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Michael Hüther in der Rhein-Neckar-Zeitung Interview 28. Februar 2024

„Wir brauchen mehr Mut und Klarheit”

Im Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung fordert IW-Direktor Michael Hüther von der Ampel mehr Verlässlichkeit und dass sie unternehmerische Schwierigkeiten ernster nehmen sollten.

Herr Hüther, ist unsere wirtschaftliche Lage nun wirklich so schlecht oder sehen wir als Deutsche alles zu schwarz?

Beides. Natürlich haben wir große Herausforderungen und die Transformation zur Klimaneutralität ist eine, die historisch einmalig ist. Wir verändern die 200-jährige energetische Grundlagen unseres Wirtschaftsmodells. Hinzu kommt, dass wir auch als alternde Gesellschaft vor Verknappungen stehen. Grundlegende Fragen müssen neu eingeordnet werden. Wir brauchen natürlich mehr Mut, Klarheit und politische Kraft. Allerdings haben wir auch ein gewisses Maß an überzogener Selbstkritik.

Welchen Anteil am wirtschaftlichen Abschwung hat die Ampel-Koalition?

Die Politik schafft es nicht, die Erwartungen zu stabilisieren. Wirtschaftspolitik muss sich verlässlich an Zielen orientieren. Es darf auch gestritten werden. Aber das Schlimme an dieser Regierung ist, dass sie selbst dann streitet, obwohl es schon eine Einigung gibt. Wir haben eine höhere Abhängigkeit durch die Industrie, die durch hohe Energiekosten viel stärker betroffen ist. Unternehmerische Schwierigkeiten sollten viel ernster genommen werden als beispielsweise in den USA.

Würde das umstrittene Wachstumschancengesetz entscheidend etwas an der Situation ändern?

Nicht entscheidend. Aber es ist schon so, dass das Gesetz im Kern an der richtigen Stelle ansetzt, nämlich Investitionen zu erleichtern. Man müsste die Prämie allgemein auf Investitionen anwenden, und eine sofortige Vollabschreibung von beweglichen Wirtschaftsgütern würde die Liquidität der Unternehmen stärken. Das erfordert sicher ein Volumen über sieben Milliarden Euro, doch das müsste gelingen. Wenn aber jetzt im Vermittlungsausschuss über drei Milliarden Euro verhandelt wird, macht die Union auch keine bessere Figur. Die Opposition hat dabei ein Maß an Verantwortung für ein ohnehin überschaubar kleiner gewordenes Gesetz.

Sie prägen den Begriff der „Politisierung des Ökonomischen“. Was meinen Sie damit genau?

Lassen Sie mich es an einem Beispiel erklären. Die Dekarbonisierung zieht viel größere Interventionen im Wirtschaftsgeschehen nach sich. Wenn ich einen Strukturwandel bis zum Jahr 2045 erreichen will, nämlich Klimaneutralität, dann muss ich in einer ganz anderen Weise den industriellen Strukturwandel prägen und stärker eingreifen, als wir das je kannten. Das gilt auch für die neue geopolitische Dimension, dass wir auch die Wertschöpfungsketten gestalten. Die Frage, wie die Sicherheit organisiert und finanziert wird, fordert den Staat und die Gesellschaft in einer Weise, die fast in Vergessenheit geraten ist. Und insofern ist das eine neue Form der Politisierung des Ökonomischen.

Stichwort Digitalisierung: Welche Rollen kommen Staat und Unternehmen in diesem Zusammenhang zu?

Die Unternehmen müssen unbedingt ihre Innovationskraft hochfahren. Deswegen muss auch das Investieren viel einfacher möglich sein, damit die Wirtschaft wieder mehr Schwung aufnehmen kann. Aber der Staat muss die Rahmenbedingungen schaffen. Digitalisierung, das ist eher eine Voraussetzungs- und eine Anreizfrage. Ein Staat, der sich selbst nicht wirklich in seinem Verwaltungshandeln überzeugend digitalisiert, gibt natürlich kein gutes Vorbild ab. Und das ist eine Schwäche unserer föderalen Struktur, dass wir hier nicht zu Potte kommen.

Mit Blick auf die unsichere Lage mit China. Sollten wir mehr Produktion ins Inland verlegen und der Globalisierung kritischer gegenüberstehen?

Wir haben keinen Anlass, der Globalisierung kritisch gegenüberstehen zu müssen. Bei den Interessenskonflikten sollten wir realistisch sein. Und bei China müssen wir aufpassen, dass wir hier nicht in eine leichtfertige Naivität verfallen. China ist mit 1,4 Milliarden Menschen ein Markt, den man gar nicht kompensieren kann. Insofern sind wir gut beraten, uns dort zu engagieren, aber mit einer klaren Perspektive. Mit Offenheit und Transparenz in beide Richtungen. Mein Eindruck ist, dass die Chinesen durchaus bei allem gewonnenen Selbstbewusstsein wieder etwas realistischer damit umgehen.

Hängt aber nicht alles an der Frage, ob China bald Taiwan angreift?

Ja, irgendwie schon. Wenn ich in einem anderen Land aktiv bin, ist es immer mit höheren Risiken verbunden. Insofern ist die betriebswirtschaftliche Überlegung doch, dass das Investment nie zu groß sein darf. Vor allem, wenn es zu einem unlösbaren Problem wird und dieser Markt auf einmal wegbricht. Das muss man managen können. In den Unternehmen, in denen ich Verantwortung habe, ist es so, dass wir China genau beobachten. Wir investieren auch weiterhin in China. Aber das Engagement würde in keinem Fall existenzgefährdend. Die betriebswirtschaftliche Antwort muss aber auf politischer Ebene nicht zwingend die richtige sein. Deshalb muss die Politik für Sicherheit sorgen.

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