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Flashmobs Gewerkschaftsspiegel Nr. 1 21. Februar 2010 Umstrittene Streikform

Flashmobs sind streikbegleitende Aktionen, die im Einzelhandel als Alternative zum klassischen Streik organisiert werden. Das Bundesarbeitsgericht hat solche Aktionen grundsätzlich für zulässig erklärt. Die Blitzaktionen sind allerdings höchst umstritten, weil sie den Arbeitskampf unkalkulierbar machen. Die Arbeitgeber werten sie als Betriebsblockaden und haben gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt.

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Flashmobs Gewerkschaftsspiegel Nr. 1 21. Februar 2010

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Flashmobs sind streikbegleitende Aktionen, die im Einzelhandel als Alternative zum klassischen Streik organisiert werden. Das Bundesarbeitsgericht hat solche Aktionen grundsätzlich für zulässig erklärt. Die Blitzaktionen sind allerdings höchst umstritten, weil sie den Arbeitskampf unkalkulierbar machen. Die Arbeitgeber werten sie als Betriebsblockaden und haben gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Die Idee des Flashmobs geht auf den amerikanischen Journalisten Bill Wasik zurück. An zuvor abgesprochenen öffentlichen Plätzen findet sich blitzartig eine Gruppe von Menschen ein, die dann gleichzeitig möglichst sinn- und inhaltslose Handlungen durchführen. Mal werden Telefongespräche mit gleichem Inhalt geführt, mal applaudieren plötzlich Hunderte Menschen. Einziges Ziel der Massenaktion ist die Überraschung der ahnungslosen Passanten. Erstmals 2003 in New York organisiert, sorgte eine Welle der Begeisterung für Nachahmer auf der ganzen Welt.

Inzwischen sollen Flashmobs nicht mehr nur irritieren und überraschen. Sie werden ganz gezielt als politische Aktionsform genutzt – auch in Tarifauseinandersetzungen. So rief die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Rahmen der Tarifverhandlungen im Einzelhandel 2007/08 per Internet und SMS zu verschiedenen Flashmobs auf. Im bekanntesten Fall wurde zu einer Aktion in einem Supermarkt im Berliner Ostbahnhof mobilisiert. Mehr als 40 Personen reagierten auf eine Einladung per SMS und versammelten sich Anfang Dezember 2007 in der vorgegebenen Einzelhandelsfiliale. Sie befüllten ihre Einkaufswagen mit Dutzenden Kleinstartikeln, blockierten damit die Gänge und sorgten für lange Schlangen an den Kassen. Eine Frau erntete Applaus, als sie das Fehlen ihrer Brieftasche bemerkte, nachdem die Kassiererin Pfennigartikel im Wert von 372 Euro in die Kasse eingegeben hatte.

Der Handelsverband Berlin-Brandenburg wertete diese und ähnliche Aktionen als Betriebsblockade und klagte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Klage im Herbst letzten Jahres abgewiesen und Flashmobs grundsätzlich für zulässig erklärt. Die Arbeitgeber haben daraufhin Verfassungsbeschwerde gegen das BAG-Urteil eingereicht.

Der Rechtsstreit hat einen ökonomischen Hintergrund. Im Gegensatz zu einem klassischen Arbeitskampf, der auf eine eher nachhaltige Störung des Betriebsablaufs abzielt, stellt ein Flashmob eine kurzfristige Aktion dar, die das betroffene Unternehmen vorübergehend schädigt. Während beim Flashmob aber allein die Arbeitgeber geschädigt werden, wird die Last beim regulären Streik zwischen Arbeitgeber auf der einen Seite und Arbeitnehmer beziehungsweise Gewerkschaft auf der anderen Seite aufgeteilt. Den Produktionsausfall trägt der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer erhalten im Gegenzug aber keinen Lohn. Stattdessen zahlt ihnen die Gewerkschaft ein Streikgeld.

Das BAG hat die neue Protestform dennoch gebilligt. In den Augen der Richter kann sich ein Arbeitgeber durch eine vorübergehende Betriebsschließung wehren. Dann spare das geschädigte Unternehmen den Lohn und beide Seiten trügen ein finanzielles Risiko. Nur: Den Lohn verlieren nicht unbedingt die Aktivisten, sondern die Beschäftigten der betroffenen Filiale – selbst wenn diese an einer Aktion gar nicht beteiligt sind. Aktivisten von außen opfern lediglich Freizeit, aber keinen Lohn.

Die Arbeitgeberverbände können der Logik des BAG ohnehin nicht folgen. Ihr erstes Argument: Ein Arbeitgeber habe bei solch spontanen Aktionen schlichtweg keine Möglichkeit, den Betrieb kurzfristig zu schließen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass es im Rahmen vorübergehender Betriebsschließungen zur Konfrontation zwischen Geschäftsleitung und Aktivisten kommen könne – etwa wenn Aktivisten der Aufforderung nicht nachkämen, ein Geschäft zu verlassen. Das zweite Argument lautet: Auch im Einzelhandel stünden klassische Arbeitskampfmittel zur Verfügung. Durch das Bestreiken von Logistikbereichen des Einzelhandels sei ver.di ohne Weiteres in der Lage, einen Tarifabschluss im Einzelhandel zu erzwingen. Es bedarf also letztlich keiner neuen Kampfform, um das Funktionieren der Tarifautonomie zu sichern.

Es gibt weitere Aspekte, die die Verfassungsmäßigkeit des neuen Kampfinstruments infrage stellen. Mit einem Flashmob lassen sich Betriebe bestreiken, in denen kein Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert ist. Theoretisch ist sogar denkbar, dass Betriebe ausgewählt werden, in denen die Mitarbeiter einer solchen Aktion nicht zugestimmt haben. Während beim klassischen Streik die Mitarbeiter eines Betriebes für ihre Forderungen kämpfen, wird der Betriebsablauf beim Flashmob durch eigentlich unbeteiligte Dritte gestört, die möglicherweise gar keine tarifpolitischen, sondern allgemeine politische Ziele verfolgen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Gewerkschaften die Kontrolle verlieren und Flashmobs in wilde Streiks übergehen.

Jana Baars und Hagen Lesch

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