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Hubertus Bardt in der Fuldaer Zeitung Gastbeitrag 17. Juli 2011

55 Milliarden Euro kostet der Schnellausstieg

Alles erscheint so einfach, schreibt IW-Energieökonom Hubertus Bardt in der Fuldaer Zeitung. Das Reaktorunglück in Japan führt dazu, dass die Akzeptanz der Kernenergie in der Bevölkerung weggebrochen ist, also reagiert die Politik: Die Kraftwerke werden innerhalb des nächsten Jahrzehnts abgeschaltet. Aber der von der Bundesregierung verordnete Ausstieg aus der Kernenergie hat seinen Preis.

Je nachdem, ob die fehlenden Strommengen durch Kohle oder Gas ersetzt und in alten oder neuen Kraftwerken erzeugt werden, kostet die Energiewende zwischen 35 und 74 Milliarden Euro – im Schnitt 55 Milliarden Euro. Schon im März wurden die sieben ältesten Atommeiler und das Kernkraftwerk Krümmel zunächst vorläufig stillgelegt; inzwischen geht in diesen Anlagen gar nichts mehr. Damit mussten kurzfristig rund 5 Prozent des hierzulande benötigten Stroms auf andere Weise erzeugt werden; mit dem kompletten Ausstieg aus der Kernenergie müssen sogar 22 Prozent anderweitig gewonnen werden.

Den schnellen Ausstieg aus der Kernenergie gibt es nicht zum Nulltarif: Vor allem die unterschiedlichen Stromerzeugungskosten schlagen zu Buche. Strom aus Kohle und Gas zu gewinnen, ist beispielsweise teurer als die Produktion in Kernkraftwerken. Noch kostspieliger wäre es, den zusätzlichen Strom aus Sonnen- und Windenergie zu gewinnen. Um erneuerbare Energien in großem Stil zu nutzen, fehlen zudem noch die Netze. Lässt man daher die Kosten für den Ausbau und die Investitionen in die alternativen Energien außen vor, ergeben erste Schätzungen Folgendes: Durch den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie fallen für die nächsten zwei Jahrzehnte zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe an. Besonders teuer wird es, wenn neue Gaskraftwerke gebaut werden müssen. Wenn man bestehende Braunkohlekraftwerke weiter nutzen kann, bleibt es vergleichsweise billig. Im Durchschnitt aller Kraftwerk-Varianten verursacht der Atomausstieg Zusatzkosten von rund 55 Milliarden Euro.

Teile der Kosten zahlen die Stromunternehmen, deren Betriebsvermögen durch die vorzeitige Abschaltung der Kraftwerke teilweise vernichtet wird. Einen großen Teil der Kosten wird der Staat zahlen müssen, weil Brennelementesteuer, Gewinnabschöpfungen und reguläre Steuern der Erzeuger und Verbraucher spärlicher fließen. Hohe Belastungen kommen aber auf die Verbraucher zu. Kurz nachdem die ersten Kernkraftwerke abgeschaltet wurden, ist der Großhandelspreis für Strom um gut 10 Prozent gestiegen. Der Schnellausstieg der ersten Hälfte hat die Strompreise an den Börsen also um knapp 1 Cent je Kilowattstunde in die Höhe getrieben. Wenn es bei diesen Preisanstiegen bleibt, sind die Folgen für einen typischen privaten Haushalt noch moderat: Die Stromrechnung wird um etwa 35 Euro im Jahr steigen, was für die meisten verkraftbar sein dürfte.

Gemessen am durchschnittlichen Stromverbrauch der vergangenen Jahre, bedeutet dieser Preisanstieg Mehrkosten für die Industrie in Höhe von 1,9 Milliarden Euro im Jahr. Besonders betroffen sind die energieintensiven Branchen: Die Papierindustrie sieht sich mit Mehrkosten in der Größenordnung von 150 Millionen Euro jährlich konfrontiert, bei der Chemieindustrie sind es 340 Millionen Euro und die Metallbranche muss mit Mehrkosten von 460 Millionen Euro rechnen. Die Stromrechnung der Autoindustrie steigt durch den beschleunigten Kernenergieausstieg um 160 Millionen Euro pro Jahr.

Für die energieintensiven Industrien sind diese Mehrkosten ein erhebliches Problem. Dass dies im Rahmen des rasanten Kurswechsels der Bundesregierung kaum diskutiert und nicht gelöst wurde, zählt zu den entscheidenden Defiziten des beschleunigten Ausstiegs. Wenn eine Wertentscheidung gegen die Kernenergie gefällt wird, müssen die Kosten wenigstens berücksichtigt werden. Das gehört zur Ehrlichkeit der Debatte. Sonst macht man es sich zu einfach.

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