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Benjamin Tischler / Hubertus Bardt IW-Kurzbericht Nr. 20 7. März 2018 Erneuerbare Energien: Erhebliche Zielverschärfung geplant

Im Koalitionsvertrag strebt die Große Koalition eine Verschärfung der Ausbauziele für Erneuerbare Energien auf 65 Prozent im Jahr 2030 an. Ohne eine tiefgreifende Reform der Fördermechanismen der erneuerbaren Energien drohen erhebliche Mehrkosten. Nicht deutsche, sondern europäische Ziele und Instrumente sollten bei dieser Reform den Vorrang bekommen.

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Erhebliche Zielverschärfung geplant
Benjamin Tischler / Hubertus Bardt IW-Kurzbericht Nr. 20 7. März 2018

Erneuerbare Energien: Erhebliche Zielverschärfung geplant

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im Koalitionsvertrag strebt die Große Koalition eine Verschärfung der Ausbauziele für Erneuerbare Energien auf 65 Prozent im Jahr 2030 an. Ohne eine tiefgreifende Reform der Fördermechanismen der erneuerbaren Energien drohen erhebliche Mehrkosten. Nicht deutsche, sondern europäische Ziele und Instrumente sollten bei dieser Reform den Vorrang bekommen.

Für die Dekarbonisierung des Energiesystems ist der Ausbau der erneuerbaren Energien von besonderer Bedeutung. Im Rahmen der Energiewende sind politische Ziele gesetzt worden, die einen linearen Anstieg des erneuerbaren Anteils am Stromverbrauch bis zu mindestens 80 Prozent in 2050 vorsehen. Die letzte große Koalition hat die Ausbauziele um Ausbaukorridore erweitert. In 2025 sollten 40-45 Prozent und in 2035 55-60 Prozent erreicht werden (s. Abbildung). Diese Korridore bewegen sich genau im Rahmen des bisher schon gültigen Zielpfades. Zur Kostenbegrenzung wurde jedoch auch ein jeweils oberer Wert beschrieben.

Union und SPD setzen mit 65 Prozent in 2030 ein neues Ziel, das nach bisheriger Planung erst 2040 erreicht werden sollte. Das neue Ziel bedeutet, dass die bisherige Marke zehn Jahre früher erreicht würde. Gleichzeitig läge man damit in 2030 15 Prozentpunkte über dem bisher angestrebten Niveau. Obwohl wir uns heute schon gut 5 Prozentpunkte über dem Ausbaupfad bewegen, bedeutet das neue Ziel, dass der Anteil der Erneuerbaren ab sofort um 2,2 Prozentpunkte im Jahr (im Vergleich zu bisher 1,5 Prozent) wachsen muss.

Problematisch ist, dass die vor allem den Stromsektor betreffenden Erneuerbaren-Ziele nicht garantieren, das eigentlich wichtige Ziel einer signifikanten CO2-Reduktion zu erreichen. So wird Deutschland mit großer Sicherheit sein selbst gestecktes Ziel von 40 Prozent CO2-Emissionsreduktion (im Vergleich zum Jahr 1990) für 2020 verpassen. Darüber hinaus können immer neue Erneuerbare-Ziele ohne eine tiefgreifende Reform des wirtschaftspolitischen Instrumentariums zu dramatischen und zugleich unnötigen Kostensteigerungen beim Projekt „Energiewende“ führen.

Obwohl eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien für eine deutliche Reduzierung von CO2-Emissionen unerlässlich ist, droht das Ausrufen eines höheren Erneuerbaren-Ziels als politische Begründung für die Fortführung oder sogar Ausweitung des sehr teuren EEG-Förderschemas verwendet zu werden. Anstatt immer neue aus der Klimapolitik abgeleitete Nebenziele (Erneuerbare Energien, CO2-Sektorziele, Elektromobilität, Energieeffizienz) auszurufen und einen damit begründeten kos-tentreibenden Förder- und Regulierungsdschungel anzulegen, sollte die zukünftige Bundesregierung wegweisende Schritte in Richtung einer gesicherten, kostengünstigen und umfassenden Dekarbonisierung gehen. Da wir erst am Anfang des gesellschaftlichen Großprojekts Dekarbonisierung stehen, ist es erforderlich, jetzt die regulatorischen Weichen zu stellen, um die volkswirtschaftlichen Kosten sowie die Belastungen für Endverbraucher und Wirtschaft im Rahmen zu halten.

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Der Schlüssel dazu ist eine Europäisierung des Klimaschutzes und eine weitgehende Abkehr von der bisherigen Einzelstaaterei: Weil es für das Klima egal ist, wo CO2-Emissionen eingespart werden, sich die Kosten der CO2-Reduktion aber verringern je mehr Minderungsmöglichkeiten gleichberechtigt angereizt werden, sollte die Bundesregierung sich für europäische Instrumente einsetzen, die Klimaschutz an den jeweils kostengünstigsten Orten in ganz Europa befördern. Der Versuch, die Energiewende durch eine Unzahl deutschlandspezifischer Ziele, staatlicher Markteingriffe, Einzelregulierungen, sowie technologie- und sektorspezifischer Förderung zu „mikro“-managen, anstatt auf ein stimmiges und ökonomisch begründbares Gesamtkonzept zu setzen, hat zu unnötig hohen Kostenbelastungen geführt. Eine politisch mutige, den Klimaschutz und die Energiewende grundlegend neu anpackende europäische Klima- und Energiepolitik ist erforderlich. Richtungsweisende Schritte hin zu einer gesicherten und kostengünstigeren Dekarbonisierung wären:

  • Stärkung des Wettbewerbs im EEG: Die bisherige Förderlogik muss, wenn noch höhere Ziele erreicht werden sollen, schneller für den Wettbewerb geöffnet werden. Dies gilt sowohl für den Wettbewerb mit erneuerbarem Strom aus dem Ausland als auch für den Wettbewerb zwischen erneuerbaren Technologien. Offene Ausschreibungen müssen schneller realisiert werden. Zudem sollte die bestehende gleitende Marktprämie, die die meisten Preissignale nivelliert, durch ein Zuschlagssystem ersetzt werden. Damit stiege der Druck, Strom nachfragegerecht und kosteneffizient zu produzieren. Im Gleichlauf mit einer Stärkung des Emissionshandels sollte das EEG aufgrund seiner hohen Kosten abgebaut und mittelfristig ganz abgeschafft werden.
  • Kernansatz EU-ETS: Über den Strommarkt hinaus gewährleistet ein umfassendes Emissionshandelssystem, dass die CO2-Minderungsziele zu den geringsten Kosten für die Volkswirtschaft sicher erreicht werden können. Mit der Integration weiterer Sektoren lässt sich eine höhere Kosteneffizienz im Klimaschutz realisieren. Gleichzeitig wird durch die Emissionsobergrenze des ETS gesichert, dass die angestrebten Ziele auch erreicht werden. Wichtig ist jedoch, dass die Belastungen für Unternehmen, die im Wettbewerb mit Standorten außerhalb des ETS und ohne CO2-Preis stehen, tragbar bleiben.
  • Verbesserung des Carbon-Leakage-Schutzes: Weil die Aufnahme neuer Sektoren zu einer Steigerung der Zertifikatspreise führen wird, muss der Carbon-Leakage-Schutz für im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen verbessert werden. Im Schutz vor Carbon-Leakage liegt die Kernaufgabe, die vor einer Ausweitung des Emissionshandels stehen muss. Für eine treffsichere Bestimmung des notwendigen Carbon-Leakage-Schutzes ist hier eine Verbesserung der Methodik und der Datenbasis unerlässlich. Nur so können entsprechende Branchen mit ausreichend Zertifikaten vor Wettbewerbsverzerrungen geschützt werden.
  • CO2-Orientiertes Abgabensystem: Eine Umstellung der bisherigen klimapolitisch begründeten Energiesteuern auf eine einheitliche CO2-Steuer würde einen konsistenten CO2-Preis setzen und effizienteren Klimaschutz ermöglichen. Für Sektoren innerhalb des Emissionshandels ist ein solches doppeltes Preissignal aber nicht notwendig; hier sollten die entsprechenden Abgaben entfallen.
  • Harmonisierung europäischer CO2-Abgaben: Der an den Staat zu entrichtende Preis pro Tonne CO2 sollte europaweit und in allen Sektoren außerhalb des europäischen Emissionshandelssystems (EU ETS) schrittweise angeglichen werden. Der Emissionshandel kann hier ein wichtiger Indikator für einen angemessenen Preis sein.
  • Abgabenangleichung an Zertifikats-Preis: Um einen stetigen Übergang neuer Sektoren in das Emissionshandelssystem zu ermöglichen, sollten die CO2-Abgaben in aufzunehmenden Sektoren an den nach der Aufnahme zu erwartenden Zertifikatspreis im Emissionshandelssystem angeglichen werden.
  • Abkehr von rein nationalen Zielen und Instrumenten: Weil neue deutsche Einzelziele stets als Motivation für immer neue kostentreibende Einzelregulierungen gedient haben und dabei höchst ungewiss ist, ob wir damit den (europäischen) Klimazielen einen Schritt näher gekommen sind, sollte die Politik sich von spezifisch deutschen Energie- und Klimazielen weitgehend verabschieden. Die freiwerdenden, politischen Ressourcen sollten stattdessen verstärkt für ein gemeinsames europäisches Vorgehen eingesetzt werden.

Auch wenn manche der Reformansätze erst mittelfristig realisierbar sind, ist es entscheidend, dass die Politik in der angehenden Legislaturperiode einen Kurswechsel einleitet. Weil die mittelfristigen Energiesystemkosten mit jedem zusätzlichen Prozent Erneuerbaren-Anteil ansteigen und das wirtschaftspolitische Instrumentarium einen skalierenden Effekt auf diese Kosten hat, muss die Politik nun die entscheidenden Weichen stellen. Zudem stehen wir trotz einer hohen Ausbaugeschwindigkeit erst am Anfang des Erneuerbaren-Zeitalters. Für die langfristig unerlässliche, umfassende Dekarbonisierung der gesamten Volkswirtschaft wird ein Vielfaches der aktuellen Erneuerbaren-Erzeugung notwendig sein: So lag der deutsche Primärenergieverbrauch über alle Energieträger hinweg in 2016 bei 13,4 Exajoule (EJ), der Endenergieverbrauch bei 9,2 EJ, die Erzeugung von Erneuerbaren Energien aber erst bei 0,68 EJ. Damit die Kosten der Energiewende nicht außer Kontrolle geraten, die gesellschaftliche Akzeptanz für das Vorhaben erhalten bleibt und langfristig die Dekarbonisierung auch zuverlässig gelingen kann, ist es wichtig, dass die Bundesregierung das politische Großprojekt einer grundsätzlichen Neuausrichtung des klima- und energiepolitischen Instrumentariums hoch auf die Agenda der neuen Legislaturperiode setzt.

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Benjamin Tischler / Hubertus Bardt: Erneuerbare Energien – Erhebliche Zielverschärfung geplant

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