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Regina Schneider IW-Kurzbericht Nr. 11 18. März 2016 Vertrauen: Gelegenheit macht nicht immer Diebe

Verbraucherschützer fordern häufig mehr Regulierungen, strengere Kontrollen und härtere Strafen bei Verstößen gegen die Verbraucherrechte. Doch sind Anbieter tatsächlich nur auf ihren Eigennutz bedacht und nutzen jede Möglichkeit der Selbstbereicherung aus? Anlässlich des Weltverbrauchertages soll diese Frage näher beleuchtet werden.

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Gelegenheit macht nicht immer Diebe
Regina Schneider IW-Kurzbericht Nr. 11 18. März 2016

Vertrauen: Gelegenheit macht nicht immer Diebe

Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Verbraucherschützer fordern häufig mehr Regulierungen, strengere Kontrollen und härtere Strafen bei Verstößen gegen die Verbraucherrechte. Doch sind Anbieter tatsächlich nur auf ihren Eigennutz bedacht und nutzen jede Möglichkeit der Selbstbereicherung aus? Anlässlich des Weltverbrauchertages soll diese Frage näher beleuchtet werden.

Ohne Vertrauen zwischen Anbietern und Verbrauchern könnten Onlineplattformen wie beispielsweise eBay oder Kleiderkreisel nicht funktionieren, denn sie basieren auf der Ehrlichkeit der Marktteilnehmer. Dieses Vertrauen in die Vertrauenswürdigkeit der Handelspartner spart Transaktionskosten, was die die Effizienz von Märkten erhöht. Aber auch auf Offline-Märkten spielt Vertrauen eine große Rolle. Sei es beim Arzt, Finanzberater oder Automechaniker – der Anbieter baut eine Reputation auf, die bestimmt, ob Kunden ihm vertrauen und sich für oder gegen ihn entscheiden. Dementsprechend sind Reputationssysteme – vor allem im Zuge der Digitalisierung – immer wichtiger geworden und Internetplattformen investieren Millionen, um die Zufriedenheit ihrer Kunden aufzuzeigen.

Auch experimentelle Untersuchungen zeigen, wie wichtig Reputation ist, denn sie bestimmt zu einem großen Teil, ob sich Personen fair und vertrauenswürdig verhalten. Ein bekanntes Experiment auf dem Gebiet ist das Vertrauensspiel. Dort erhält eine Person einen gewissen Geldbetrag und wird dann mit der Entscheidung konfrontiert, den Geldbetrag zu behalten, oder zu teilen. Gibt sie einem Gegenüber einen Teil ab, wird dieser vervielfacht, woraufhin die zweite Person wiederum entscheiden kann, wie viel sie von diesem vervielfachten Betrag an die erste Person zurücksendet. Wenn dieselben Personen über mehrere Runden miteinander agieren, müssen sie antizipieren, dass sie mit der Zeit eine Reputation aufbauen und ihr Verhalten Auswirkungen auf zukünftige Ausgänge hat. Die Bedeutung von Reputation gibt die relative Sicherheit, dass das Vertrauen nicht ausgenutzt wird, und so maximale Gewinne für beide Seiten realisiert werden können.

Während Menschen von sich selbst häufig annehmen, in den meisten Situationen moralisch zu handeln, unterschätzen sie dagegen die Moralität anderer Menschen. Dies wird beispielsweise in einer Studie mit Studenten (N = 115) deutlich, in der sie das Verhalten ihrer Mitspieler in einem Vertrauensspiel einschätzen müssen (IW Akademie, 2016). Die Teilnehmer mussten dabei angeben, wie viele ihrer Mitspieler ihrer Ansicht nach den Ausgangsgeldbetrag an einen ihnen zugelosten Mitspieler senden würden, wenn sie die alleinige Entscheidungsmacht hätten und ihre Entscheidung vollständig anonym treffen könnten. Die Ergebnisse zeigten einen großen Unterschied zwischen der Einschätzung der anderen Spieler und dem tatsächlichem Verhalten. Im Durchschnitt wurde die Vertrauenswürdigkeit der Mitspieler um 20 Prozent unterschätzt (88 Prozent zu 68 Prozent) (siehe Abbildung).

Dieses Ergebnis bestätigt, dass Menschen anderen Menschen häufig zu misstrauisch gegenüberstehen – vor allem weil es besonders schmerzt, wenn man einmal betrogen wurde und sich daran viel häufiger erinnert. Aber ist dieses Misstrauen auch im wirklichen Wirtschaftsleben unbegründet? Verhalten sich Anbieter ehrlicher als von den Konsumenten erwartet, auch wenn sie Möglichkeiten zur Ausnutzung der bestehenden Informationsasymmetrien haben?

Wissenschaftler der Universität zu Köln sind dieser Frage auf den Grund gegangen, indem sie Kölner Süßwarenanbieter auf ihre Ehrlichkeit geprüft haben (Conrads/Ebeling/Lotz, 2015). In dem Experiment hat derselbe Einkäufer in 82 Kiosken in Köln eine Tüte mit Süßwaren – etwa 150 Gramm – gekauft. Dazu füllte der Käufer seine eigene Tüte und gab sie an der Kasse zum Wiegen ab. In manchen Kiosken konnte nur der Verkäufer die Waage sehen, in anderen lag diese Informationsasymmetrie nicht vor und auch der Käufer konnte das tatsächliche Gewicht der Tüte einsehen. Im Anschluss haben die Wissenschaftler den gezahlten Preis für jede gekaufte Tüte mit dem tatsächlichen Preis der Süßwaren verglichen.

Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass die meisten Verkäufer sich ehrlich und sogar großzügig verhalten. Es gibt jedoch auch einen kleinen Anteil, der sich unehrlich verhält: 11 Prozent der Verkäufer haben einen zu hohen Preis berechnet. Ungefähr genauso viele haben aber auch einen zu geringen Preis verlangt. Es konnte daher kein signifikanter Unterschied zwischen dem berechneten Preis und dem wahren Preis der Süßwaren festgestellt werden. In einem zweiten Experiment wurden dieselben Anbieter erneut auf ihre Ehrlichkeit geprüft. Das sollte Aufschluss darüber geben, ob sie sich konsistent ehrlich oder unehrlich verhalten. Da in Kiosken mit einer sichtbaren Waage so gut wie keine Unehrlichkeit vorlag, haben die Wissenschaftler ausschließlich die Kioske mit einer nicht sichtbaren Waage untersucht. Die Mehrheit der Verkäufer (52 Prozent) wurde als konsistent ehrlich und 16 Prozent von ihnen wurden als konsistent unehrlich klassifiziert. Die Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass Menschen – in diesem Falle Süßwarenverkäufer – sich konsistent ehrlich oder unehrlich verhalten.

Trotz des Anreizes auf kurzfristigen, zusätzlichen Gewinn verhielt sich die Mehrzahl der Verkäufer in allen Szenarien ehrlich. Sie nutzten die Gunst der Stunde nicht, um einen höheren Preis vom Kunden zu verlangen, obwohl unmoralisches Handeln – rein ökonomisch betrachtet – zu einem größeren (kurzfristigen) Nutzen führen würde. Neben der grundsätzlichen Werthaltung mag ein Grund sein, dass kurzfristige Unehrlichkeit der Reputation nachhaltig schaden kann. Der Kunde könnte ohne große Wechselkosten zu einem anderen Kiosk gehen und damit dem Gewinn des Ursprungskiosks langfristig schaden. Die Studie zeigt trotzdem, dass Transparenz einen generellen Einfluss auf die Ehrlichkeit der Verkäufer hat: Wenn die Waage sichtbar war, wurde so gut wie nie ein zu hoher Preis berechnet. Und mit einer betrügerischen Waage scheint somit keiner der Verkäufer gearbeitet zu haben. Neben der Reputation sind auch soziale und internalisierte Normen wie Reziprozität und Fairness offenkundig wichtige Faktoren, die nicht nur im persönlichen, sondern auch im wirtschaftlichen Kontext wirken. Mehr Vertrauen zwischen Verbraucher und Verkäufer aufzubauen, scheint daher für die breite Mehrheit auf beiden Seiten zielführender zu sein als mehr Kontrolle und Misstrauen.

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