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Die britische Premierministerin Theresa May tritt nach dem EU-Sondergipfel vor die Kameras. (© Foto: Getty Images)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 26. November 2018

Das Risiko eines chaotischen Brexits ist noch nicht gebannt

Auch wenn die EU den Brexit-Vertrag besiegelt hat, besteht die Gefahr eines ungeordneten EU-Austritts der Briten. Denn die Konfliktlinien gehen in London quer durch alle Parteien, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag im Handelsblatt.

Nun ging auf einmal alles doch ganz schnell. Kaum zehn Tage nachdem die Verhandler sich auf den Brexit-Scheidungsvertrag geeinigt hatten und schließlich die kapriolenbehaftete Zustimmung durch das britische Kabinett erreicht wurde, konnte auf dem Sondergipfel der Europäischen Union (EU) am Sonntag ebenfalls Einigkeit erzielt werden. Ermutigend ist die gemeinsame politische Erklärung über die Inhalte, den Rahmen und die Grundsätze des künftigen Miteinanders.

Bis zum regulären Ende der Übergangsfrist soll ein „übergreifender institutioneller Rahmen“, möglichst als Assoziierungsabkommen, in Kraft treten. Eine einmalige Verlängerung der Übergangsphase um ein oder zwei Jahre, längstens bis Ende 2022, ist nun vorgesehen.

Dennoch bleibt das Risiko, dass es zu einem ungeordneten, harten Brexit kommt, beachtlich. Das britische Unterhaus muss dem Scheidungsvertrag noch zustimmen, der politischen Absichtserklärung über die künftigen Beziehungen ebenso, um die Verhandlungen für den entsprechenden Freundschaftsvertrag zu legitimieren.

Die Lage im britischen Unterhaus ist unübersichtlich. Die Konfliktlinien gehen quer durch alle Parteien. Harte, kompromisslose Austrittsbefürworter stehen konstruktiv gestaltungswilligen Europaskeptikern gegenüber. Die Deutung dessen, was eine angemessene Umsetzung des völlig unspezifischen Brexit-Referendums ist, ist umstritten. Eine richtige „Remain“-Partei, die für den Verbleib des Landes in der Europäischen Union kämpft, gibt es nicht, sieht man mal von den geschrumpften Liberaldemokraten ab.

Der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn jedenfalls hat das Verhandlungsergebnis ebenso scharf kritisiert wie der frühere Tory-Außenminister Boris Johnson. Es bleibt allerdings unklar, wie aus dieser Kritik ein Gestaltungsansatz werden kann, da beide Positionen wiederum unvereinbar sind.

Klar ist nun aber, was ein harter Brexit bedeuten würde, da im Scheidungsvertrag die Handlungsbereiche benannt und in der politischen Absichtserklärung der Verhandlungsspielraum für die dauerhafte Lösung skizziert wird. All das wäre Makulatur und zugleich bliebe die internationale Einbindung des Königreichs unklar, weil ein Beitritt zur WTO erst zu verhandeln wäre.

Ein harter Brexit hieße, einen ungeordneten und wegen der vielen ungeregelten Fragen sicher chaotischen Ausstieg aus der EU zu erleben. Das britische Pfund würde massiv unter Abwertungsdruck geraten, und es drohten deutliche Realeinkommensverluste bei ohnehin seit einigen Jahren fast nur stagnierenden nominalen Löhnen auf der Insel.

Auch der Euro dürfte international etwas an Wert verlieren, weil das Zutrauen in die europäische Integration beschädigt wäre. Die Gewinne an preislicher Wettbewerbsfähigkeit werden die Kosten der Unsicherheit und des Chaos indes nicht kompensieren.

Nun droht Theresa May ihren Kritikern damit, dass die Alternative zum geordneten Brexit nicht der ungeordnete sei, für den es kein Mandat gebe, sondern der Verzicht auf den Brexit. Das ist clever, doch bleibt fraglich, ob die Brexit-Hasardeure das wirklich schreckt.

Mit rationalen Argumenten und aufgeklärter Information hatte schon die ganze Brexit-Kampagne wenig zu tun. Möglicherweise wird aber die Reaktion der Bürger diesmal eine andere sein, weil sie den Preis dieser Alternative nun besser einschätzen können, Lügen erkennen und dies in möglichen Neuwahlen deutlich machen.

Die Idee eines Assoziierungsabkommens macht Sinn, da man einen besonderen Beziehungsstatus erhält, aber keine Vollmitgliedschaft erlangt. Alle Wirtschaftssektoren sollen von Zöllen und Mengenbeschränkungen befreit bleiben, eine harte Grenze auf der irischen Insel soll es nicht geben.

Für den Dienstleistungshandel und bei Investitionen wird ein Liberalisierungsniveau oberhalb des WTO-Standards angestrebt. Unnötige regulatorische Anforderungen sollen vermieden werden, auch durch eine institutionalisierte Kooperation.

Für die Regulierung der Finanzmärkte soll eine Äquivalenzprüfung in der Übergangsfrist vorgenommen werden. Europäische Pässe wird es für britische Banken und Finanzdienstleister nicht geben. Für den Flugverkehr wird ein umfassendes Luftverkehrsabkommen verhandelt.

Die Agenda für den künftigen Freundschaftsvertrag ist lang und komplex. Einfache Verhandlungen werden das nicht. Aus heutiger Sicht wird angesichts des Brexit-Referendums kaum mehr möglich sein als in der politischen Erklärung benannt. Bis dahin behilft man sich mit einem Quasi-Norwegen-Status: Man ist dabei und darf dafür zahlen, man darf aber nicht mit(be)stimmen.

Es ist möglich, dass dieser Status mit seinem praktischen Einüben – zumal bei Verlängerung bis zum 31.12.2022 – an Attraktivität gewinnt. Er trägt der Komplexität der Beziehungen Rechnung und hat geringere Transaktionskosten. Dafür müsste freilich die EU akzeptieren, dass es trotz eines gemeinsamen Marktes keine Arbeitnehmerfreizügigkeit mit der Insel geben wird.

Zum Gastbeitrag auf handelsblatt.com

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