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Nahrungsmittelspekulation Wirtschaft und Ethik 5. Juli 2013 Die Nachfrage treibt die Preise

In den vergangenen Jahren sind die Preise für Agrarrohstoffe kontinuierlich gestiegen. Wurzel des Übels ist aber nicht die Finanzspekulation, wie von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Foodwatch vermutet. Vielmehr sind realwirtschaftliche Effekte wie das Wachstum der Weltbevölkerung die Ursache.

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Die Nachfrage treibt die Preise
Nahrungsmittelspekulation Wirtschaft und Ethik 5. Juli 2013

Die Nachfrage treibt die Preise

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

In den vergangenen Jahren sind die Preise für Agrarrohstoffe kontinuierlich gestiegen. Wurzel des Übels ist aber nicht die Finanzspekulation, wie von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Foodwatch vermutet. Vielmehr sind realwirtschaftliche Effekte wie das Wachstum der Weltbevölkerung die Ursache.

Dass mit Mais, Weizen, Soja und anderen Agrarrohstoffen spekuliert wird, ist nicht neu. Aber erst die stark schwankenden und unter dem Strich steigenden Nahrungsmittelpreise haben das Thema in den öffentlichen Fokus gerückt. Insbesondere die Bewohner armer Regionen litten unter den steigenden Preisen.

Preisexplosion: Der Food Price Index der Vereinten Nationen, ein internationaler Preisindex für Agrarrohstoffe, stieg von 2007 bis 2008 um mehr als 50 Prozent; nach einem Rückgang in der Krise ist der Index bis Anfang 2011 auf ein Allzeithoch gestiegen und bewegt sich seitdem konstant auf diesem Niveau (siehe Grafik).

Da die Menschen in Entwicklungsländern oft bis zu 90 Prozent ihres Einkommens für Essen aufwenden müssen, treffen sie Preissteigerungen besonders hart. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Welthungerhilfe, Foodwatch, WEED und Oxfam initiierten deshalb groß angelegte Kampagnen gegen die Nahrungsmittelspekulation, die sie für die Preissteigerungen der vergangenen Jahre verantwortlich machen. Ihre Argumentation lautet: In Entwicklungsländern leiden Menschen Hunger; Schuld daran sind die Spekulanten, die die Preise agrarischer Rohstoffe in die Höhe treiben.

Agrarökonomische Erklärung: Wäre diese Kausalkette korrekt, wäre der Forderung nach einer starken Regulierung der Nahrungsmittelspekulation aus wirtschaftsethischer Sicht zuzustimmen. Bei genauer Betrachtung stellt sich der Sachverhalt aber komplexer dar. Die hohen und schwankenden Rohstoffpreise haben vielfältige realwirtschaftliche Ursachen. Dazu zählen unter anderem die Folgenden:

  • Mehr Menschen: Die Weltbevölkerung wuchs von 5,3 Milliarden Menschen im Jahr 1990 um mehr als ein Drittel auf 7,1 Milliarden im Jahr 2013. Im gleichen Zeitraum konnte die Armut deutlich verringert werden (vgl. Seite 3 und 4). Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wuchs deshalb deutlich stärker als die Bevölkerung.
  • Mehr Fleisch: Der gestiegene Wohlstand in den Schwellenländern veränderte die Essgewohnheiten hin zu mehr Fleischkonsum. Dadurch stieg der Bedarf an Futtermitteln für die Tierzucht.
  • Missernten: In den Jahren 2007 und 2010 führten geringe Lagerbestände der Agrarrohstofflieferanten in Kombination mit wetterbedingten Missernten zu Angebotsengpässen.
  • Bioenergie: Die Einführung der Biospritförderung verdrängte einen Teil der Anbauflächen für Nahrungsmittel, was wiederum einen Angebotsrückgang bewirkte („Tank-Teller-Problematik“).
  • Exportstopps: Wichtige Anbauländer verhängten ab Herbst 2007 Exportstopps als politische Reaktion auf die Preissteigerungen.

Wie sich die beschriebenen Entwicklungen in den Jahren 2004 bis 2013 auf die Getreidepreise ausgewirkt haben, zeigt die Grafik unten. Insgesamt stiegen die Preise auf dem Rohstoffmarkt in den vergangenen Jahren stärker als der Durchschnitt aller Preise. Die Preisentwicklungen lassen sich durch klassische Angebots- und Nachfrageeffekte erklären.

Spekulationsvolumen und Preisentwicklung: Dass mehrere internationale Organisationen dennoch einen Zusammenhang zwischen Preisentwicklung und Spekulation vermuten, überrascht nicht, denn das Anlagevolumen auf dem Agrarrohstoffmarkt erhöhte sich simultan zu dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise. So verdoppelte sich beispielsweise das Anlagevolumen von 2008 bis 2011 von 32 Milliarden Euro auf 62 Milliarden Euro.

Da die Rohstoffkontrakte meist an die Preisentwicklung der Nahrungsmittel gekoppelt sind, erhöht sich mit steigenden Preisen aus Investorensicht die Attraktivität dieser Anlageform. So kam es in den Jahren 2007 bis 2008 und 2010 bis 2011 mit steigenden Preisen zeitgleich zu vermehrten Investitionen in diese Finanzprodukte. Ein Vergleich beider Trends kann deshalb den Eindruck erwecken, die Spekulation reagiere nicht auf steigende Preise, sondern bewirke diese. Da die Anleger die Rohstoffe aber nicht real besitzen und verbrauchen, können sie allenfalls kurzfristige Preissteigerungen bewirken, indem sie übertrieben viele Transaktionen tätigen. Langfristig wäre eine durch Spekulation hervorgerufene Preissteigerung aber nur möglich, wenn die Anleger die Rohstoffe einlagern und zu einem späteren Zeitpunkt bei Knappheit teuer verkaufen. Diese Option bietet sich jedoch nicht an, denn die verderblichen Agrarrohstoffe lassen sich nur kurz lagern.

Fazit: Die Bekämpfung der Nahrungsmittelknappheit (und der Armut) in den Entwicklungsländern hat oberste Priorität. Die Lösung des Problems liegt aber eben nicht in einem Verbot der Nahrungsmittelspekulation. Vielmehr sollten die Chancen, die die Preissignale bieten, genutzt werden, um die Wurzel des Übels zu bekämpfen.

Nur eine gezielte Stärkung des Nahrungsmittelangebots durch (Produkt-)Innovationen, effizientere Prozesse, stabilere Rahmenbedingungen (Institutionen) und weniger Nahrungsmittelverschwendung kann die weltweit gestiegene Nachfrage befriedigen. Höhere Preise setzen dabei entsprechende Anreize zu investieren.

Hinzukommen müssen langfristig angelegte Investitionen in die Infrastruktur der Entwicklungsländer, um dort bessere Transportbedingungen zu schaffen. Zudem sollten die Bauern das nötige Wissen bekommen, um höhere Erträge erzielen zu können. Verbraucher können ebenfalls ihren Beitrag leisten und nicht nur auf Bioprodukte, sondern stärker auf „Fair Trade“-Produkte umsteigen, die mit nachhaltigen Produktionsprozessen und fairen Löhnen hergestellt werden.

Banken, die an einer nachhaltigen Geschäftsentwicklung interessiert sind, können dabei als Partner für die Entwicklungsländer wirken, indem sie zum Beispiel sogenannte Mikrokredite und Mikroversicherungen anbieten, um die Startchancen für die Menschen dort zu verbessern.

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