1. Home
  2. Presse
  3. In den Medien
  4. Schuldenbremse: Frische Impulse dank systematischer Steuerreformen
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 5. April 2024

Schuldenbremse: Frische Impulse dank systematischer Steuerreformen

IW-Direktor Michael Hüther plädiert in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt für eine Ordnungspolitik, die endlich auf der Höhe der Zeit ist und neue Impulse für die Wirtschaft setzt. Sein Vorschlag: ein neuer Ausnahmetatbestand.

Immer seltsamere Blüten bringt die Debatte um die Schuldenbremse hervor, wenn jüngst selbst profilierte Vertreter der Wirtschaft zwar mit Blick auf den internationalen Steuerwettbewerb starke Steuersenkungen fordern, aber angesichts des ewigen Bekenntnisses zur Schuldenbremse hinzufügen, dass diese nicht durch öffentliche Verschuldung ermöglicht werden sollen.

Makroökonomisch wird damit die Geschichte erzählt, dass der Staat Wachstumsimpulse schafft, indem er staatliche Ausgaben in Steuersenkungen ummünzt. Werden konsumtive Ausgaben eingeschränkt und investive Ausgaben gesichert, dann kann das – wie Studien für die Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen – funktionieren, wenn der ohne Zweifel drohende Verteilungsstreit keine volkswirtschaftlichen Störeffekte zur Folge hat. Es ist aber davon auszugehen, dass es die kurzfristig variableren Investitionsausgaben trifft. Und dann wäre wenig bis nichts gewonnen.

Steuerreformen mit hohen Milliardenbeträgen an Nettoentlastungen gab es früher regelmäßig

Angesichts der historisch hohen Steuerquote, der massiven Steuerprogression bei den unteren und mittleren zu versteuernden Einkommen sowie der international nicht mehr wettbewerbsfähig hohen effektiven Steuerlast der Unternehmen ist die Forderung nach einer großen Steuerreform gut begründbar.

Steuerreformen mit hohen zweistelligen Milliardenbeträgen an Nettoentlastungen gab es beispielsweise 1986, 1988 und 1990. Aus heutiger Sicht muss dieses Handeln den kompromisslosen Verfechtern der Schuldenbremse als ungeheuerliche Verantwortungslosigkeit erscheinen. Waren Helmut Kohl und seine Finanzminister Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel Hasardeure?

Nein, diese Einkommensteuertarifreform war historisch. Denn in einer Zeit, in der zwei Drittel der Steuerzahler von der Progressionszone des Tarifs betroffen waren (1960 rund zehn Prozent) und damit dem damals sogenannten Mittelstandsbogen unterlagen, war die Einführung des linear-progressiven Tarifs in der letzten Stufe ein großer Schritt hin zu einer fairen und leistungsfreundlichen Einkommensteuer.

Die Steuerpflichtigen in der unteren Proportionalzone des Einkommensteuertarifs wurden um ein Drittel, die im Bereich des linear-progressiven Tarifs um ein Viertel und die im oberen Proportionalbereich um zehn Prozent entlastet. Die Steuerausfälle erreichten 1986 knapp zehn Milliarden D-Mark, 1988 rund 15 Milliarden und schließlich 1990 – nach Abzug der Gegenfinanzierung – gut 21 Milliarden D-Mark. Das wurde wachstumspolitisch begründet und volkswirtschaftlich eingelöst.

Die Schuldenbremse ist faktisch eine Steuersenkungsbremse

Der durchgängig linear-progressive Tarif ist Geschichte, seit Längerem greifen zwei unterschiedlich steile linear-progressive Tarife, sodass die unteren zu versteuernden Einkommen sich in der steilsten Progressionszone befinden; der Mittelstandsbogen ist als Mittelstandsbauch zurück. Der Spitzensteuersatz (42 Prozent) beginnt seit Jahresanfang 2024 zwar erst bei 66.700 Euro – doch während das Verhältnis zwischen Einsetzen des Spitzensteuersatzes und durchschnittlichem Bruttogehalt im Jahr 1960 beim Faktor 18 und im Jahr 1990 bei 2,5 lag, erreicht es heute gut 1,5. Der Reformvorschlag der FDP für die Bundestagswahl 2021, der konsequent beim Tarifverlauf und beim Spitzensteuersatz ansetzte, kam entsprechend auf Steuerausfälle von rund 75 Milliarden Euro jährlich.

Solche Entlastung der Steuerzahler kann im demokratischen Gruppenstaat nicht durch Vorfinanzierung ermöglicht werden, wie es die Schuldenbremse erforderte. Diese ist faktisch eine Steuersenkungsbremse. Das Ringen um das Wachstumschancengesetz ist der aktuelle Beleg bei schon viel geringeren Steuerausfällen.

Man könnte indes überlegen, wachstumsförderliche Steuersenkungen als Ausnahmetatbestand von der Schuldenregel zu definieren. Konkret bedeutete dies, für Steuerreformen mit Nettoentlastungen dadurch eine Option zu eröffnen, dass die resultierende Erhöhung der Kreditaufnahme über eine fünfjährige Anpassungsphase in linearen Schritten abgebaut werden muss.

So ergäben sich Möglichkeiten für systematische Steuerreformen und Reaktionen auf den internationalen Steuerwettbewerb, die einer liberalen Wirtschaftsordnung gut zu Gesicht stehen. Der Kapitalmarkt wird für bessere Wachstumsaussichten danken.

„Ordnungspolitik ist nicht das ideologische Argumentieren in Schwarz-Weiß-Mustern einmal gefundener Lösungen, sondern der jeweilige Versuch, verschiedene Elemente wirtschaftspolitischen Handelns konsistent aufeinander abzustimmen.”

Darüber sollten wir streiten – wie auch über die verschiedenen anderen Reformvorschläge: zum Beispiel die Nettoinvestitionsquote zur Defizitbegrenzung, die verlängerten Tilgungszeiten und schuldenstandabhängige Defizitgrenzen oder das Investitionssondervermögen à la Bundeswehrlösung. Ordnungspolitik ist nicht das ideologische Argumentieren in Schwarz-Weiß-Mustern einmal gefundener Lösungen, sondern der jeweilige Versuch, verschiedene Elemente wirtschaftspolitischen Handelns konsistent aufeinander abzustimmen.

Dadurch geben wir der Innovationskraft des Marktes mehr Raum – und zwar in Zeiten herausfordernder Transformation. Die strikte Hinnahme der aktuellen Schuldenbremse als Steuersenkungsbremse ist jedenfalls kein begründbares Diktum einer Ordnungspolitik, die auf der Höhe der Zeit sein und Wachstumsimpulse setzen will.

Zum Gastbeitrag auf handelsblatt.com

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Fiskalpolitik vor 50 Jahren und heute – Expansion, Stabilisierung und Konsolidierung
Martin Beznoska / Tobias Hentze IW-Trends Nr. 1 21. Februar 2024

Fiskalpolitik vor 50 Jahren und heute – Expansion, Stabilisierung und Konsolidierung

Die Haushalts- und Finanzpolitik hat in den vergangenen 50 Jahren viele Krisen und Schocks miterlebt, aber die Grundfragen sind dabei unverändert geblieben.

IW

Artikel lesen
Tobias Hentze / Björn Kauder im ifo Schnelldienst Externe Veröffentlichung 14. Februar 2024

Reformansätze für die Schuldenbremse

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt des Bundes für das Jahr 2021 hat die Politik in Aufruhr versetzt. Die Politik hatte bis dato Notlagen genutzt, um die Schuldenbremse zu umgehen.

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880