Im Wahlkampf überbieten sich die Parteien mit Schuldzuweisungen für die wirtschaftliche Misere. Doch ist die Ampel wirklich Schuld an allem? Und was sind die wichtigsten Aufgaben für die neue Bundesregierung? Darüber spricht IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit dem Münchner Merkur.
„Investitionen sind alternativlos“
Herr Hüther, die Ampel-Regierung ist bald Geschichte. Wirtschaftlich lief es nicht gut. Weshalb?
Neben allen Problemen wie den Spätfolgen der Pandemie oder dem Ukraine-Krieg samt Anstieg der Energiepreise muss man den Ampel-Parteien vorwerfen, dass sie sich nie auf eine gemeinsame Strategie für die Zukunft einigen konnten. Ich war 2022 auf einer Kabinettsklausur in Meseberg, da wurde viel und offen diskutiert. Das Drama der Ampel ist aber, dass aus dieser produktiven Reibung schnell Neid und Missgunst wurden, wenn mal jemand etwas besser dastand. Das hat dazu geführt, dass gefundene Kompromisse nie eingehalten wurden und es dauernd Streit gab.
Hat der Dauerstreit zur aktuellen Krise beigetragen?
Er hat auf die Stimmung gedrückt. Richtig klar wurde das im Herbst 2023, als das Verfassungsgericht den Nachtragshaushalt mit den nicht gebrauchten 60 Milliarden aus der Corona-Pandemie abräumte. Ab da war das Geld weg, mit dem man die Gräben in der Koalition vorher noch überdecken konnte.
Welche großen Baustellen muss die nächste Bundesregierung anpacken?
Unser großes Problem sind die privaten Investitionen, die einfach nicht in Gang kommen. Die deutsche Wirtschaft hat enormen Nachholbedarf bei Modernisierung, Digitalisierung und Transformation zur Klimaneutralität, um wettbewerbsfähig zu werden. Das muss uns Sorgen machen, denn die Investitionen sind das Scharnier zwischen dem Heute und der Zukunft. Die Zurückhaltung ist auch der Spiegel eines schwachen Staates, der über Jahre viel zu wenig in seine Infrastruktur investiert hat.
Das ist aber nicht die Schuld der Ampel, oder?
Nein, sie hat aber auch keinen Weg aus Misere gefunden. Außerdem hat sie bei der Transformation zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft durch einen Schlingerkurs, schlechte Kommunikation und handwerkliche Fehler viel Unsicherheit geschürt und einen Scherbenhaufen hinterlassen. Die Aufgabe der nächsten Regierung ist, diesen Scherbenhaufen zusammenzukehren und die Investitionen in die Zukunft wieder anzukurbeln.
Wie denn?
Vier Punkte: Deutschland braucht erstens eine Investitionsprämie. Unternehmen müssen Zukunftsinvestitionen sofort abschreiben können. Das wäre steuerrechtlich einfach und schnell machbar. Zweitens: Die Bürokratie muss abgebaut werden, Firmen brauchen wieder mehr Freiraum. Drittens brauchen wir wettbewerbsfähige Strompreise. Dafür müssen kurzfristig die Netzentgelte mit Bundesmitteln gedeckelt werden. Für den Ausbau von Bahn, Autobahnen und der Infrastruktur in Bund, Länder und Gemeinden muss viertens ein Infrastrukturfonds gegründet werden, vergleichbar mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr. Der Investitionsstau liegt bei etwa 600 Milliarden Euro, das geht aus dem normalen Haushalt nicht mehr.
Das heißt aber auch: Es geht nicht ohne höhere Schulden.
Natürlich nicht, wir brauchen diese Investitionen; sie sind alternativlos. Investitionen in die Zukunft sind ein klassisches intertemporales Kosten-Nutzen-Kalkül. Bei Staaten ist das nicht anders als in Unternehmen.
Manche Politiker sagen, dass man sich bei der grünen Transformation mehr Zeit lassen müsse, um die Wirtschaft nicht zu belasten. Ist das der richtige Ansatz?
Ich kann nur raten, keine Verunsicherung aufkommen zu lassen, dass wir zu den Klimazielen stehen. Nicht nur, weil wir uns in internationalen Verträgen zu den Zielen verpflichtet haben. Mir macht es Sorgen, dass manche Politiker nicht erkennen, wie eng die Verbindungen zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Klimaneutralität ist. Dass man glaubt, bei dieser Transformation der Wirtschaft ohne Industriepolitik auszukommen, ist absurd. Ab 2027 werden der Verkehr und die Gebäudemissionen über das ETS2-System in den CO2-Handel aufgenommen. Spätestens dann muss man über ein Klimageld für Bürger sprechen, um die Kosten abzufedern. Und man muss sich überlegen, wie man die energieintensive deutsche Industrie in die Zukunft bringt. Auch die Union kommt an dieser Frage nicht vorbei.
Manche Ihrer Kollegen sagen, Deutschland müsse weg von der Industrie und hin zu mehr Zukunftstechnologien. Wie sehen Sie das denn?
Großbritannien hat Banken, die USA Technologiefirmen. Aber auch unsere Industrieunternehmen sind im Bereich der Hochund Zukunftstechnologien angesiedelt. Denken Sie an die E-Mobilität im Autobau, an die Materialtechnik oder an die Polymerchemie in der Chemieindustrie. Diese Branchen sind sehr innovativ und keine alten Sektoren, selbst die Stahlproduzenten nicht. Sie haben hohe Forschungs- und Entwicklungsausgaben und können zu den Gewinnern der
Transformation zählen.
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