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Vertrauen Wirtschaft und Ethik 24. Juni 2015 Auf die Probe gestellt

Vertrauen ist der „Klebstoff der Gesellschaft“, weil es Interaktionen vereinfacht und in manchen Fällen sogar erst ermöglicht. Unser Alltag wird jedoch immer anonymer: Städte wachsen und Automatisierung und Digitalisierung erfassen immer mehr Lebensbereiche. Welche Auswirkungen hat das auf die Vertrauenskultur und wie gehen Gesellschaft und Wirtschaft damit um?

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Vertrauen Wirtschaft und Ethik 24. Juni 2015

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Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Vertrauen ist der „Klebstoff der Gesellschaft“, weil es Interaktionen vereinfacht und in manchen Fällen sogar erst ermöglicht. Unser Alltag wird jedoch immer anonymer: Städte wachsen und Automatisierung und Digitalisierung erfassen immer mehr Lebensbereiche. Welche Auswirkungen hat das auf die Vertrauenskultur und wie gehen Gesellschaft und Wirtschaft damit um?

In den meisten Lebensbereichen verlassen wir uns darauf, dass andere Menschen sich fair und anständig verhalten: etwa der Kollege am Arbeitsplatz oder der Koch im Restaurant. Mit verhaltensökonomischen Experimenten lassen sich die Voraussetzungen für Fairness erforschen. Sie zeigen, dass der Wunsch, positiv auf Mitmenschen zu wirken, ein starker Treiber ist. Wenn wir das Gefühl haben, dass niemand uns beobachtet, sinkt die Bereitschaft zu fairem Verhalten drastisch.

Auch die Anonymität unseres Gegenübers spielt eine wichtige Rolle: Menschen reagieren egoistischer, je geringer die empfundene soziale Nähe zum Gegenüber ist. Diese Nähe wird typischerweise von Faktoren wie gemeinsamer Nationalität, Berufsgruppe oder Religion bestimmt. Sogar kleine Hinweise auf die Identität des anderen, wie die Nennung des Nachnamens, haben in den Experimenten einen positiven Effekt. Je transparenter also die Situation und je homogener die Akteure, desto kooperativer ihr Verhalten. Die Erwartung von Fairness bildet wiederum die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen: Nur wenn wir davon ausgehen, dass es nicht missbraucht wird, sind wir bereit, uns auf andere zu verlassen.

Was bedeuten diese Erkenntnisse für eine zunehmend anonyme Gesellschaft? Eine Untersuchung in Kanada hat gezeigt, dass die Bewohner großer Städte ihren Mitmenschen weniger vertrauen und überdies unglücklicher sind als die Menschen in kleinen Städten. Große, international tätige Unternehmen haben bei der länderübergreifenden Zusammenarbeit mit geringem Vertrauen innerhalb der virtuellen Teams zu kämpfen. Auch der Handel sieht sich in der Schwierigkeit, eine Vertrauensbasis zu seinen Kunden herzustellen, weil persönliche Interaktion besonders im E-Commerce selten oder gar nicht mehr stattfindet.

Die Anonymisierung stellt unsere Vertrauenskultur also auf die Probe. Es gibt jedoch Möglichkeiten, dieser Herausforderung zu begegnen. Im Onlinehandel zum Beispiel finden sich zahlreiche Vertrauenssignale, beispielsweise Live Chats und mit Identitäten hinterlegte Produktbewertungen. Einer Umfrage des Medienunternehmens Nielsen zufolge, verlassen sich potenzielle Kunden eher auf eine Empfehlung, je persönlicher sie sich angesprochen fühlen. 84 Prozent der Befragten schenken demnach Bekannten am meisten Glauben, 68 Prozent vertrauen Nutzerrezensionen auf Internetseiten und lediglich 48 Prozent der Werbung in sozialen Netzwerken (Grafik).

Eine andere Möglichkeit, der Entfremdung zu begegnen, ist in Großstädten zu beobachten. Dort entstehen Projekte wie Community Gardens, die kollektive Bewirtschaftung von Grünflächen, die die Menschen näher zusammen bringen und so das Vertrauen untereinander stärken können. Auch der Trend zur Sharing Economy, also zum Teilen, Leihen und Tauschen, ermöglicht soziale Kontakte. Ein bekanntes Beispiel ist das Onlineportal Airbnb, über das Privatpersonen ihre Wohnung Reisenden zur Verfügung stellen können. Der Erfolg solcher Plattformen wird ebenso wie im Onlinehandel stark von Nutzerbewertungen bestimmt. Neue Institutionen ermöglichen somit großen Gesellschaften, Nähe herzustellen und dadurch das Vertrauen und die Zufriedenheit zu stärken.

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