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(© Foto: GettyImages)
Hans-Peter Klös IW-Nachricht 15. Oktober 2021

Mögliche Ampel-Koalition: Erste Bewertung des Sondierungspapiers

Heute haben SPD, Bündnis90/Die Grünen und die FDP die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche vorgestellt. Das dazugehörige Papier lässt auf viel Positives hoffen – doch an manchen Stellen bleiben die Ampel-Parteien zu unkonkret. Das IW hat die wichtigsten Themen bewertet.

Moderner Staat und digitaler Aufbruch 

Die genannten Vorhaben wie digitaler Staat, schnelleres staatliches Handeln, Planen und Genehmigen, eine agilere und digitalere Verwaltung sowie eine bessere Daseinsvorsorge im ländlichen Raum sind auf der Ebene von Überschriften sehr zu begrüßen – aber: es handelt sich in der Umsetzung um ein administrativ sehr hartes und zudem dickes Brett. 

Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft  

Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes, ein Klimaschutzsofortprogramm, eine sektorübergreifende Klimazielüberprüfung, die Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer Energien, die Nutzung geeigneter Dachflächen für Solarenergie, reservierte Landesflächen für Windenergie, ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung, die Errichtung moderner Gaskraftwerke mit klimaneutralen Gasen und die schnellstmöglichen Beendigung der EEG-Umlagefinanzierung über den Strompreis: Die Liste ist lang, es sind weitreichende und sehr ambitionierte Ziele. Entscheidend wird sein, wie schnell und vor allem wie die Punkte umgesetzt werden. Die Akzeptanz der Bevölkerung, die jetzt schon mit steigenden Energiepreisen hadert, hängt davon ab.  

Respekt und Chancen in der modernen Arbeitswelt 

Dieses Kapitel im Sondierungspapier verheißt durch die beabsichtigten Experimentierklauseln und Experimentierräume einen möglichen Durchbruch beim Arbeitszeitgesetz, jedoch erweist es sich bei den Themen Tariflichkeit und Mitbestimmung eher als Black Box. Ordnungspolitisch problematisch ist die vorgesehene einmalige politische Anpassung des Mindestlohns auf zwölf Euro, bevor dann wieder die Mindestlohnkommission zum Zuge kommen darf. Die Erhöhung der Midijob-Grenze auf 1600 Euro ist wie andere verbesserte Arbeitsanreize zu begrüßen, während die Orientierung der Grenze von Minijobs an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden und dem Mindestlohn im Ergebnis eine implizite Indexierung bedeutet. 

Soziale Sicherheit bürgerfreundlich gestalten 

Die genannten Vorhaben, das Sicherungsniveau beizubehalten, ohne das Renteneintrittsalter anzuheben, bedeutet eine demografisch unzureichende Rentenpolitik und einen weiter stark steigenden Bundeszuschuss. Die angestrebte teilweise Kapitaldeckung und die Reform der privaten Altersvorsorge durch Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit Abwahlmöglichkeit reichen nicht aus, dies zu neutralisieren. Ein Bürgergeld anstelle von Hartz IV einzuführen ist weder ein realistischer noch erforderlicher Systemwechsel in der Grundsicherung. 

Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang 

Die genannten Vorhaben wie der Einstieg in Kindergrundsicherung durch Bündelung bisheriger Leistungen, das Kooperationsgebot bei frühkindlicher und schulischer Bildung sowie ein Digitalpakt 2.0 für Schulen und die Einführung eines Lebenschancen-BAföG sind gemessen an der Bedeutsamkeit von Bildung und Qualifizierung keinesfalls ausreichend. Immerhin soll es aber eine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung geben. 

Innovation fördern und neue Wettbewerbsfähigkeit erreichen  

Die Stärkung der Startup- und Gründerfinanzierung, das Ziel von 3,5 Prozent des BIP als Quote für Forschung und Entwicklung sowie die Entwicklung der KfW zu einer Innovations- und Investitionsagentur sind als eine eher konventionelle Agenda mit viel Zustimmungspotenzial auf der Überschriftenebene zu bewerten. Entscheidend bleibt die konkrete Umsetzung, deutlich mehr Ambition mit Blick auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist aber nötig. 

Offensive für bezahlbares und nachhaltiges Bauen und Wohnen  

Ambitionierte, aber richtige Ziele stecken sich SPD, Grüne und FDP auch bei der Wohnungspolitik: 400.000 neue Wohnungen im Jahr, davon sollen rund 100.000 Sozialwohnungen sein. Gelingt es dabei die Baugenehmigungen zu beschleunigen und die Grunderwerbssteuer flexibler zu gestalten, können Wohnraummangel und zu hohe Mieten effektiv bekämpft werden, ohne dabei neue Regulierungen zu schaffen.  

Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie 

Die Pläne zur Zuwanderungspolitik scheinen realistisch und vernünftig. Das Staatsangehörigkeitsrecht soll modernisiert und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz praktikabler ausgestaltet werden. Gerade letzteres ist vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der Demografie essenziell. Welche Konflikte sich im Gleichstellungsbereich ergeben werden, ist noch nicht absehbar. Die Parteien bleiben hier unkonkret: Zwar sollen etwa die Gleichstellung und der Abbau von Lohnungleichheiten gefördert werden, was ein wichtiger Schritt ist. Über das „Wie“ verlieren die möglichen Koalitionspartner aber kein Wort.   

Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Staatsfinanzen 

Bei den Staatsfinanzen ist deutlich die Handschrift der Liberalen herauszulesen: Investitionen im Rahmen der Schuldenbremse, weder neue Substanzsteuern noch Steuererhöhungen, dafür Superabschreibungen für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung. Auch die Überprüfung der Ausgabenseite der Haushalte steht im Papier – gut so, denn das ist längst überfällig angesichts der erreichten Haushaltsdefizite. 

Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt 

Zu begrüßen ist ferner die hohe Bedeutung, die Europa zugemessen wird. Allerdings enthält das Kapitel auch einiges Wortgeklingel über Ziele, die die eigentlichen Konflikte überdecken. Wie Zielkonflikte gelöst werden sollen, bleibt unklar. So wollen die Parteien einerseits die Schuldentragfähigkeit sichern, andererseits für Wachstum und Investitionen sorgen.  

Zusammenfassung 

Das Sondierungspapier der Ampel-Parteien gibt im Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik vor allem mit Blick darauf Anlass zur Hoffnung, was nicht kommen wird: Die Bürgerversicherung wird nicht kommen, ebenso wenig ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es gibt keine Steuererhöhungspläne, womit auch eine Vermögensteuer vom Tisch ist. Um im Klimaschutz voranzukommen, wollen die Parteien vor allem auf marktwirtschaftliche Instrumente setzen – ein wichtiges Zeichen für die Wirtschaft, denn so entstehen Freiraum für Innovationen und Planungssicherheit. Auch der Schwerpunkt auf der Digitalisierung ist längst überfällig: Nicht nur Unternehmen wird ein digitales Land voranbringen – auch die Bürgerinnen und Bürger werden profitieren, etwa von einer digitalen Verwaltung, die einfach zugänglich ist. Es bleibt zu hoffen, dass das der möglichen neuen Regierung auch gelingt, immerhin ist der digitale Aufbruch eines der dringlichsten Themen, wie die Pandemie schonungslos gezeigt hat. 

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