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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 14. Oktober 2009

"Blick nach oben"

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther, sieht die deutsche Wirtschaft auf dem Weg zu einer Stabilisierung. Der Wirtschaftswissenschaftler sprach sich für Steuersenkungen in mehreren Stufen aus, die aber Wachstumsimpulse auslösen müssen.

Mehrere Institute legen heute ihr gemeinsames Herbstgutachten vor.Danach wird das Wachstum der deutschen Wirtschaft 2010 voraussichtlich deutlich höher ausfallen, als noch im Frühjahr prognostiziert.Der Pessimismus hat sich nicht bestätigt. Was ist für Sie die entscheidende Ursache?

Hüther: Wir müssen zunächst fragen, was hat uns denn so tief runtergetragen. Es ist ja ein gewaltiger Absturz gewesen, der vor einem Jahr begann, und das war vor allen Dingen ein Misstrauenseffekt, der aus den Finanzmärkten kam. Das hat eine gewisse Zeit getragen, aber führte dann auch dazu, wenn man genauer hinschaut, als dann die Regierungen gehandelt hatten, als die Finanzmarktrettungspakete geschnürt wurden, als Konjunkturpakete geschnürt wurden, dass man auch wieder ein bisschen den Blick nach oben bekam.

Es ist ja so, dass die Stimmungstrendwende sich schon im ersten Quartal 2009 vollzogen hat, wenn man das Ifo-Geschäftsklima anschaut oder die Einkaufs-Manager-Indizes, und dann ab dem zweiten Quartal auch die realen Größen wie Auftragseingänge, Produktion das deutlich gemacht haben. Insofern ein Prozess, der für sich betrachtet gar nicht so ungewöhnlich ist, gemessen an der ungewöhnlich scharfen Rezession, die wir vorher hatten, aber man war natürlich auch geprägt von dieser Dynamik und die lässt sich leichter fortschreiben, als dann wieder auf die Trendwende zu setzen.

Die Prognosen müssen aber wiederum korrigiert werden. Weshalb ist es so schwierig, diese Dynamik im Vorhinein genau zu beschreiben?

Es war ein Absturz, der in seiner Geschwindigkeit oder in seiner Fallhöhe wirklich einmalig ist. Dafür hatten wir kein Muster an Erfahrung. Es ist ja zurecht immer der historische Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre gezogen worden. Von daher ist man auch hier natürlich stärker auf Suche nach Indikatoren. Aber wir beispielsweise vom IW waren auch im Frühjahr nicht so pessimistisch. Wir haben damals schon gesagt, es wird mit Minus 4,5 ausgehen. Warum? Weil neben den vertrauensbildenden Maßnahmen, die die Rettungspakete der Regierung an unterschiedlicher Stelle – Finanzmarkt und Konjunktur – ausgesendet haben, jede wirtschaftliche Bewegung auch immer aus sich heraus wieder zur Stabilisierung führt. Warum? Weil irgendwann die Auftragsbestände ein Mindestmaß erreicht haben, weil irgendwann die Lagerbestände ein Mindestmaß erreicht haben, sodass es von daher wieder Korrektursituationen gibt, und die haben sich im zweiten Quartal auch gezeigt, das ja schon positiv war.

Herr Hüther, unterliegen auch die Wirtschaftsforscher– zumindest einige– in schwierigen Zeiten der Versuchung, alles etwas schwärzer zu sehen?

Ja. Es ist zumindest schwierig, eine scheinbare Außenseiterposition einzunehmen. Das ist im Aufschwungprozess nicht ganz so kritisch, aber in einer Abschwungbewegung schon.

Also es ist schwierig zu sagen, es wird nicht so schlimm, wenn alle alles schwarz malen?

Ja. Das ist sicherlich ein Problem, das wir in dem Prognosediskurs haben, den wir als Institute gemeinsam mit der Öffentlichkeit und den Medien führen, und zumal in einer Zeit, wo sie dann ja nicht ganz harte Fakten haben, wo sie auf Argumentationsmuster verweisen müssen, wo sie auf Erwartungsindikatoren verweisen müssen.

Aber wie gesagt, mir schien diese minus Sechs, die die Institute, die jetzt zusammenkommen, im Frühjahr genannt hatten, auch schon damals nicht plausibel. Warum? Weil das für das ganze Jahr 2009 eine so negative Entwicklung bedeutet hätte, dass wir dann auch für 2010 über verschärften Einbruch bei der Beschäftigung und damit beim privaten Verbrauch eine sehr viel schlechtere Erwartung hätten haben müssen.

Sie haben als positiven Effekt, als eine Ursache für den Trend zum Besseren genannt das Agieren der Politik bei der Stabilisierung der Finanzmärkte. Sie haben in Ihrer Prognose, die vor einigen Wochen schon veröffentlicht wurde, auch davon gesprochen, dass die staatlichen Konjunkturprogramme ihre Stützungseffekte entfaltet hätten. Heißt das, weiter so und mehr davon?

Nein. Man muss ja Medizin nach dem Krankheitsbild dosieren. Wenn eine Depression ansteht oder beobachtbar ist, dann muss man Antidepressiva verabreichen. Das ist gemacht worden, sehr massiv, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Alles in allem haben die Konjunkturimpulse, die die Bundesregierung verabschiedet hat, zunächst einmal Erwartungseffekte ausgelöst, zumal das ja auch global parallel passierte, und beginnend dann im zweiten Quartal, vor allen Dingen aber jetzt im zweiten Halbjahr dieses Jahres auch über reale Produktionseffekte.

Damit ist aber auch die entscheidende Aufgabe von Konjunkturpolitik erfüllt, nämlich die Konjunkturwende zu stabilisieren, die Trendwende zu stabilisieren, und jetzt muss es im Grunde darum gehen, die Effekte, die die Konjunktur noch hat– wir werden ja steigende Defizite auch im nächsten Jahr in den Haushalten haben –, einfach hinzunehmen, aber eine aktive Konjunkturpolitik, eine aktive Verabreichung von Antidepressiva ist nicht mehr geboten.

Die Frage nach dem Umfang von Steuersenkungen beschäftigt im Augenblick, in diesen Stunden und Tagen, die Koalitionspolitiker in den Verhandlungen. Wie viel Spielraum ist vor dem Hintergrund der ja immer noch vorhandenen Krise und der enormen Haushaltsdefizite vorhanden dafür?

Der Spielraum für Steuersenkungen hängt von zwei Rahmenbedingungen ab. Das eine ist: Ist es eingebettet in eine insgesamt glaubwürdige Konsolidierungsstrategie, denn niemand würde etwas an positiven Eindrücken vermittelt, wenn in einer Zeit, wo die Schuldenbremse ja 2016 beim Bund, 2020 bei den Ländern zu erfüllen ist, einfach mal Steuersenkungen beschlossen würden, die nicht eingebaut sind in ein Konsolidierungsprogramm, das die Rückführung der Defizite gleichzeitig deutlich macht.

Das zweite ist: Es müssen dann schon Steuersenkungen sein, die Wachstumswirkungen haben und sehr schnell. Nun ist das bei Steuersenkungen insgesamt nicht so ganz einfach, aber wir kennen ein paar Themen wie die Belastung der Unternehmen, Aufschwung durch Substanzbesteuerung, wie die Frage der negativen Anreizwirkung unseres Einkommenssteuertarifs durch den hohen Entzugseffekt der Steuer in dem geringeren und mittleren Einkommensbereich, über die man etwas tun kann. Und insofern: An diese beiden Dinge gebunden ist sehr wohl Spielraum für Steuersenkungen. Man darf sich da auch nicht ins Boxhorn jagen lassen. Die Defizitentwicklung in diesem Jahr wird mit drei Prozent knapp noch im Rahmen von Maastricht bleiben. Das heißt, in dem Jahr der schärfsten rezessiven Entwicklung, die die Bundesrepublik gekannt hat, werden wir Maastricht nicht reißen. Das wird nächstes Jahr passieren, aber insgesamt ist das ja eine Situation, wo das dann auch mal akzeptabel ist.

Herr Hüther, wir sprechen jetzt von Zahlen zwischen 35 Milliarden Volumen bei Steuerentlastungen, wie die FDP sie fordert, oder 15 Milliarden, wie die CDU das sich nur vorstellen kann. Wo in diesem Korridor würden Sie, würde Ihr Institut mit einem Rat ansetzen?

Ich glaube, es ist die entscheidende Frage des Timings. Es ist ja auch von den Koalitionspartnern angedeutet, dass man das wie früher, wie in den 80er-, 90er-Jahren oder auch jetzt in diesem Jahrzehnt gemacht in zwei Stufen oder drei Stufen organisieren kann. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass man einen ersten Schritt in Höhe von zehn bis 15 Milliarden macht, beispielsweise diese Maßnahmen Substanzbesteuerung in der Unternehmenssteuer und einen Einstieg in die Glättung des Steuertarifs, künftig dann mehrere Schritte, ein Einstiegsvolumen zehn bis 15 Milliarden und dann nachgestaffelt im Laufe der Legislaturperiode, beginnend 2011.

Wir haben ja allein für 2010– das dürfen wir nicht vergessen– für den 1. Januar schon neun Milliarden Steuerentlastung durch die Senkung der Einkommenssteuer infolge der Anrechnung der Krankenversicherungsbeiträge. Also beginnend 2011 in Stufen. Ich glaube, da liegt auch der Kompromiss, den die Parteien finden werden.

Abschließend die Frage: Sie haben in Ihrer Analyse auch davon gesprochen, die Gefahr einer den Aufschwung gefährdenden Kreditklemme sei nicht gebannt. Wie groß ist die Gefahr im Augenblick?

Das ist die große Ungewissheit, die wir zu diskutieren haben. Wir haben bisher tatsächlich keine Kreditklemme, denn in der Bewegung, die wir jetzt hatten, der Abschwungbewegung, sind die Investitionen so stark zurückgeschnitten worden, dass der Finanzierungsbedarf so stark zurückging, dass auch kein Kreditbedarf seitens der Unternehmen da war.

Gewöhnlicherweise droht aber eine Klemme im Aufschwung, das heißt dann, wenn wieder investiert werden soll, und hier werden wir unterschiedliche Muster sehen. Nach wie vor wird gelten, dass die kleinen und mittleren Unternehmen zwar höhere Zinsen auch werden zahlen müssen, aber an die Kredite herankommen. Die Regionalinstitute sind insgesamt so aufgestellt, dass sie keine großen Bilanzkorrekturen vornehmen müssen.

Schwieriger wird es bei den Großfinanzierungen, und da muss man fragen, wie viel Ausweichreaktionen gibt es, beispielsweise dadurch, dass man auf den Kapitalmarkt das Unternehmen selbst begibt, es Unternehmensanleihen gibt, statt Kredite aufzunehmen. Und hier muss man sehr genau hinschauen. Da wäre auch noch zu überlegen, zu stärken beispielsweise den Verbriefungsmarkt, denn für den Verbriefungsmarkt würde, wenn wir Kredite aus den Bankbilanzen herausbekommen, gut gemacht, wie das die deutsche True-Sale-Initiative ja vorgegeben hat, würde Luft entstehen für künftige neue Kredite. Das ist ein Thema, wo man jetzt nicht auf einmal die große Lösung haben kann. Die Instrumente stehen aber bereit, mit dem Fonds, dem Deutschlandfonds, mit den Instrumenten eine Stabilität wieder aufzubauen.

Das Interview zum Anhören im Deutschlandfunk

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