Die Wirtschaftspolitik steht angesichts der rasant steigenden Energiepreise vor krisenhaften Herausforderungen, schreiben IW-Steuerexperte Tobias Hentze und IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für die FAZ.
Wie die Ampel Unternehmen jetzt steuerlich stützen sollte
Mit drei Entlastungspaketen hat die Bundesregierung zwar wichtige Impulse gesetzt, doch für die Unternehmen fehlt eine schnelle und gleichzeitig anreizkompatible Lösung. Hier sind Liquiditätshilfen die erste Wahl. Neben Krediten bietet das Steuerrecht bisher ungenutzte Potentiale, die betriebliche Liquidität zu erhöhen, ohne eine Überförderung zu riskieren oder Mitnahmeeffekte zu kreieren.
Denn die tatsächliche Lage differiert zwischen Unternehmen je nach Branche, Region und Energieabhängigkeit so stark, dass antragsabhängige Lösungen übermäßig verwaltungs-, kontroll- und damit zeitaufwendig sind. Es aber bedarf einer schnellen Liquiditätsstützung. Eine Verzögerung wie bei den November- und Dezemberhilfen in der Pandemie 2020, die erst im Frühjahr 2021 ausgezahlt wurden, darf sich nicht wiederholen. Viele Unternehmen sind schon jetzt durch die Energiepreissteigerungen existenziell bedroht.
Die bestehenden Instrumente – vor allem das Bund-Länder-Bürgschaftsprogramm und das Energiekostendämpfungsprogramm – adressieren Bedarfslagen in energieintensiven Branchen, im Handel mit Energie und andere Betroffenheiten, die aus dem Krieg resultieren. Über Haftungsfreistellung wird versucht, Kredite leichter verfügbar zu machen, zudem werden Zuschüsse zu den Energiekosten im Volumen von 5 Milliarden Euro angeboten.
Aber das reicht bei Weitem nicht aus. Zusätzlich bietet sich eine steuerpolitische Lösung an, die mehrere Vorteile hat: Sie ist über die Finanzämter schnell umsetzbar, wo die Konto- und Steuerdaten der Unternehmen schon vorliegen. Sie begünstigt ausschließlich Unternehmen, die aufgrund ihrer bisherigen Performance Steuern zahlen, und sie belastet den Staatshaushalt durch eine Verschiebung der Einnahmen zunächst nur temporär.
Der Grundgedanke: Angesichts der fundamental veränderten Lage in den Kostenstrukturen der Unternehmen sowie – im binnenwirtschaftlichen Bereich – wegbrechender Konsumnachfrage beruhen die Vorauszahlungen in der Einkommen-, der Gewerbe-, der Körperschaft- sowie der Umsatzsteuer auf Annahmen, die mittlerweile unrealistisch sind. Daher schlagen wir erstens vor, allen Unternehmen die anstehenden Vorauszahlungen für das vierte Quartal 2022, das erste Quartal 2023 und längstens auch das zweite Quartal 2023 auf die Körperschaft-, Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer zu stunden, und zwar automatisch, also ohne Antrag.
Ein Verzicht auf die Prüfung von Kriterien und Kennzahlen sorgt für unbürokratische Entlastung bei Unternehmen und Verwaltung. Die Stundung der Umsatzsteuer ist begründbar, da die Energiepreiskrise immer mehr zu einer Nachfragekrise führt; so würde auch dem kosten- wie umsatzseitig gebeutelten Einzelhandel geholfen.
Zweitens sollte für besonders belastete Unternehmen auf Antrag eine Rückzahlung der geleisteten Steuervorauszahlungen für das zweite und dritte Quartal 2022 möglich sein. Zu dieser Gruppe gehören Unternehmen, die einen überdurchschnittlichen Anteil an Energiekosten haben (in Anlehnung an bestehende Hilfsprogramme mindestens 3 Prozent Energiekostenanteil am Umsatz des Jahres 2021) oder stark unter dem Rückgang des Konsums leiden (etwa ein Umsatzrückgang von Juli bis September 2022 um 30 Prozent gegenüber Vorjahr).
Drittens könnte die im Rahmen der Corona-Pandemie erweiterte Verlustverrechnung für alle Unternehmen in drei Dimensionen erweitert werden: Die Gewerbesteuer wird in die Verlustverrechnung einbezogen, der Verlustrücktrag gilt der Höhe nach unbegrenzt, und der Zeitraum zu seiner Nutzung wird auf drei Jahre erweitert. In der Pandemie wurde der Verlustrücktrag auf zwei Jahre ausgedehnt, seine Grenze liegt befristet bis Ende 2023 bei 10 Millionen Euro. Auch die Begrenzung des Verlustvortrags von 1 Million Euro pro Jahr sollte gelockert werden.
Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und Einzelunternehmer sowie Selbständige sollten und könnten gleichermaßen einbezogen werden. Die Stundung eines Quartals hätte bei den Ertragsteuern höchstens einen Liquiditätseffekt von grob gerechnet 40 Milliarden Euro, bei der Umsatzsteuer von rund 50 Milliarden. Hinzu kämen antragsabhängig durch die Erstattung gezahlter Vorauszahlungen weitere Liquiditätshilfen. Der temporäre Aufkommenseffekt könnte gesteuert werden, indem Stundung oder Erstattung von Vorauszahlungen nach Steuerart und Unternehmensgröße eingeschränkt werden.
Zu beachten ist, dass es sich in allen Fällen dem Grunde nach um rückzahlbare Darlehen des Staates an die steuerpflichtigen Unternehmen handelt. Nach Maßgabe der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen wird rückblickend die definitive Steuerlast für 2022 festgestellt. Darauf bezogen wird der Staatshaushalt kaum zusätzlich belastet. Europarechtliche Probleme dürften nicht auftreten. Klar ist aber, dass diese Hilfen nur den Übergang in das kommende Jahr begleiten können, nicht aber die Knappheit bei Gas und die preislichen Herausforderungen im Strommarkt lösen werden.
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