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Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 19 8. April 2024 Verteidigungsausgaben: Gerade so genug für die NATO?

Zwei Jahre nach Ausrufen der „Zeitenwende“ durch Bundeskanzler Olaf Scholz meldet die Bundesregierung für 2024 das Einhalten des Zwei-Prozent-Ziels an die NATO. Das heißt, erstmals seit gut 30 Jahren gibt Deutschland im laufenden Jahr demnach jeden fünfzigsten Euro seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigungszwecke aus. Oder doch nicht?

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Gerade so genug für die NATO?
Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 19 8. April 2024

Verteidigungsausgaben: Gerade so genug für die NATO?

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Zwei Jahre nach Ausrufen der „Zeitenwende“ durch Bundeskanzler Olaf Scholz meldet die Bundesregierung für 2024 das Einhalten des Zwei-Prozent-Ziels an die NATO. Das heißt, erstmals seit gut 30 Jahren gibt Deutschland im laufenden Jahr demnach jeden fünfzigsten Euro seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigungszwecke aus. Oder doch nicht?

Ein Blick in die Haushaltsdetails zeigt, dass das Ziel, das die NATO-Mitglieder eigentlich schon lange vereinbart und nach der russischen Besetzung der Krim und dem durch Russland angeheizten Krieg im Donbas auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 noch einmal bekräftigt hatten (Krause, 2018), nur unter optimistischen Voraussetzungen und aufgrund der speziellen NATO-Berechnungsgrundlage erreicht wird. Der reguläre deutsche Verteidigungsetat steigt 2024 nur geringfügig auf knapp 52 Milliarden Euro (Bundesregierung, 2024). Nach Auslaufen des Bundeswehr-Sondervermögens über 100 Milliarden Euro droht aufgrund des in der Finanzplanung eingefrorenen regulären Verteidigungsetats im Einzelplan 14 des Bundeshaushalts bereits ab 2027 weiterhin eine gewaltige Finanzierungslücke von über 30 Milliarden Euro, wie eine Fortschreibung der Werte von Bardt und Röhl (2022) zeigt. Aber auch für 2024 dürfte dieser Betrag durch das inflationsbedingt deutliche nominale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf etwa 4,26 Billionen Euro nur noch 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen.

Verteidigungsausgaben weit gefasst

Wie kommt die Bundesregierung also auf die, je nach Sichtweise, gewünschten oder geforderten 2 Prozent des BIP? Neben dem regulären Budget gibt es weitere Haushaltsposten, die Verteidigungszwecken dienen und deshalb mitgerechnet werden. Doch auch diese circa 7 Milliarden Euro bringen Deutschland der Zielsumme von fast 86 Milliarden Euro kaum näher.

Zusätzlich zum regulären Verteidigungsetat gibt es aber noch das 2022 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aufgelegte Sondervermögen Bundeswehr über 100 Milliarden Euro (Röhl et al., 2023), auf das stark zurückgegriffen wird: Aus dem Sondervermögen sollen 2024 19 Milliarden Euro genutzt werden, nachdem es 2023 nur 8,4 Milliarden Euro waren (BMVG, 2022; BMVG, 2023). In dieser Summe sind auch Ersatzbeschaffungen in Höhe von 520 Millionen Euro für im Vorjahr an die Ukraine gelieferte Ausrüstung enthalten. Dies erscheint im Lichte der Zielerreichung problematisch, denn auch die Lieferungen an die Ukraine selbst werden auf das Zwei-Prozent-Ziel angerechnet: Militärische Hilfen für andere NATO-Staaten und weitere Länder, darunter die Ukraine, können den nationalen Verteidigungsausgaben zugeschlagen werden. Dies gilt beispielsweise auch für die im Rahmen des „Ringtauschs“ an NATO-Länder wie Griechenland abgegebene Waffensysteme. Wenn aber sowohl die Lieferungen aus dem Bundeswehr-Bestand an die Ukraine als auch die Ersatzbeschaffungen auf das Zwei-Prozent-Ziel angerechnet werden, erfolgt eine Doppelzählung. Ohne die Ukrainehilfen, die der Stärkung der Bundeswehr nicht zugutekommen, erreicht der Verteidigungsetat 2024 nur 1,83 Prozent des BIP und verfehlt die NATO-Quote.

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Die Berechnung des Zwei-Prozent-Wertes

Die Abbildung zeigt die Verteilung der verteidigungsrelevanten Ausgaben für 2024 auf die verschiedenen Bereiche. Neben dem Verteidigungsetat des Einzelplans 14 des Bundeshaushalts in Höhe von 51,95 Milliarden Euro sind dies weitere Ausgaben aus anderen Haushaltsposten, vor allem Mittel aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen sowie die Hilfslieferungen an die Ukraine, zudem sonstige verteidigungsrelevante Ausgaben im Haushalt. Wie sich diese 7 Milliarden Euro zusammensetzen, wird aber nicht offengelegt (Bardt, 2024, Mölling/Schütz, 2023). Erreicht werden damit 85,5 Milliarden Euro, was voraussichtlich gerade 2 Prozent des für 2024 erwarteten nominalen BIP von 4.265 Milliarden Euro entspricht.

Relevant für die an die NATO gemeldete Quote ist aber eine andere international vereinheitlichte Rechenweise (NATO, 2024): Es werden reale Werte für die Verteidigungsausgaben und das BIP verwendet, und zwar auf 2015er US-Dollarbasis zu konstanten Wechselkursen. Nach dieser Rechnung kommt Deutschland mit verteidigungsrelevanten Ausgaben in Höhe von 73,41 Milliarden US-Dollar bei einem BIP für 2024 zu realen Werten mit der Preisbasis 2015 in Höhe von 3.646 Milliarden US-Dollar auf die gemeldeten 2,01 Prozent.

Höhere Ukrainehilfe

Im laufenden Jahr sollen die militärischen Lieferungen an die Ukraine auf 7,5 Milliarden Euro hochgefahren werden, jedoch nicht mehr aus den inzwischen weitgehend leeren Bundeswehrlagern, sondern aus Neuproduktion und den (geringen) verbleibenden Industriebeständen. Vor allem Munition benötigt die Ukraine dringend, um sich weiterhin verteidigen zu können. Im Jahr 2024 steigen die Munitionslieferungen der deutschen Industrie, die man mit etwa einem Jahr Verzögerung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und Ausrufung der Zeitenwende durch den Bundeskanzler Ende Februar 2022 erst 2023 beauftragt hatte, endlich an (Röhl, 2024). Ob die geplanten Lieferungen für 2024 vollständig realisiert werden können, ist aber fraglich.

Zielverfehlung weiterhin möglich

Daher gibt es sowohl bei den investiven Ausgaben des Sondervermögens als auch bei den Ukrainehilfen erhebliche Risiken für die Zielerreichung: Allein die Ukrainehilfe für 2024 und die nicht näher definierten sonstigen Ausgaben umfassen in der Summe 14,5 Milliarden Euro (Deutscher Bundestag, 2023). Gemeinsam mit dem Sondervermögen sind es 33,7 Milliarden Euro oder 39 Prozent der gesamten Verteidigungsausgaben. Die Ausgaben für Neubeschaffungen aus dem Sondervermögen und der Ukrainehilfe über insgesamt 26,7 Milliarden Euro sind davon abhängig, dass es keine Lieferverzögerungen gibt, zu denen es aber selbst bei den deutlich kleineren Beschaffungen der letzten Jahre immer wieder kam. Andernfalls könnte sich die tatsächliche Beschaffung und Mittelverwendung in die Folgejahre verschieben, und das rechnerisch nur ganz knapp erreichte Ziel würde wiederum verfehlt. Eine Hintertür gäbe es allerdings auch dann noch: Das Bundesverteidigungsministerium kann auch noch nicht erbrachte Leistungen vorab bezahlen, um einen Mittelabfluss zu gewährleisten und Vorarbeiten des Herstellers zu honorieren. So wird beispielsweise beim bestellten israelischen Arrow-3-Raketenabwehrsystem für die Bundeswehr verfahren (Bundeswehr-Journal, 2023).

Formal ist die deutsche Meldung von 2 Prozent Verteidigungsausgaben an die NATO damit korrekt. Wenn allerdings das angestrebte Zwei-Prozent-Ziel nur unter Bemühung aller Spielräume des Haushalts, von der Einrechnung der Ukrainehilfen samt Ersatzbeschaffung über die Abgabe älterer Systeme an NATO-Partner bis hin zur Bezahlung gar nicht gelieferter Waffen erreicht wird, droht das eigentlich damit verbundene Ziel – die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands durch eine gut ausgerüstete Bundeswehr mit ausreichend Munition und Ersatzteilen für einen längeren Krieg sicherzustellen – weiterhin auf der Strecke zu bleiben.

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