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Michael Hüther Gastbeitrag 11. Juni 2009

Umverteilung funktioniert

Was Anlass zur Zufriedenheit schafft, schreckt die Sozialbürokratie – weil sie längst zum Selbstzweck geworden ist.

Eine Politik des stets und unzweifelhaft Gutgemeinten lässt keinen Raum für die sachliche Betrachtung der Fakten. Statt analytisch und empirisch der Frage nachzugehen, wie der Umverteilungsapparat unseres Sozialstaates wirkt, steht das gefällige Vorurteil im Raum: Wir täten zu wenig, unsere heiligen Ziele würden durch unsere irdischen Anstrengungen nicht erreicht, es sei gar eine Schande für unser Land!

Weitsichtig sah Ludwig Erhard dies voraus: „Nichts ist in der Regel unsozialer als der sogenannte. Wohlfahrtsstaat. ... Solche Wohltat muss das Volk immer teuer bezahlen, weil kein Staat seinen Bürgern mehr geben kann, als er ihnen vorher abgenommen hat – und dann noch abzüglich der Kosten einer zwangsläufig immer mehr zum Selbstzweck ausartenden Sozialbürokratie“ (1958). Wer umfangreiche Leistungen der sozialen Sicherung anbietet, der schafft einen Verwaltungsbedarf, der mit der Zeit das gute Gewissen zu sein beansprucht, gar dazu mutiert.

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat in einem mehrjährigen Projekt Licht ins Dickicht der Umverteilungswirkungen unserer Steuer- und Sozialpolitik gebracht. Wir haben dazu die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes genutzt, die alle fünf Jahre erhoben wird und einen umfassenden Datenbestand zur Einkommensverteilung anbietet. Angesichts des komplexen Geflechts verschiedener Instrumente lassen sich Umverteilungsströme sinnvoll nur auf der Haushaltsebene und nicht für Individuen nachvollziehen.

Die Komplexität des Systems und die Tatsache, dass es historisch gewachsen ist, legten die Erwartung nahe, dass die Zielgenauigkeit sehr hoch nicht sein kann. Doch mit Erstaunen mussten wir feststellen, dass dem so nicht ist. Im Gegenteil: Beide Ziele, die seitens der Politik seit langem vorgegeben sind – die Korrektor der vom Markt her gegebenen Einkommensverteilung sowie die Bekämpfung von Armut – werden erreicht. Die Effektivität des Systems ist eindrucksvoll, sie hat sich im Zeitablauf auch kaum verändert.

In der Analyse wurde für die Haushalte der Saldo aus Einkommensteuern plus Sozialbeiträgen einerseits sowie aus monetären Sozialleistungen andererseits ermittelt. Die vier Zehntel der Haushalte mit den niedrigsten Markteinkommen erhalten alle mehr, als sie zahlen. Ab dem fünften Zehntel der Haushalte steigt der Nettofinanzierungsbeitrag kontinuierlich von 21 Prozent des Markteinkommens auf 41 Prozent an. Das Prinzip „Wer mehr verdient, zahlt mehr“ wird dabei konsequent durchgehalten. Die vielfach vermutete Umverteilung von der linken in die rechte Tasche lässt sich nicht bestätigen. Gäbe es sie, müssten die mittleren Einkommensschichten ebenso hohe Transferzuflüsse wie Abgabenlasten haben. Stattdessen schmelzen die Transferbeträge mit steigendem Markteinkommen ebenso kontinuierlich ab, wie die Abgabenlasten zunehmen.

Vergleicht man die Daten der letzten drei Erhebungszeitpunkte -1993, 1998 und 2003 – miteinander, so hat die Spreizung der Markteinkommen um 36 Prozent zugenommen, wie es angesichts sich intensivierender internationaler Arbeitsteilung und des technischen Fortschritts zu erwarten war. Gleichzeitig aber – und das erstaunt wiederum – gelingt es, durch Steuern, Sozialabgaben sowie Transfers die Ungleichverteilung der Nettoeinkommen nahezu unverändert effektiv zu mindern. Der Abstand zwischen den höchsten und den niedrigsten Nettoeinkommen hat sogar leicht abgenommen. Vor allem das Einkommensteuersystem erklärt dies.

Schließlich zeigt sich im Einklang mit dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, dass die Armutsquote, also der Anteil der Personen mit weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Einkommens, durch das Steuer- und Transfersystem effektiv gesenkt werden kann, von knapp 35 Prozent auf gut 13 Prozent.

Diese und andere Ergebnisse haben einen Aufschrei der Entrüstung bei jenen ausgelöst, die mit der Fürsorge Geld verdienen oder dadurch ihre Existenzberechtigung begründen. Das geübte Klagelied klingt nunmehr schief, und die Drohkulissen, die jede politische Reformerwägung begleiten, verlieren ihre einschüchternde Wirkung. Wenn man mit den Ergebnissen nicht leben kann, aber muss, dann versucht man die amtliche Datengrundlage zu desavouieren. Da dies aber nicht gelingt, läuft die Kritik ins Leere. Die Sozialbürokratie reagiert harsch und lässt jeden konstruktiven Ansatz vermissen. Das zeigt, dass sie tatsächlich wie von Erhard erwartet zum Selbstzweck ausgeartet ist.

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