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Sonja Jovicic IW-Kurzbericht Nr. 27 29. April 2019 Spanische Wirtschaft benötigt eine stabile Regierung und die Fortsetzung der Reformen

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat am 15. Februar vorgezogene Parlamentswahlen für den 28. April ausgerufen und damit die Regierung in eine neue Krise gestürzt. Ob die Neuwahlen für mehr politische Stabilität sorgen werden, bleibt abzuwarten. Spanien bedarf jedoch einer stabilen Regierung, die die wirtschaftspolitische Kontinuität und Stabilität sicherstellt. Die ökonomischen Fragen müssen hierbei wieder in den Vordergrund rücken.

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Spanische Wirtschaft benötigt eine stabile Regierung und die Fortsetzung der Reformen
Sonja Jovicic IW-Kurzbericht Nr. 27 29. April 2019

Spanische Wirtschaft benötigt eine stabile Regierung und die Fortsetzung der Reformen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat am 15. Februar vorgezogene Parlamentswahlen für den 28. April ausgerufen und damit die Regierung in eine neue Krise gestürzt. Ob die Neuwahlen für mehr politische Stabilität sorgen werden, bleibt abzuwarten. Spanien bedarf jedoch einer stabilen Regierung, die die wirtschaftspolitische Kontinuität und Stabilität sicherstellt. Die ökonomischen Fragen müssen hierbei wieder in den Vordergrund rücken.

Politische Lage in Spanien seit Jahren zerfahren

Am 15. Februar – nur acht Monate nach seinem Amtsantritt – hat der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez Neuwahlen ausgerufen. Zuvor hatte seine Minderheitsregierung mit ihrem Budgetplan für 2019 keine Unterstützung im Parlament erhalten. Seit dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen die konservative Regierung Mariano Rajoys im Juni 2018 regiert die sozialdemokratische Minderheitsregierung PSOE unter der Führung von Sánchez, gestützt von der linkspopulistischen Partei Podemos und zwei Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien. Regierungschef Sánchez hatte versucht, den Konflikt mit den Katalanen zu entschärfen und einen Dialog zu führen. Nachdem die Versuche gescheitert waren, entzogen zwei katalanische Unabhängigkeitsparteien dem Ministerpräsidenten den Rückhalt und stimmten zusammen mit den Konservativen (Volkspartei PP) und Liberalen (Ciudadanos) gegen seinen Budgetplan ab.

Die politische Lage Spaniens war bereits seit 2015 zerfahren. Zunächst gab es zwei Wahlen innerhalb von sechs Monaten. Dann war Spanien während der sehr langen Regierungsbildung ein Jahr lang ohne reguläre Regierung und schließlich führte Rajoy eine Minderheitsregierung bis zu ihrem vor allem durch Korruptionsskandale bedingten Sturz durch Sánchez. Ob die Neuwahlen tatsächlich zu mehr Stabilität führen, bleibt abzuwarten. Obwohl die spanische Wirtschaft die bisherigen politischen Turbulenzen gut überstanden hat, könnte die instabile politische Lage die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Spaniens negativ beeinflussen.

Spanische Wirtschaft bislang dynamisch trotz politischer Instabilität

Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 und die Euro-Schuldenkrise trafen die strukturschwache spanische Wirtschaft hart, weil sich zuvor erhebliche Ungleichgewichte aufgebaut hatten: eine Kredit- und Immobilienblase, hohe Privatverschuldung, ein großes Leistungsbilanzdefizit und sinkende Wettbewerbsfähigkeit. Im Zuge der Krise stieg die Arbeitslosigkeit stark an und das Vertrauen in das spanische Finanzsystem wurde tief erschüttert. In der Folge von Konjunkturpaketen und staatlichen Bankenrettungen verdoppelte sich die staatliche Schuldenstandsquote zwischen 2008 und 2012 von rund 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf rund 85 Prozent des BIP. Spaniens Finanzsystem stand damals an der Schwelle zur Insolvenz und musste Hilfsleistungen des Euro-Rettungsschirms beantragen. Als Gegenleistung für das Hilfspaket verpflichtete sich die spanische Regierung zu umfangreichen Reformen im Finanzsystem und zum Abbau notleidender Kredite in dem arg gebeutelten Bankensektor.

Doch Reformen gab es auch auf den Arbeits- und Produktmärkten, weil der Druck der Krise so groß war und die konservative Regierung die Krise zumindest teilweise auch als Reformchance begriff. Diese Reformen trugen maßgeblich zur Erholung der Wirtschaft bei. Hinzu kamen dosierte Konsolidierungsmaßnahmen, um die ausufernden öffentlichen Defizite in den Griff zu bekommen. Vor allem im Bankensektor, auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wettbewerbsfähigkeit waren die Maßnahmen erfolgreich.

Die Abbildung illustriert die Entwicklung des BIP in Spanien im Zeitraum 2008 bis 2023. Nach fünf Jahren der Rezession wächst die Wirtschaft seit dem Jahr 2014 kontinuierlich, zwischen 2015 und 2017 sogar um mehr als 3 Prozent und damit deutlich stärker als der Durchschnitt im Euroraum. Die Arbeitslosenquote, die in Spanien auch vor dem Eurobeitritt sehr hoch war, liegt zwar noch auf einem relativ hohen Niveau. Sie sank aber relativ zügig von einem historischen Höchstwert von 26,1 Prozent im Jahr 2013 auf 15,5 Prozent in 2018. Seit dem Jahr 2013 weist die Leistungsbilanz positive Salden auf. Ferner verringerten sich die Lohnstückkosten um 4,4 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2010, was eine Steigerung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit ermöglichte.

Der Aufschwung Spaniens verlief – auch bedingt durch die umfangreichen Reformen während der Krise – in erstaunlich stabilen Bahnen. Die schwierige politische Lage spiegelt sich anders als erwartet kaum in der Wirtschaft wider.

Stabile Regierung nötig für Reformen gegen Wachstumsverlangsamung

Obwohl die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung positiv ist, bleiben viele Herausforderungen bestehen. Die Staatsverschuldung ist mit aktuell rund 98 Prozent des BIP relativ hoch. Auch sind noch zu viele Menschen arbeitslos, vor allem die Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit ist zu hoch. Zudem ist das Ausbildungsniveau im Land zu niedrig und es fehlen Investitionen in Forschung und Entwicklung. In der Folge liegt Spanien bei dem Niveau der Arbeitsproduktivität unter dem Durchschnitt der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD).

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Die Abbildung illustriert zusätzlich zu den historischen Werten auch die Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Entwicklung des BIP im Zeitraum 2018 bis 2023. Nach dem starken Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren sieht die Prognose schon für 2019 eine deutliche Verlangsamung der Entwicklung voraus. Für 2020 droht zum ersten Mal seit dem Jahr 2014 eine Wachstumsrate von unter 2 Prozent. Für die folgenden Jahre fällt sie noch kleiner aus und dürfte lediglich bei 1,7 Prozent liegen. Dahinter steht teilweise ein verringertes Wachstumspotenzial, weil die Erwerbsbevölkerung demografisch bedingt schrumpft.

Ursache für die prognostizierte Verlangsamung schon in diesem Jahr ist aber in erster Linie die hohe wirtschaftspolitische Unsicherheit, etwa aufgrund des Brexits und der schwelenden Handelskonflikte. Dies trug zu einer allgemeinen Abkühlung der weltwirtschaftlichen Entwicklung bei. Daher hat die OECD im März 2019 die Wachstumsprognose für viele Länder signifikant gesenkt, darunter auch die Prognosen für Italien und Deutschland, die zu den wichtigsten Handelspartnern Spaniens gehören.

Um diesen Unsicherheiten entgegenzuwirken und um die wirtschaftliche Situation zu verbessern, muss Spanien wieder auf Reformkurs gehen. Damit die hohe Staatsschuldenquote sinkt, sind ein starkes Wirtschaftswachstum und weitere Konsolidierungsmaßnahmen dringend nötig. Die Regierung sollte an den mittelfristigen Haushaltskonsolidierungszielen festhalten und einen „Puffer“ für schlechtere Zeiten aufbauen. Grundlegende strukturelle Probleme wie die starke Segmentierung der Arbeitsmärkte und die hohe Arbeitslosigkeit bleiben eine Herausforderung. Daher sind weitere Arbeitsmarktreformen notwendig. Eine Maßnahme sollte die Stärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik sein, um Arbeitslosen durch Bildungsmaßnahmen den Umstieg in eine neue Beschäftigung zu ermöglichen. Ferner erfordert eine Steigerung des Produktivitätswachstums eine weitere Erhöhung von Wettbewerb, Innovation und Humankapital. Eine Stärkung des Bildungssystems, eine Ausweitung der dualen Berufsausbildung und der Weiterbildung sowie mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung würden dazu beitragen, das Produktivitätswachstum anzukurbeln.

Ohne diese Reformen droht Spaniens Wirtschaftslokomotive der Dampf auszugehen. Um weiter zügig vorwärtszukommen, benötigt Spanien daher eine handlungsfähige stabile Regierung, die die nötigen Reformen angeht. Ökonomische Fragen müssen wieder im Vordergrund stehen. In einer Regungslosigkeit zu verharren, kann Spanien sich nicht mehr leisten.

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