frankreich entfernt sich damit nicht nur vom fallenden Trend der Staatsverschuldung im Durchschnitt des Euroraums (European Commission, 2019). Die persistent hohe Staatsverschuldung ist für Frankreich auch eine Hypothek auf die Zukunft, wenn die Zinsen wieder einmal ansteigen sollten.

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