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Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 93 29. Dezember 2017 Fehlende Arbeitskräfte deckeln die Konjunktur

Ein Drittel der deutschen Unternehmen ist derzeit überausgelastet. Vor allem fehlende Fachkräfte erklären hochausgelastete Kapazitäten und die dadurch gebremste Konjunkturdynamik.

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Fehlende Arbeitskräfte deckeln die Konjunktur
Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 93 29. Dezember 2017

Fehlende Arbeitskräfte deckeln die Konjunktur

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Ein Drittel der deutschen Unternehmen ist derzeit überausgelastet. Vor allem fehlende Fachkräfte erklären hochausgelastete Kapazitäten und die dadurch gebremste Konjunkturdynamik.

Die deutsche Wirtschaft geht 2018 in ihr sechstes Aufschwungjahr. Die Wachstumsraten liegen in diesen Jahren durchweg bei um die 2 Prozent. Diese hohe Robustheit zeigt, dass die deutsche Wirtschaft aufgrund von tieferliegenden strukturellen und institutionellen Besonderheiten – zum Beispiel durch die globalen Wertschöpfungsketten oder die Tarifpartnerschaft – selbst in einem unsicheren globalen Umfeld eine hohe unternehmerische Widerstandskraft und Stabilität aufweist (Hüther, 2017).

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Diese Robustheit verstärkt auch die Diskussion darüber, ob die deutsche Wirtschaft Gefahr läuft, sich derzeit zu überhitzen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR, 2017) und die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2017) stellen in ihren aktuellen Gutachten fest, dass nicht nur die tatsächliche Wirtschaftsleistung stärker zulegt als das Wachstum des Produktionspotenzials. Gemäß SVR liegt auch die absolute Produktion über dem Produktionspotenzial. Das ifo Institut hat jüngst eine gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung konstruiert (Wohlrabe/Wollmershäuser, 2017). Demnach sind derzeit nicht nur im Bauhauptgewerbe, sondern auch in der Industrie und im Dienstleistungsbereich die Produktionskapazitäten überausgelastet. Dies ist dann der Fall, wenn die Kapazitätsauslastung über ihrem langjährigen Durchschnitt liegt. Auch die rückläufige Arbeitslosigkeit hin zum Niveau der strukturellen Arbeitslosigkeit deutet laut SVR (2017, 121) auf Überhitzungsgefahren hin.

Dabei ist zu bedenken, dass eine hohe Auslastung oder selbst eine Überauslastung der Produktionskapazitäten nicht notwendigerweise eine Überhitzung darstellt (IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2017). Eine Überhitzung dürfte negative Folgewirkungen wie eine ausgeprägte Fehlallokation von Produktionsfaktoren, Übertreibungen oder Blasen auf bestimmten Märkten (z. B. Immobilien) oder Preis- und Lohnspiralen nach sich ziehen.

Die Diagnose einer gesamtwirtschaftlichen Überauslastung ist nicht einfach. Zum einen muss in hinreichend guter Qualität das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft bestimmt werden. Hierfür gibt es allenfalls grobe Schätzungen. Zum anderen muss geklärt werden, wann dieses als normalausgelastet oder überausgelastet gilt. Da es sich auch bei der Bestimmung der tatsächlichen Produktion im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen um eine Schätzung handelt, ist die Ermittlung einer gesamtwirtschaftlichen Überhitzung oder zumindest einer überaus hohen Beanspruchung des Produktionspotenzials schwierig.

Vor diesem Hintergrund hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln im Rahmen seiner Konjunkturbefragung im Herbst 2017 die Unternehmen in Deutschland bezüglich ihrer Kapazitätsbeanspruchung konsultiert. Hierbei kann zumindest unterstellt werden, dass sich das einzelbetriebliche Produktionspotenzial leichter bestimmen lässt und die Unternehmen leichter qualitative Aussagen zu dessen Auslastung vornehmen können. An der Befragung nahmen knapp 2.900 Unternehmen aus West- und Ostdeutschland sowie aus allen Branchen teil. Folgende Antworten gaben die Firmen auf die Frage, wie sie aus Sicht ihres Unternehmens die aktuelle Kapazitätsbeanspruchung beurteilen:

  • Knapp 34 Prozent der Unternehmen melden, dass derzeit ihre Kapazitäten überausgelastet sind. Gut 54 Prozent sprechen von einer Normalauslastung und nur knapp 12 Prozent signalisieren eine Unterauslastung.
  • Im Baugewerbe melden knapp 44 Prozent der Betriebe eine Überauslastung und nur 4 Prozent eine Unterauslastung. In der Industrie und im Dienstleistungssektor beobachtet knapp ein Drittel der Unternehmen eine Überauslastung.

Diese Befunde können als eine wichtige originäre Unternehmensevidenz hinsichtlich der Gefahren einer konjunkturellen Überauslastung in Deutschland interpretiert werden. Im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage wurde darüber hinaus ermittelt, anhand welcher Indikatoren die Unternehmen eine hohe Beanspruchung ihrer Produktionskapazitäten diagnostizieren (Abbildung). Dies gibt sowohl Aufschluss über mögliche Ursachen als auch über mögliche Folgewirkungen der aktuellen Kapazitätsauslastung. Die Ergebnisse können folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • Das Arbeitskräftepotenzial ist der limitierende Produktionsfaktor in Deutschland. 47 Prozent aller im Herbst 2017 befragten Firmen geben an, dass fehlende Fachkräfte ein Indiz für eine betriebliche Überauslastung darstellen. Von den überausgelas­teten Firmen sind es sogar zwei Drittel, die fehlende Fachkräfte nennen. Dieser Befund passt zu einer vorhergehenden Befragung zu den Investitionshemmnissen hierzulande (Bardt et al., 2017): 46 Prozent der im Frühjahr 2017 befragten Unternehmen nennen Fachkräftemangel als ein starkes Investitionshemmnis. Auch der Aufbau von Überstunden und von Arbeitszeitkonten wird von der Hälfte der überausgelasteten Firmen als ein Indiz der hohen konjunkturellen Beanspruchung genannt. Knapp zwei Fünftel dieser Firmen greifen derzeit auf Zusatzschichten oder Wochenendarbeit zurück. Ein Viertel der Firmen mit Überauslas­tung berichtet von Engpässen bei Zeitarbeitern. Die Knappheiten beim Faktor Arbeit zeigen sich in der Lohnentwicklung. Die nominalen Bruttostundenlöhne stiegen in den letzten Jahren um durchschnittlich 2,7 Prozent an. Die Knappheiten zeigen sich auch bei den MINT-Berufen in den Lohnprämien (Anger et al., 2017).
  • Die Unternehmen melden im Herbst 2017, dass es zu Verzögerungen bei der Produktion und bei der Auslieferung wegen einer hohen Kapazitätsnutzung kommt. Zudem vereinbaren Unternehmen im Voraus längere Produktions- und Lieferzeiten. Beide Argumente treffen für 44 Prozent der überausgelasteten Betriebe zu. Allerdings muss nur ein Fünftel dieser Betriebe Aufträge wegen überlas­teter Produktionsmöglichkeiten ablehnen.
  • Die gegenwärtige Überauslastung zeigt sich bislang nicht in der gesamtwirtschaftlichen Preisent­wicklung. Der BIP-Deflator lag im ersten Halbjahr 2017 nur um 1,2 Prozent über dem Vorjahreswert. Gleichwohl liegt die Preisentwicklung im Baugewerbe deutlich darüber. Insgesamt gibt nur ein Siebtel der Unternehmen mit Überauslastung an, dass sie höhere Verkaufspreise als ein Indiz für die Überbeanspruchung von Kapazitäten sehen.

Offensichtlich befindet sich die deutsche Volkswirtschaft in einer Situation hoch beanspruchter Produktionskapazitäten. Die Folgewirkungen einer Überhitzung sind derzeit nicht erkennbar. Überauslastung entsteht in erster Linie durch fehlende Arbeitskräfte und dies stellt ein strukturelles und kein konjunkturelles Problem dar.

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