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Michael Hüther / Thilo Schaefer auf Focus Online Gastbeitrag 28. November 2023

Um Klima und Industrie zu retten, muss die Ampel an die Schuldenbremse ran

Die Weltklimakonferenz steht bevor – und Deutschland fehlen 60 Milliarden im Klima- und Transformationsfonds. Ein herber Schlag für Deutschland und seine Industrie. IW-Direktor Michael Hüther und Thilo Schaefer, Leiter des Themenclusters Digitalisierung und Klimawandel, erklären, wie die EU und Deutschland nun die Industrie und das Klima retten können.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023, zwei Wochen vor der Weltklimakonferenz, war ein Paukenschlag. Die Umwidmung nicht genutzter Corona-Mittel in den Klima- und Transformationsfonds ist nicht zulässig und damit fehlen 60 Milliarden Euro, mit denen in den nächsten Jahren die Klimapolitik in Deutschland eigentlich Fahrt aufnehmen sollte.

Vor allem für die deutsche Industrie ist dies ein herber Rückschlag angesichts der enormen gleichzeitigen Herausforderungen durch gestörte Lieferketten, fehlende Fachkräfte, mangelnde Digitalisierung und hohe Energiekosten. Sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie als auch die klimafreundliche Transformation der deutschen Wirtschaft sind dadurch belastet.

Klima-Kooperation ist derzeit nicht die höchste Priorität

Dabei besteht weltweit dringender Handlungsbedarf zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, wie der gerade veröffentlichte Klimabericht des UNO-Umweltprogramms UNEP zeigt. Selbst bei einer Umsetzung aller in Folge des Pariser Klimaabkommens zugesagten Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 drohe bis zum Jahr 2100 eine Erwärmung um 2,9 Grad und in der Folge häufigere Naturkatastrophen, Hungersnöte und Fluchtbewegungen.

Die aktuell an mehreren Brandherden ausgetragenen geopolitischen Verwerfungen lassen gleichwohl die zur konsequenten Bekämpfung des Klimawandels notwendige internationale Koordination der Klimaschutzpolitik unrealistisch erscheinen. Vielmehr setzen zahlreiche Staaten auf Maßnahmen zum Schutz ihrer eigenen Bevölkerung und Wirtschaft, versuchen Abhängigkeiten von anderen Staaten zu reduzieren und setzen auf heimische Produktion und damit die Stärkung ihrer Resilienz.

Wie die EU nun das Weltklima retten kann

Die Europäische Union , die mit dem Green Deal die Anforderungen des Pariser Klimaabkommens umsetzen und bis 2050 Treibhausgasneutralität erreichen will, hat ihre Maßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes verschärft. Die zulässigen Emissionen werden schneller begrenzt und zukünftig werden weniger kostenlose Zertifikate an Unternehmen ausgegeben, die im internationalen Wettbewerb stehen.

Diese Maßnahme zum Schutz der Wettbewerbsfähigkeit wird schrittweise durch einen Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) abgelöst, der die Importeure von Grundstoffen ebenfalls für die in der Produktion angefallenen CO2-Emissionen zur Kasse bittet, damit auf dem europäischen Binnenmarkt faire Wettbewerbsbedingungen entstehen. Die EU-Kommission muss jedoch noch nachbessern, damit der Kostendruck nicht auf stark exportierende Unternehmen und nachgelagerte Branchen verlagert wird.

Durch die Einführung von CBAM sollen nicht nur europäische Unternehmen, sondern auch diejenigen, die ihre Waren in die EU liefern wollen, klimafreundlicher werden. Doch vielerorts wird der CBAM als Protektionismus wahrgenommen. Der US-amerikanische Inflation Reduction Act (IRA) ist in erster Linie als Paket zum Schutz der einheimischen Wirtschaft konzipiert.

Zugleich soll der IRA US-amerikanischen Unternehmen ermöglichen, auf klimafreundliche Zukunftstechnologien zu setzen. Zudem sollen Batteriefertigungsfabriken in den USA angesiedelt werden, und klimaneutral erzeugter Wasserstoff wird genauso gefördert wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Zugang zu den dazu vorgesehenen unbürokratischen Steuererleichterungen haben jedoch in erster Linie amerikanische Unternehmen.

Plötzlich setzen die USA uns unter Zugzwang

Zunächst scheint dadurch ein transatlantischer Wettbewerb um die Vorreiterrolle bei Zukunftstechnologien entbrannt – ein Ringen um die günstigsten Standortbedingungen. Die Europäische Union hat als Reaktion darauf den Net Zero Industry Act aufgelegt, der europäische Förderprogramme stärkt und die Beihilferegeln gelockert, mit denen ein Subventionswettlauf zwischen den europäischen Mitgliedstaaten verhindert werden soll. Die USA, die aus europäischer Warte lange nicht als Vorreiter beim Klimaschutz wahrgenommen wurden, haben die EU unter Zugzwang gesetzt.

Ob gleichzeitig auch mehr Koordination eine Chance hat, könnte sich in den derzeitigen Verhandlungen zwischen den USA und der EU über die Stahl- und Aluminiumzölle zeigen. Die Schwierigkeiten beim in Aussicht genommenen EU-US-Rohstoffabkommen sind jedenfalls wenig ermutigend. Der IRA enthält eine Öffnungsklausel mit der Möglichkeit, die Vorteile auf Unternehmen aus Ländern mit Handelsabkommen auszudehnen. Und im Rahmen von CBAM wird die Europäische Kommission mit den wichtigsten Handelspartnern der europäischen Mitgliedstaaten Vereinbarungen über gemeinsame Standards zur Verifizierung und Abgrenzung der Emissionen treffen müssen.

Wie Deutschland jetzt das Weltklima retten kann

Deutschland ist mit seinem hohen Industrieanteil und damit verbundenen Dienstleistungs¬unternehmen in besonderem Maße von einer Verschiebung der Wettbewerbsbedingungen betroffen. Hinzu kommen spezifische Belastungen, die durch politische Entscheidungen und Versäumnisse in den letzten Jahren zustande gekommen sind. Trotz der gesetzlichen Festlegung besonders ambitionierter Ziele, namentlich der Klimaneutralität schon bis 2045, kommen zahlreiche Vorhaben zur dafür notwendigen Transformation in allen Sektoren nur langsam voran.

Der dringend notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien gewinnt aufgrund von langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren, Personalengpässen und mangelhafter Digitalisierung der Verwaltung nur langsam an Fahrt. Die für den Umbau der Energieversorgung notwendigen Stromnetze und -speicher sowie eine auf mehr Flexibilität ausgerichtete Regulierung sind bestenfalls rudimentär vorhanden.

Atomausstieg: Die fatale Verknappung

Dennoch wurden grundlastfähige Kraftwerke bereits abgeschaltet und dadurch das Stromangebot verknappt. Dies sorgt in Verbindung mit den infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine insgesamt gestiegenen Energierohstoffkosten für höhere Strompreise, angesichts derer Maßnahmen zum Abbau der Belastung von Umlagen und Abgaben verpuffen.

Ein Energieträgerwechsel in Richtung Strom, der bei steigendem Anteil regenerativer Erzeugung die Emissionen senkt, wird dadurch unattraktiv, zumal häufig zuerst umfangreiche Investitionen in die Produktionstechnologie notwendig sind, damit Strom oder strombasierte Energieträger wie Wasserstoff eingesetzt werden können. Da klimafreundlicher Strom zudem zum Heizen von Gebäuden mithilfe von Wärmepumpen und der Fortbewegung mit batterieelektrischen Fahrzeugen zum Einsatz kommen soll, wird die Stromnachfrage weiter steigen.

Deutschland wird unattraktiver für Zukunftstechnologien

Die Kosten und Risiken, die durch die staatlich forcierte Beschleunigung der Klimaschutzpolitik entstehen, muss der Staat entsprechend abfedern. Diesem Ansatz folgen die Klimaschutzverträge, die die Förderung auf die Mehrkosten begrenzen sollen, die aufgrund des Kilmaschutzes anfallen. Doch nun stehen nicht nur die Klimaschutzverträge, sondern weitere Maßnahmen wie die gerade erst beschlossene Verlängerung der Strompreiskompensation für besonders energieintensive Unternehmen sowie Mittel zum Infrastrukturausbau bei der Bahn unter Finanzierungsvorbehalt.

Dadurch droht Deutschland nicht nur beim Klimaschutz zurückzufallen, sondern als potenzieller Standort für klimafreundliche Zukunftstechnologien mehr und mehr an Attraktivität zu verlieren. Mangels verlässlicher Perspektiven hinsichtlich mittelfristig wettbewerbsfähiger Energiekosten werden Investitionen hierzulande zurückgestellt. Energieintensive Unternehmen haben ihre Produktion an deutschen Standorten bereits zurückgefahren.

Es geht um den Industriestandort Deutschland

Die Bundesregierung muss deshalb schleunigst das Ruder herumreißen und ihre Prioritäten neu setzen. Es geht um nicht weniger als die Zukunft des Industriestandorts Deutschland, der für Investoren und Fachkräfte attraktiv bleiben muss, die sonst andernorts günstigere Bedingungen vorfinden.

Die Transformation in Richtung Klimaneutralität zu bewältigen, ist eine Mammutaufgabe mit weitreichenden Konsequenzen für zukünftige Generationen, die entsprechend an der Finanzierung dieser Aufgaben zu beteiligen sind. Die Schuldenregeln, die von der aktuellen Bundesregierung mit Blick auf Fonds und Sondervermögen auch nur halbherzig und – wie das Verfassungsgerichtsurteil offenbart hat – mit schwerwiegenden handwerklichen Fehlern umgesetzt wurden, bedürfen einer Anpassung an die Herausforderungen des Kilmaschutzes.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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