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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther in der Welt Interview 24. Januar 2022

„Die Klima-Inflation ist politisch gewollt”

In den 70er-Jahren sorgte der Ölpreisschock für Entlassungen, Pleiten und dauerhafte Arbeitslosigkeit. Das kann jetzt wieder passieren, warnt IW-Chef Michael Hüther im Interview mit der Welt. Wenn die Klimapolitiker nicht aufpassten, drohe Deutschland ein düsteres Jahrzehnt.

Viele Verbraucher spüren die Rekordpreise für Strom und Gas, und auch in anderen Bereichen steigen die Preise. Immer mehr Ökonomen warnen, dass aus einem Phänomen nach dem Ende der Lockdowns eine dauerhaft hohe Inflation werden könnte. Sehen Sie das auch so?

In gewisser Weise ja. Die steigenden Preise, die wir im Moment erleben, sind immer noch Folgen der Pandemie und der Probleme in den Lieferketten. Hinzu kommen politische Effekte, die Öl- und Gaspreise steigen lassen, und natürlich auch klimapolitische Maßnahmen. Der steigende CO2-Preis schlägt auch auf die Inflation durch. Das ist der Moment. Über den Tag hinaus kann daraus etwas Besorgniserregendes entstehen. Europa droht eine Stagflation, wenn die Politik nicht aufpasst. Ich rede hier nicht über dieses oder kommendes Jahr, sondern weit in das Jahrzehnt hinein, das vor uns liegt. Eine längere Phase der Stagflation ist eine reale Gefahr.

In einer Stagflation wächst die Wirtschaft nicht mehr oder schrumpft sogar, und gleichzeitig steigen die Preise und belasten Verbraucher und Unternehmen. Sie gilt als gefährlich, weil sie schwer einzudämmen ist. Wie kann Europa in solch eine Situation rutschen?

Unsere Klimapolitik kann eine Stagflation auslösen. Der CO2-Preis muss in den kommenden Jahren weiter steigen, wenn Firmen und Verbraucher weniger fossile Brennstoffe verbrauchen sollen. Solange Haushalte und Unternehmen nicht sehr viel weniger Öl und Gas nutzen als heute, wird der steigende CO2-Preis ein Inflationstreiber bleiben. Das muss er auch, schließlich soll er bewirken, dass weniger fossile Brennstoffe verfeuert werden. Dazu kommt mit dem Fachkräftemangel der zweite Preistreiber. Die Löhne steigen gerade in vielen Bereichen, nicht nur im MINT-Bereich, wo Fachkräfte schon lange knapp sind, sondern auch in Bereichen mit anderen Qualifikationen, in Hotels und Restaurants beispielsweise. Da sind die Gewerkschaften gefragt, ihre Forderungen anzupassen, damit sie über steigende Lohnstückkosten die Inflation nicht weiter treiben, weil sich Löhne und Preise immer weiter aufschaukeln.

Inflation ist die eine Seite. Zur Stagflation gehört aber auch die Stagnation.

Das Risiko, dass die EU-Volkswirtschaften kaum noch wachsen, ist real. Dann nämlich, wenn wir die Transformation der Wirtschaft nicht hinbekommen und die Unternehmen in der Energiewende überfordern. Dann bekommen wir eine Situation wie in den 70er-Jahren. Damals haben die Automation und der Ölpreisschock für Entlassungen, Pleiten und so dauerhafte Arbeitslosigkeit gesorgt. Das kann jetzt wieder passieren, zumal die Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung die Produktivität schwächen. Der steigende CO2-Preis wirkt wie der Ölpreis in den 70er-Jahren. Wenn die Politik nicht aufpasst und die Unternehmen überfordert, gleiten wir von einem Goldenen Jahrzehnt in ein sehr trübes Jahrzehnt.

Im Moment bezieht die EU noch 80 Prozent ihrer Energie aus fossilen Brennstoffen.

Genau. Wenn die Politik die deutschen Klimaziele und die der EU ernst nimmt, dann muss der CO2-Preis, das zentrale Steuerungselement, in den nächsten Jahren steigen. Und zwar relativ schnell, schließlich hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gerade erst gewarnt, dass wir in allen Bereichen weit hinter unseren Zielen zurückliegen. Die Preise für fossile Energie werden langfristig weiter steigen, das ist sicher.

Das bedeutet aber auch, dass wir langfristig mit einer höheren Inflation leben müssen.

Sicherlich. Die Klimapolitik wird in den kommenden Jahren die Inflation treiben. Das ist das Risiko des kommenden Jahrzehnts, und darauf müssen sich alle einstellen, allen voran die Europäische Zentralbank (EZB).

Die EZB würde normalerweise bei längerfristig hoher Inflation die Zinsen anheben, um den Preisanstieg zu drücken.

Das ist in diesem Fall aber nicht so. Denn die EZB muss die Klima-Inflation bei ihren geldpolitischen Entscheidungen ignorieren und darf auf diese Form der Teuerung nicht reagieren. Denn die Klima-Inflation ist politisch gewollt und damit ein exogener Schock. Das wäre, als würde die Bundesregierung jedes Jahr die Mehrwertsteuer erhöhen, darauf sollte die Notenbank auch nicht mit höheren Zinsen reagieren – aber freilich nur solange die Lohnpolitik keine Überwälzung in Gang setzt.

Glauben Sie, dass höhere CO2-Preise und die Ausweitung des Europäischen Emissionshandels auf Benzin und Heizkosten politisch durchsetzbar sind?

Die Ausweitung ist zwingend. Zumindest wenn wir den Klimaschutz marktwirtschaftlich steuern wollen. Wenn es nicht über den CO2-Preis oder den Emissionshandel läuft, die fossile Brennstoffe und die Produkte daraus teurer machen, funktioniert Klimaschutz nur mit Verboten. Aber auch Verbote werden für höhere Preise sorgen. Ein E-Auto ist noch länger teurer als ein Verbrenner. Die Energiewende wird Dinge teurer machen und dafür sorgen, dass wir uns weniger leisten können. Egal, ob mit marktwirtschaftlichen Instrumenten oder Verboten. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung verbleiben immerhin bei uns und können zum sozialen Ausgleich genutzt werden.

Wie kann die Politik das abfedern?

Wir brauchen in Europa mehr Impulse für Wachstum, auch um eine Stagflation zu verhindern. Es wäre beispielsweise sinnvoll, den Corona-Wiederaufbaufonds als zweite Säule der EU-Finanzen zu verstetigen, als permanenter Topf für Investitionen. Die EU als Investitionsunion. Das wäre großartig.

Emmanuel Macron und Mario Draghi fordern ebenfalls, den Wiederaufbaufonds langfristig beizubehalten. Aber muss er nicht erst einmal beweisen, dass er seinen Zweck erfüllt, nämlich langfristiges Wachstum in den Empfängerländern zu schaffen?

Das ist in der Tat die entscheidende Frage. Die ersten Zeichen stimmen mich optimistisch. Wir sehen, dass beispielsweise in Spanien die Investitionen anspringen. Seit der Finanzkrise ist dort immer weniger investiert worden, und jetzt ändert sich das. Das ist eine Entwicklung, die wichtig ist. Und die auch nötig sein wird für die Energiewende. Gleichzeitig hat der Fonds dafür gesorgt, dass in vielen Ländern Reformen angestoßen werden, und viele davon werden für langfristiges Wachstum sorgen. In Italien beispielsweise.

Das heißt, Sie plädieren auch dafür, langfristig auf europäischer Ebene Schulden zu machen?

Warum sollte man europäische Investitionen nicht durch europäische Anleihen finanzieren. Da wachsen mir keine grauen Haare. Wir Deutschen gewinnen dabei sogar, weil die anderen investieren, wachsen und uns mehr mögen. Der Wiederaufbaufonds war kein Hamilton-Moment, auch wenn Olaf Scholz das damals behauptet hat. Es geht nicht um Vergemeinschaftung von Schulden. Und je stärker Länder profitieren und wachsen, desto größer wird der Anteil, den sie in das EU-Budget überweisen oder mit dem sie für die gemeinsam gemachten Schulden geradestehen.

Zum Interview auf welt.de

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