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Jochen Pimpertz IW-Kurzbericht Nr. 70 22. September 2023 Kosten der Entgeltfortzahlung auf Rekordniveau – trotz Datenkorrektur

Im Jahr 2022 mussten die Arbeitgeber gut 70 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer erkrankten Beschäftigten aufbringen. Aufgrund einer Datenrevision fällt die Summe zwar geringer aus als bislang erwartet, aber sie liegt immer noch auf Rekordniveau. Für das laufende Jahr ist nicht von einem Rückgang auszugehen.

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Kosten der Entgeltfortzahlung auf Rekordniveau – trotz Datenkorrektur
Jochen Pimpertz IW-Kurzbericht Nr. 70 22. September 2023

Kosten der Entgeltfortzahlung auf Rekordniveau – trotz Datenkorrektur

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im Jahr 2022 mussten die Arbeitgeber gut 70 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer erkrankten Beschäftigten aufbringen. Aufgrund einer Datenrevision fällt die Summe zwar geringer aus als bislang erwartet, aber sie liegt immer noch auf Rekordniveau. Für das laufende Jahr ist nicht von einem Rückgang auszugehen.

Vor gut einem Jahr errechnete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), dass die Arbeitgeberaufwendungen für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Jahr 2021 bei rund 78 Milliarden Euro gelegen haben (Pimpertz, 2022). Mit Blick auf den starken Anstieg der Atemwegserkrankungen, die nach dem Abflauen der Coronapandemie verstärkt aufgetreten sind, war zu befürchten, dass die Aufwendungen im Jahr 2022 noch einmal drastisch ansteigen würden (Pimpertz, 2023). Auf der Grundlage des aktualisierten Sozialbudgets 2022 wurden die Werte neu berechnet. Demnach fallen die Aufwendungen für die Jahre 2021 und 2022 deutlich geringer aus als ursprünglich erwartet. Grund dafür sind die nach unten korrigierten Werte im Sozialbudget. Gleichwohl erreicht die Belastung der Arbeitgeber ein Rekordniveau.

Pflicht zur Entgeltfortzahlung

Vorausgesetzt, die Beschäftigten legen ein ärztliches Attest vor, wird das Gehalt bei Krankheit für bis zu sechs Wochen weitergezahlt. Auch bei Kurzzeiterkrankungen gilt die Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung, obwohl manche Arbeitgeber in diesen Fällen auf eine Bescheinigung des Arztes verzichten.

Die Sechs-Wochen-Frist bezieht sich auf ein und dieselbe Diagnose, selbst wenn die Mitarbeitenden zwischenzeitlich wieder ihre Arbeit aufgenommen haben, jedoch aufgrund derselben Krankheit erneut ausfallen. Sie beginnt von neuem, sobald Beschäftigte an einem anderen Leiden erkranken. Dauert die Genesung länger, springt die Krankenkasse ein. Sie zahlt ab der siebten Woche ein Krankengeld, höchstens jedoch bis einschließlich der 72. Woche. Das Krankengeld ersetzt das regelmäßige Bruttoentgelt nur noch zu 70 Prozent.

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Schätzung der Arbeitgeberaufwendungen

Das Sozialbudget dokumentiert neben den Sozialleistungen, die der Staat unmittelbar oder mittelbar über die Sozialversicherungssysteme veranlasst, auch Auf-wendungen, die private Wirtschaftssubjekte freiwillig oder aufgrund gesetzlicher Vorgaben schultern. Dazu zählt die Verpflichtung der Arbeitgeber, das Entgelt an erkrankte Mitarbeitende weiterzuzahlen. Erfasst werden aber lediglich die Bruttoentgelte, die darauf entfallenden Arbeitgeberanteile am Sozialversicherungsbeitrag gilt es hinzu zu schätzen. Eine einfache Hochrechnung der sogenannten Lohnnebenkosten mit dem anteiligen Beitragssatz würde die Belastung jedoch über- zeichnen, weil für Gehaltsbestandteile oberhalb der Bemessungsgrenzen keine Beiträge gezahlt werden müssen. Der beitragspflichtige Anteil lässt sich mithilfe der Versichertenstatistik der Deutschen Rentenversicherung schätzen und unter der vereinfachenden Annahme einer unveränderten Entgeltverteilung fortschreiben (Pimpertz, 2017).

Demnach haben die Arbeitgeber im Jahr 2022 neben den im Sozialbudget ausgewiesenen 58,4 Milliarden Euro an Bruttoentgelten (BMAS, 2023) zusätzlich Arbeitgeberbeiträge in Höhe von 11,8 Milliarden Euro an die gesetzliche Sozialversicherung überwiesen – insgesamt also gut 70 Milliarden Euro.

Datenkorrektur im Sozialbudget 2022

Aufgrund einer Revision der Daten im aktuellen Sozialbudget 2022 liegen die Werte deutlich unter den zuvor prognostizierten Volumina. Gegenüber den Angaben aus dem Vorjahresbericht wurden die fortgezahlten Bruttoentgelte für die Jahre 2017 bis 2019 um bis zu 3,4 Milliarden Euro nach unten korrigiert. Für die beiden Coronajahre 2020 und 2021 fiel die Korrektur mit minus 7,3 und 9,8 Milliarden Euro noch deutlicher aus (BMAS, 2022; 2023). Rechnet man die darauf fälligen Arbeitgeberanteile am Sozialversicherungsbeitrag hinzu, dann sinkt der Gesamtaufwand für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – verglichen mit den vorherigen IW-Schätzungen – in beiden Jahren um 8,8 Milliarden Euro respektive 11,7 Milliarden Euro.

Infolge der Datenrevision zeigt sich nun, dass die Aufwendungen der Arbeitgeber in den Jahren 2019 bis 2021 annähernd konstant geblieben sind. Auch wenn die aktualisierten Angaben für das Jahr 2021 vorläufig gelten und für das Jahr 2022 geschätzt wurden (BMAS, 2023), sind die Kosten der Entgeltfortzahlung aber zuletzt wieder um 6,5 Prozent gestiegen.

Nachwehen der Pandemie und Inflation

Zum einen lässt sich der Anstieg mit dem erhöhten Krankenstand erklären, der sich vor allem aufgrund der Zunahme an Atemwegserkrankungen ergeben hat. Darauf deuten die Ergebnisse der monatlichen Stichprobe des Dachverbands der Betriebskrankenkassen hin, die die Entwicklung des Krankenstands nach verschiedenen Diagnosehauptgruppen aufschlüsselt (BKK-Dachver-band, 2022; 2023). Die Stichprobe ist zwar nicht repräsentativ für alle Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen. Die Daten erlauben aber eine zeitnahe Abschätzung aktueller Entwicklungen.

Bereits seit dem Herbst 2021 litten vermehrt Beschäftigte an Atemwegserkrankungen. Den außergewöhnlichen Anstieg erklären Medizinerinnen und Mediziner mit der gesunkenen Bevölkerungsimmunität während der Pandemie (Pimpertz, 2023 und die dort zitierten Quellen). Statistisch lässt sich dieser Effekt bis in das Frühjahr dieses Jahres nachvollziehen (BKK, 2023). Seitdem pendelt sich der Krankenstand infolge von Atemwegserkrankungen allmählich wieder auf dem Niveau der Vorcoronajahre ein. Über alle Diagnosehauptgruppen hinweg lag die Krankenstandsquote deshalb bis in die erste Hälfte 2023 über dem Niveau der Vorjahre.

Zum anderen steigen die Bruttoentgelte nominal mit jeder Lohnrunde. Inflationsbedingt fielen die Tarifabschlüsse zuletzt relativ hoch aus. Je höher das Gehalt, desto höher auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingten Fehlzeiten. Deshalb würden die im kommenden Sozialbudget 2023 dokumentierten Aufwendungen für die Fortzahlung der Bruttoentgelte selbst dann steigen, wenn Beschäftigung und Krankenstand konstant blieben.

Ausblick

Zu befürchten ist, dass sowohl die Nachwehen der Pandemie als auch die aktuellen Tarifabschlüsse die Arbeitgeberaufwendungen für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall weiter in die Höhe treiben werden. Dafür sorgen nicht zuletzt die gestiegenen Lohnnebenkosten. Denn in diesem Jahr erhöht sich nicht nur der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung um 0,2 bis 0,3 Punkte. Auch für die Arbeitslosenversicherung ist seit Januar ein um 0,2 Punkte erhöhter Beitragssatz von 2,6 Prozent fällig. Schließlich müssen vor allem kinderlose Mitglieder und deren Arbeitgeber seit Juli einen höheren Pflegeversicherungsbeitrag abführen (Beznoska/Hentze/Pimpertz, 2023). Deshalb wird der Aufwand der Arbeitgeber für die krankheitsbedingte Entgeltfortzahlung voraussichtlich auch im Jahr 2023 wieder auf ein neues Rekordniveau steigen.

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