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Finn Arnd Wendland IW-Kurzbericht Nr. 31 12. Mai 2023 European Year of Skills 2023: Zwischen Energiekrise und Klimatransformation

Im European Year of Skills möchte die EU Kommission Arbeitnehmer befähigen, zur grünen und digitalen Transformation beizutragen. Für Deutschland gilt: Zwischen Energiekrise und Klimatransformation schwächte sich die steigende Personalnachfrage nach der Covid-19-Pandemie im EU-Vergleich am geringsten ab. Ein intensiverer Austausch zu regionalen Erfolgsrezepten EU-weit ist eine Chance, um den wachsenden Herausforderungen national wie lokal zu begegnen.

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Zwischen Energiekrise und Klimatransformation
Finn Arnd Wendland IW-Kurzbericht Nr. 31 12. Mai 2023

European Year of Skills 2023: Zwischen Energiekrise und Klimatransformation

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im European Year of Skills möchte die EU Kommission Arbeitnehmer befähigen, zur grünen und digitalen Transformation beizutragen. Für Deutschland gilt: Zwischen Energiekrise und Klimatransformation schwächte sich die steigende Personalnachfrage nach der Covid-19-Pandemie im EU-Vergleich am geringsten ab. Ein intensiverer Austausch zu regionalen Erfolgsrezepten EU-weit ist eine Chance, um den wachsenden Herausforderungen national wie lokal zu begegnen.

In einer Phase der wirtschaftlichen Erholung nach pandemie-bedingter Krise markierte das Jahr 2022 für viele insbesondere energieintensive Unternehmen einen herben Rückschlag. Nach Kriegsausbruch stieg der Preis für Erdgas im Spot-Handel innerhalb weniger Monate im August 2022 auf über 300 Euro pro MWh (ein Jahr zuvor lag dieser bei unter 50 Euro). Hohe Preise und Unsicherheiten der Energieversorgung führten zu stagnierender Produktion im Verarbeitenden Gewerbe, zu einem Produktionsrückgang in energieintensiven Branchen um fast 20 Prozent (Küper und Obst, 2023). Von möglichen Produktionseinschränkungen waren Unternehmen und Beschäftigte betroffen. In Deutschland halfen Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld, kurzfristige krisenbedingte Entlassungen und negative Folgen für die Beschäftigung abzuwenden. Laut Bruegel (2023) gaben europäische Regierungen zur Abfederung der Energiekrise 646 Milliarden Euro (in Deutschland 265 Milliarden) für Steuervergünstigungen, Transferleistungen, Preisdeckelungen und weitere Maßnahmen aus, die dazu beitrugen, dass viele EU-Staaten auch im Jahr 2022 niedrige Arbeitslosigkeitszahlen verzeichneten.

Unterschiedliche Herausforderungen stellen sich EU-weit

Gleichzeitig wachsen die Herausforderungen bei der Beschäftigung EU-weit, sowohl infolge demografischer Entwicklungen als auch Veränderungen bei der Arbeitskräftenachfrage. Energie- und klimapolitisch steigt der Druck insbesondere auf energieintensive Unternehmen. Dabei stellt sich die Frage, wie der Übergang zu sicherer und sauberer Energieversorgung und einer klimaneutralen Industrie zu bewältigen ist. Mit dem European Year of Skills möchte die EU-Kommission die Fähigkeiten von Arbeitnehmern in den Mittelpunkt rücken, um nachhaltiges Wachstum mittelfristig zu stärken. Vier Kennzahlen im EU-Vergleich liefern eine Einordnung, wie sich die Beschäftigungssituation zwischen Energiekrise und klimapolitischen Reformen wie den Fit-for-55-Vorhaben EU-weit in 2022 darstellte.

  • Entwicklung der Stellenanzeigenrate: Das Stellenangebot im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung lag in 2022 trotz der Herausforderungen bei EU-Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe über dem des Vorjahres, in Deutschland fiel der Zuwachs stark aus (Eurostat, 2023).
  • Personalverfügbarkeit als Investitionshemmnis: Die Verfügbarkeit von Fachkräften wurde in 2022 von 61 Prozent der EU-Unternehmen als Hemmnis für Investitionen wahrgenommen, eine Zunahme von fast 25 Prozentpunkten gegenüber 2016. In Deutschland lag der Anteil bei fast 75 Prozent (EIB, 2023).
  • Jobvoraussetzung „Anpassungsfähigkeit an Wandel“: Mit Blick auf die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen enthielten fast zwei von drei Stellenanzeigen im Verarbeitenden Gewerbe das Kriterium „Anpassungsfähigkeit an Wandel“. Die Zahl der Nennungen in Deutschland liegt dabei leicht unter dem EU-Durchschnitt (Cedefop, 2023).
  • Öffentliche Ausgaben des Wiederaufbaufonds: Re- und Upskilling-Programme sind mit 11 Prozent der drittgrößte Posten bei nationalen Wiederaufbaufonds-Maßnahmen, in Deutschland beträgt der Anteil 5 Prozent (Bruegel, 2023).
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Trotz schwacher Konjunkturentwicklung brach die Personalnachfrage in 2022 EU-weit im Verarbeitenden Gewerbe durchschnittlich nicht merklich ein (Eurostat, 2023). Während der Anteil offener Stellen in osteuropäischen Ländern wie Tschechien zurückging, wuchs das Angebot in anderen Ländern weiter, darunter Deutschland. Die Verfügbarkeit von Fachkräften wurde gleichzeitig in fast allen EU-Ländern zunehmend als Investitionshemmnis wahrgenommen. In Deutschland, Österreich und Belgien teilten in 2022 laut EIB (2023) mehr als zwei von drei Unternehmen diese Einschätzung.

Dass Bestrebungen um die zukunftsfähige Neuausrichtung für die Personalsuche bedeutsam sind, wird anhand der Fähigkeiten, nach denen Unternehmen in 2022 Ausschau hielten, sichtbar (Cedefop, 2023). Das meistgenannte Kriterium in Stellenanzeigen war im Jahr 2022 EU-weit die Fähigkeit „Anpassung an Wandel“. Über 70 Prozent der Stellenprofile in den Berufsuntergruppen Maschinenmechaniker und-schlosser, Bediener stationärer Anlagen, und Hilfsarbeiter bei der Herstellung von Waren setzten die Anpassungsfähigkeit an ein sich veränderndes Arbeitsumfeld voraus. Die hohe Zahl der Nennungen kann darauf hindeuten, dass Unternehmen ihren Personalbedarf durch die Ansprache einer breiteren Zielgruppe zu decken suchen, um Stellen überhaupt besetzen zu können. Auf dem Weg zur Klimaneutralität haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, Erwerbstätige mit passenden Fähigkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen zu finden. Die Gleichzeitigkeit von kurz-, mittel-, bis langfristigen Entwicklungen, wie Energiekrise, Klimapolitik und Demografie, erhöhen die Planungsunsicherheit und Übergangsrisiken, für Unternehmen und Beschäftigte, was neben höheren gesamtwirtschaftlichen Kosten Passungsprobleme bei der Fachkräftesicherung hervorruft (EIB, 2023).

Spezifische Herausforderungen und europäische Erfahrungen

Welche Bedeutung haben die Befunde für das European Year of Skills? Die Beobachtungen lassen zweierlei Schlüsse zu. Erstens verdeutlichen die hohe Nachfrage und wachsende Engpassrisiken, dass die Erholung und der Übergang schneller voranschreiten könnten, wenn das Angebot der gesuchten Fachkräfte größer wäre. Zweitens wird deutlich, dass eine zielgerichtete Förderung zur Fachkräftesicherung EU-weit unterschiedlich intensiv und mit unterschiedlichem Erfolg verfolgt wird. Der Start des European Year of Skills am 9. Mai 2023 kann ein Startschuss sein, um angesichts wachsender Herausforderungen neue Impulse zu setzen. Dabei sollten regional- und industriespezifische Dialoge, wie im EU Green Deal Industrial Plan und den Blueprints for Sectoral Cooperation angelegt, intensiviert werden, um für die politische Steuerung auf nationaler und regionaler Ebene einen Mehrwert zu erzeugen. Erfolgreiche Ansätze im Bereich Automatisierung und Digitalisierung, Re- und Upskilling, und Forschung und Entwicklung sollten auf Übertragbarkeit und den damit verbundenen Beitragspotenzialen hin geprüft und der länderübergreifende Austausch intensiviert werden.

Ein Grundsatz könnte lauten: Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Mit dynamischen Entwicklungen und Herausforderungen wie dem Strukturwandel beschäftigen sich Regierungen nicht allein in Deutschland – und nicht zum ersten Mal. Infolge des Niedergangs von Nokia ab 2009 erreichte die finnische Region Oulu mit einer Allianz von Akteuren die lokal stark abhängige Wirtschaft zu diversifizieren, fast 95% der Angestellten neu zu beschäftigen, und mit finanzieller Unterstützung die Beschäftigung bis heute insgesamt zu erhöhen (OECD, 2023). Seit Kriegsbeginn gegen die Ukraine setzt Estland auf eine Modernisierung von Berufsbildungs- und Hochschulbildungsprogrammen, intensive Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, um in betroffenen Regionen Fähigkeiten und Kompetenzen für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft – sogenannte Green Skills – zu vermitteln (KOM, 2023). Berufliche Bildung und Kompetenzen können durch lebenslanges Lernen wie im Bereich der Digitalisierung laufend vermittelt werden und zählen zu den wichtigsten Voraussetzungen, um Arbeitsperspektiven zu verbessern und regionalen Übergangsrisiken vorzubeugen (Seyda, Köppen und Risius, 2021). Das Jahr sollte genutzt werden, um den Austausch zu funktionierenden Erfolgsrezepten zu intensivieren und auszuloten, was theoretisch möglich und praktisch umsetzbar ist, um regional unterschiedlichen Übergangsrisiken auch in Deutschland zu begegnen.

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