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Berthold Busch / Sandra Parthie IW-Kurzbericht Nr. 5 1. Februar 2021 Zölle und Ursprungsregelungen im Brexit: Handels- und Kooperationsabkommen

Die Erleichterung war groß, als sich die Europäische Union (EU) und das Vereinigte Königreich (VK) am 24. Dezember 2020 auf ein Handels- und Kooperationsabkommen einigten, das die Grundlage für die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen bildet.

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Handels- und Kooperationsabkommen
Berthold Busch / Sandra Parthie IW-Kurzbericht Nr. 5 1. Februar 2021

Zölle und Ursprungsregelungen im Brexit: Handels- und Kooperationsabkommen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Erleichterung war groß, als sich die Europäische Union (EU) und das Vereinigte Königreich (VK) am 24. Dezember 2020 auf ein Handels- und Kooperationsabkommen einigten, das die Grundlage für die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen bildet.

Die Besonderheit dieses Abkommens besteht nicht zuletzt darin, dass hier erstmals Handelsbeziehungen mit einem ehemaligen EU-Mitgliedstaat definiert werden müssen, wobei es eher um das Management von Divergenzen, statt wie sonst um Konvergenz geht. Die Möglichkeit, wieder eigene Regelungen und Standards, auch für Industrieprodukte, definieren zu können, war zentrales Argument und Anliegen des Brexits.

Ausgangslage ist, dass die bisherigen Handelsverflechtungen zwischen den beiden Wirtschaftsräumen ex­trem hoch sind: Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner für das VK und steht für knapp 50 Prozent der britischen Handelsbeziehungen. Das britische Bestreben nach Unabhängigkeit und das EU-Interesse, Autonomie und Integrität des Binnenmarkts zu gewährleisten, führen zwangsläufig zu Friktionen und Brüchen. Beispielsweise gibt es keine sogenannten „passport-ing“-Rechte für Finanzdienstleistungen mehr, das heißt, Banken mit Sitz im VK verlieren das Recht, ihre Dienstleistungen in EU-Staaten anzubieten, weil sie dort keine Niederlassungen haben. Die EU wird einseitig darüber entscheiden, welche britischen Finanzdienstleistungen sie in der EU zulässt, wenn sie die britischen Regulierungen in diesen Bereichen für gleichwertig mit den EU-Regeln hält. Hier steht eine Reihe von Äquivalenzentscheidungen durch die EU noch aus. Auch Berufsqualifikationen werden nicht mehr automatisch anerkannt und für VK-Produkte gilt künftig das Herkunftslandprinzip statt der - einfacheren - Binnenmarkt-Regeln.

„Zero tariff, zero quota“, aber mit Einschränkungen

Immerhin wurden mit dem Ende Dezember geschlossenen Abkommen Zölle und mengenmäßige Handelsbeschränkungen zwischen den beiden Wirtschaftsräumen vermieden („zero tariff, zero quota“). Diese wären angefallen, nachdem das VK am 31. Dezember 2020 auch aus dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Zollunion der EU ausschied.

Das Abkommen gilt - vorläufig - seit dem 1. Januar. Innerhalb der kurzen Frist zwischen Einigung und Inkrafttreten war es für die betroffenen Unternehmen und für die zuständigen Behörden schwerlich möglich, alle neuen Regeln rechtzeitig und vollständig anzuwenden. Allerdings enthält das Abkommen auch eine Reihe von Übergangsbestimmungen, die die Anwendung erleichtern sollen. Mit Bekanntgabe der Einigung hat die EU-Kommission eine „Brexit Adjustment Reserve“ über 5 Milliarden Euro ausgerufen. Diese soll besonders betroffenen Regionen in der EU den Übergang zum neuen Handelsregime erleichtern (European Commission, o. J.) .

Teils gibt es naturgemäß Anfangsschwierigkeiten, die bei Inkrafttreten neuer Regelungen durchaus normal sind. Unternehmen und Verwaltung werden sich mit der Zeit auf die neuen Regeln eingestellt und an die neuen Modalitäten angepasst haben. Im Abkommen sind zudem Möglichkeiten zu Nachbesserungen durch entsprechende Ausschüsse vorgesehen. Es besteht daher Hoffnung, dass hier Abhilfe möglich ist.

Schon fraglicher ist aber, ob die strukturellen, politisch explizit gewollten Änderungen bei den EU-VK Handelsbeziehungen, beispielsweise die nun notwendigen Grenzkontrollen in der Irischen See, verlust- und reibungsfrei bewältigt werden können.

Mit dem Ende der Übergangsperiode am 31. Dezember 2020 ist das VK im Verhältnis zur EU aus zoll- und steuerrechtlicher Sicht ein Drittland. Es wird also dauerhaft zu Grenzkontrollen im Warenverkehr zwischen beiden Seiten kommen. Waren müssen bei den zuständigen Behörden angemeldet werden, Umsatzsteuer- und Zoll­erklärungen sind auszufüllen, Zertifikate werden erforderlich, Lieferungen sind zu deklarieren und Ursprungsnachweise sind zu führen.

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Ursprungsregelungen

Die Ursprungsregelungen sollen die Kriterien für die Zollpräferenzbehandlung und den bevorzugten Marktzugang etablieren. Sie gelten jedoch nur für Produkte, die ihren „Ursprung“ in der EU und im VK haben. Sie sind notwendig, um zu verhindern, dass Länder, die nicht Vertragspartei des Abkommens sind, ungerechtfertigte Vorteile aus den bilateral vereinbarten Bedingungen ziehen. Dennoch dürften gerade sie ein dauerhaftes Problem werden: Die Zollfreiheit zwischen der EU und dem VK gilt nur unter bestimmten Bedingungen. So sieht das Handelsabkommen erzeugerspezifische Ursprungsregeln vor, mit denen genau festgelegt wird, wie hoch der Anteil der Vormaterialien aus Drittländern am Preis des Erzeugnisses des Herstellers sein darf, in dessen Unternehmen die letzte Verarbeitung stattgefunden hat. Unternehmen müssen ihre Lieferketten daraufhin prüfen, ob die Vorschriften für den zollfreien Verkehr zwischen den beiden Wirtschaftsräumen eingehalten werden, wenn die gehandelten Produkte Vorleistungen aus Drittstaaten enthalten. Bei Aluminium und Maschinen beträgt der maximal zulässige Drittlandsanteil für Zoll-freiheit beispielsweise 50 Prozent. Kraftfahrzeuge dürfen nicht mehr als 45 Prozent Vorleistungen enthalten, die weder aus dem VK noch aus der EU stammen. Nach Ablauf der Übergangsfrist im Jahr 2026 haben Elektroautos keinen Anspruch mehr auf zollfreien Handel, wenn ihre Batterien von außerhalb des VK oder der EU importiert wurden (Institute for Government, 2020). In der Praxis sollen registrierte Exporteure eine Selbstzertifizierung zum Ursprung ihrer Produkte erstellen dürfen. Der Importeur hat jedoch das letzte Wort bei der Bestimmung des Ursprungs, und es gilt eine Schonfrist von einem Jahr für die Sammlung der Belege zur Ausstellung von Ursprungsnachweisen.

Überschreitet der Vorleistungsanteil aus Drittländern den Höchstwert, werden im Handel zwischen der EU und dem VK trotz des Abkommens Zölle fällig. Die EU wendet dann ihren gemeinsamen Außenzolltarif an, das VK seinen neu geschaffenen Zolltarif (Busch, 2020). Unternehmen stehen somit aktuell vor der Aufgabe zu prüfen, ob sie ihre Vorleistungslieferanten wechseln, Standorte verlagern oder die Zollbelastung in Kauf nehmen können. Der durchschnittliche Zolltarif der EU beträgt zwar nur 4,2 Prozent für nicht landwirtschaftliche Produkte; für einzelne Erzeugnisse sind sie aber deutlich höher, beispielsweise 10 Prozent für Kraftfahrzeuge und bis zu 8 Prozent für Kfz-Teile. Auch der neue britische Zolltarif belastet Automobile mit 10 Prozent.

Die aktuellen Festlegungen basieren, laut Stellungnahme der Generaldirektion Handel der EU-Kommission, auf existierenden EU-Standards sowie auf Rückmeldungen aus der Wirtschaft. Die Produktspezifika reflektieren die aktuellen technischen Entwicklungsstände. Gerade die Bescheinigung des Ursprungs der Ware durch den Ausführer, die Ursprungskumulierung sowie die Übergangsperioden sollen die Situation für Exporte erleichtern. Ob das in der Praxis so funktioniert, bleibt abzuwarten.

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