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Maike Haag / Simon Schumacher IW-Kurzbericht Nr. 13 7. März 2024 Erfinderinnen in der pharmazeutischen Forschung

Die innovative Pharmaindustrie baut auf weibliche Expertise. So nehmen Frauen in der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel eine immer bedeutendere Rolle ein: Im Jahr 2020 war jede fünfte Patentanmeldung pharmazeutisch tätiger Unternehmen am Standort Deutschland auf Erfinderinnen zurückzuführen.

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Erfinderinnen in der pharmazeutischen Forschung
Maike Haag / Simon Schumacher IW-Kurzbericht Nr. 13 7. März 2024

Erfinderinnen in der pharmazeutischen Forschung

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die innovative Pharmaindustrie baut auf weibliche Expertise. So nehmen Frauen in der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel eine immer bedeutendere Rolle ein: Im Jahr 2020 war jede fünfte Patentanmeldung pharmazeutisch tätiger Unternehmen am Standort Deutschland auf Erfinderinnen zurückzuführen.

Die pharmazeutische Industrie ist für ihren überdurchschnittlichen Anteil sowohl an hochqualifizierten als auch weiblichen Beschäftigten bekannt. Mehr als 41 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Branche sind Frauen (Statistisches Bundesamt, 2023a). Im Vergleich zu den anderen Spitzentechnologiebranchen am Standort liegt die Pharmaindustrie damit in Sachen Beschäftigung von Frauen weit vorne. Dabei sind Frauen in der Branche nicht nur auf den niedrigen und mittleren, sondern ebenso auf höheren Qualifikationsniveaus stark repräsentiert. Betrachtet man die geschlechtsspezifische Verteilung der Beschäftigten auf den unterschiedlichen Qualifikationsniveaus, zeigen sich jeweils nur marginale Verteilungsunterschiede.

Damit verfügt die Pharmabranche über exzellente Voraussetzungen, um im Forschungs- und Patentbereich besondere Erfolge ihrer weiblichen Belegschaft zu erzielen. Für Spitzentechnologiebranchen wie die Pharmaindustrie, deren Kerngeschäft am Standort Deutschland in der Forschung und Entwicklung neuer und verbesserter Wirkstoffe und Arzneimittel liegt, können erfolgreiche Patentanmeldungen eine entscheidende Rolle für ihre Zukunftsfähigkeit spielen. Aufgrund ihres innovativen Geschäftsmodells müssen die hier tätigen Unternehmen stetig neue Innovationen hervorbringen, um sich im internationalen Wettbewerb erfolgreich positionieren zu können. Damit sind innovative Pharmaunternehmen im besonderen Maße auf ihre hochqualifizierten Beschäftigten in der Forschung und Entwicklung angewiesen.

Anhand einer entsprechenden Auswertung der IW-Patentdatenbank kann gezeigt werden, wie sich die Beteiligung von Frauen an den Patentaktivitäten der pharmazeutischen Industrie über die vergangenen Dekaden hinweg entwickelt hat. Dabei wird deutlich, dass Frauen einen immer größeren Beitrag zur Innovationstätigkeit der Branche am Standort leisten.

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Die IW-Patentdatenbank erfasst in einem integrierten Ansatz alle Patentanmeldungen des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA), des Europäischen Patentamts (EPO) sowie der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), die seit dem Jahr 1994 Schutzwirkung für Deutschland oder darüber hinaus anstreben oder angestrebt haben. Patentanmeldungen juristischer Personen aus Deutschland sind bei einer Abdeckungsquote von 100 Prozent passgenau zugeordnet und werden fortlaufend aktualisiert. Die Erfassung der Branche erfolgt dabei auf Basis der amtlichen Klassifikation der Wirtschaftszweige 2008 (Statistisches Bundesamt, 2010). Aufgrund einer Offenlegungsfrist der Patentanmeldungen bildet 2020 das zum Auswertungszeitpunkt aktuelle Jahr.

Die folgenden Auswertungen basieren auf den Patentanmeldungen aller rund 51.200 gewinnerzielungsorientierten Unternehmen, die im Zeitraum 1994 bis 2020 mindestens eine Patentanmeldung hervor-gebracht haben, an der Erfindende aus Deutschland beteiligt waren. Rund 1.700 dieser am Forschungsstandort Deutschland patentaktiven Unternehmen sind dem Pharmabereich zuzuordnen; bei diesen handelt es sich überwiegend um Hersteller pharmazeutischer Spezialitäten oder Grundstoffe sowie um auf den Pharmabereich spezialisierte Forschungs- oder IT-Dienstleister. Vereinfachend wird diese Grundgesamtheit im Folgenden als pharmazeutisch tätige Unternehmen bezeichnet.

Zur Analyse des Beitrags von Erfinderinnen zum Patentgeschehen wird auf eine vom IW entwickelte Vornamensdatenbank zurückgegriffen, die jedem Erfindenden auf Basis des Vornamens eines der Geschlechter weiblich, männlich oder unisex zuordnet (Koppel et al., 2019). Die Patente werden in fraktionaler Zählweise zugeteilt: Werden in einer Patentanmeldung beispielsweise zwei Erfindende mit männlichem und eine Erfindende mit weiblichem Vornamen aufgeführt, wird dieses Patent zu einem Drittel der Fraktion der Erfinderinnen zugerechnet.

Ergebnisse

Frauen leisten anteilig einen immer größeren Beitrag zur Patentaktivität der pharmazeutisch tätigen Unternehmen am Standort Deutschland. Im Jahr 2020 ging im Durchschnitt jede fünfte Patentanmeldung auf Frauen zurück. Seit dem Jahr 1994 ist der Anteil der Patentanmeldungen, der auf Frauen entfällt, um 15,5 Prozentpunkte angestiegen. Dies entspricht mehr als einer Vervierfachung innerhalb des Analysezeitraums. Allerdings zeigen sich die Patentanmeldungen im pharmazeutischen Bereich seit längerem rückläufig. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen konnten Frauen ihre Patentaktivität auf einem stabilen Niveau halten.

Im hochinnovativen Zukunftsfeld der Biotechnologie ist der Beitrag von Erfinderinnen sogar noch größer. Ermittelt wird dies über die Identifikation sogenannter IPC-Klassen, die gemäß Definition der OECD der Biotechnologie zugerechnet werden (OECD, o. J.). Eine Patentanmeldung wird dem Bereich Biotechnologie zugerechnet, sobald sie mindestens eine der Technologieklassen aus der besagten Liste zitiert. Innerhalb der biotechnologischen Patentanmeldungen der pharmazeutisch tätigen Unternehmen am Standort Deutschland ist der Erfinderinnenanteil von 6 Prozent im Jahr 1994 auf über 25 Prozent im Jahr 2020 gestiegen. Am aktuellen Rand entfällt folglich jede vierte biotechnologische Patentanmeldung dieser Unternehmen am Standort Deutschland auf Frauen.

Unter den Patentanmeldungen der übrigen rund 49.500 Unternehmen, die nicht pharmazeutisch tätig sind, ist der Beitrag von Erfinderinnen im Vergleichszeitraum dagegen von 1,8 auf 5,5 Prozent gestiegen. Verglichen mit anderen Branchen scheinen Erfinde-rinnen in pharmazeutisch tätigen Unternehmen ihr Potenzial besser entfalten zu können. Damit nimmt die Branche eine Vorreiterrolle ein, wenn es um die Gleichstellung der Geschlechter geht. Zukünftig wird der Erfinderinnenanteil am Pharmastandort Deutschland voraussichtlich noch weiter steigen.

  • Innerhalb der MINT-Fächer ist der Frauenanteil in naturwissenschaftlichen Studiengängen mit mehr als der Hälfte aller Studierenden im Wintersemester 2022/2023 besonders hoch, indes stieg der Frauenanteil in den übrigen MINT-Studiengängen an (Statistisches Bundesamt, 2023b). Auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft steht somit ein höheres Arbeitskräftepotenzial an entsprechend qualifizierten Frauen zur Verfügung.
  • Der Bereich der Biopharmazeutika wird innerhalb der Pharmabranche zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Da Frauen in diesem Bereich bereits heute überdurchschnittlich zum Innovationsgeschehen beitragen, könnten sie von der zu er-wartenden Verschiebung der Forschungsschwerpunkte besonders profitieren.

Auch eine Studie des Europäischen Patentamts kommt zu dem Ergebnis, dass die sogenannte Genderlücke in der Patentaktivität stark mit der entsprechenden Technologie variiert. Je innovativer das Forschungsfeld und je näher dieses im Zusammenhang mit den Zukunftstechnologien der Lebenswissenschaften steht, desto höher liegt der Frauenanteil im Patentgeschehen (EPO, 2022).

Trotz dieser insgesamt positiven Entwicklungen scheinen die Zahlen aber ebenso auf den sogenannten „Glass Ceiling Effect“ hinzudeuten. Denn angesichts der auch auf höherem Qualifikationsniveau annähernden Geschlechterparität in der Pharmabranche bleiben Erfinderinnen in puncto Patentanmeldungen unterrepräsentiert. Vor dem Hintergrund, dass die Erhöhung der Beteiligung von Frauen in der patent-nahen Forschung eine der großen Herausforderungen und gleichzeitig Chancen für den Innovationsstandort ist, gilt es die Ursachen und Gründe für die Disparität zwischen Beschäftigungsanteil insgesamt und Erfinderinnenanteil an den Patentaktivitäten zu analysieren. Denn die Nutzung des gesamten Potenzials am Standort ist ein Schlüsselfaktor für die nachhaltige Entwicklung sowie zum Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie am Standort Deutschland.
 

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