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Susanna Kochskämper IW-Nachricht 12. Februar 2020

Familienpflegegeld: Falsche Anreize

Der Berliner Senat hat eine Bundesratsinitiative für ein Familienpflegegeld beschlossen: Wer Angehörige pflegt, soll insgesamt für bis zu 36 Monaten von der Arbeit freigestellt werden und rund 65 Prozent des verlorenen Nettogehalts vom Staat ersetzt bekommen. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum die Höhe des Einkommens bestimmen soll, wie hoch die Unterstützung ausfällt.

Die meisten Pflegebedürftigen wünschen sich, im vertrauten Umfeld versorgt zu werden. Allerdings stellt sich dann die Frage: Wer soll pflegen? Zwar finanziert die gesetzliche Pflegeversicherung anteilig ambulante Pflegedienstleister und weitere Unterstützungsangebote, sogenannte haushaltsnahe Dienstleistungen. Ohne die zusätzliche Hilfe von Angehörigen, Freunden oder Nachbarn ist der Verbleib in den eigenen vier Wänden jedoch in vielen Fällen nicht möglich.

Meist pflegen die Frauen

Bisher sind es überwiegend Frauen, die diese Unterstützung leisten. Etwas mehr als die Hälfte der Pflegenden ist zwischen 30 und 60 Jahre alt. Gerade Berufstätige stellt der Wunsch der Angehörigen, zuhause gepflegt zu werden, jedoch vor große Herausforderungen: Schließlich kann der Spagat zwischen Beruf und Pflege sehr belasten.  

Hier soll nun also das Familienpflegegeld helfen. Es ist ähnlich gestrickt wie das Elterngeld, aber für einen längeren Zeitraum angelegt: Pflegende Angehörige sollen für 36 Monate Anspruch auf 65 Prozent ihres vorherigen Nettogehalts haben.

Gutverdiener profitieren am meisten

Warum soll jedoch eine finanzielle Unterstützung Angehöriger einkommensabhängig ausgezahlt werden? Oder anders gefragt: Warum soll die Pflege durch einen Besserverdienenden der Gesellschaft mehr wert sein als die eines Geringverdieners? Nach Angaben des Unabhängigen Beirats für Vereinbarkeit von Pflege und Beruf haben Frauen, die viel pflegen, eine geringere Berufserfahrung, ein geringeres Einkommen und eine geringere Bildung. Frauen, die besser qualifiziert sind und ein höheres Haushaltseinkommen haben, pflegen dagegen deutlich weniger und wechseln lieber von Vollzeit in Teilzeit als ihre Erwerbstätigkeit ganz aufzugeben. Gerade diese Gruppe würde aber von einem Familienpflegegeld profitieren. 

Darüber hinaus soll die Höhe des Familienpflegegelds nicht von der Schwere der Pflegebedürftigkeit abhängen. Diese ist jedoch entscheidend dafür, in welchem Umfang gepflegt werden muss. Das bedeutet: Angehörige, die schwer Pflegebedürftige versorgen, dementsprechend viele Pflegestunden leisten und vorher nur ein geringeres Lohneinkommen hatten, stehen mit dem Familienpflegegeld schlechter da als Hochqualifizierte, die sich um einen Pflegebedürftigen kümmern, der weniger an Pflege bedarf.

Pflegegeld passgenauer angelegt

Dabei gibt es bereits ein Instrument für die häusliche Pflege: das Pflegegeld. Es wird ausschließlich differenziert nach Pflegegraden – also der Schwere der Pflegebedürftigkeit – ausgezahlt und ist mit ambulanten Leistungen kombinierbar. Soll also tatsächlich mehr für pflegende Angehörige getan werden, wäre über einen Ausbau dieser Leistung nachzudenken. Ein Instrument wie das Familienpflegegeld, das zudem in hohem Maße ungleich behandelt, ist in keinem Fall nötig.
 

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Susanna Kochskämper / Maximilian Stockhausen: Pflegende Angehörige in Deutschland – Auswertungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels

IW-Report

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