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Thomas Puls IW-Nachricht 23. März 2021

Autogipfel: Vier Mythen über die Autobranche

Heute bespricht Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Autogipfel mit Branchenvertretern drängende Probleme. Es kursieren viele Mythen über die Autoindustrie: Sie habe den Wandel zur Elektromobilität verschlafen, heißt es oft, und hänge bei der Batterieproduktion hinterher. Was stimmt – und was nicht.

Die Autobranche ist eine deutsche Schlüsselindustrie: 2017 sorgte die weltweite Nachfrage nach deutschen Autos für fast zehn Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Etwas mehr als sieben Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse hingen direkt oder indirekt damit zusammen. Derweil beschäftigen die Branche zahlreiche Mythen und Irrtümer: 

Mythos 1: Bekannte Hersteller wie VW, Daimler oder BMW stehen exemplarisch für die gesamte deutsche Autoindustrie. 

Wer die Autoindustrie betrachtet, darf neben den Herstellern die Zulieferer nicht aus dem Blick verlieren. Mehr als ein Drittel der in der Automobilindustrie beschäftigten Personen arbeiten für Zulieferbetriebe. Und bei denen gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf Größe und Ausrichtung: Bereits die zehn größten deutschen Zulieferer, darunter Bosch, Continental und ZF, sind sehr unterschiedlich. Sie wiesen 2019 Umsätze zwischen 4,9 und 47 Milliarden Euro auf. Noch größer werden die Unterschiede, wenn man die Masse jener Zulieferer einbezieht, die zum industriellen Mittelstand zählen.  So gesehen gibt es nicht eine einzige Autoindustrie, sondern mindestens drei unterschiedlich aufgestellte Unterbranchen. 

Mythos 2: Die deutsche Autobranche hat die Elektromobilität verschlafen.

Die Umstellung auf Elektromobilität ist bei den deutschen Autoherstellern längst angelaufen. Das zeigt sich auch in den Verkaufszahlen: VW war im vergangenen Jahr der zweitgrößte Hersteller von Elektroautos und Plug-in-Hybriden weltweit. Auch BMW und Mercedes haben mit der Umstellung begonnen, sie gehören zu den sechs größten Herstellern für elektrische Fahrzeuge. 

Insgesamt liegen für 17 Standorte in Deutschland zumindest Pläne zur Produktion von Elektroautos und Plug-in-Hybriden vor. In einigen Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Norwegen oder den Niederlanden haben deutsche Elektroautos einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent. 

Die Umstellung ist zwar erst am Anfang und hat dennoch Auswirkungen auf das kommende Jahrzehnt: Die benötigten Qualifikationen der Mitarbeiter werden sich grundlegend ändern. Es ist eine zentrale Herausforderung für Hersteller und Zulieferer, dem gerecht zu werden – beispielsweise mit Weiterbildungen.

Mythos 3: Batteriezellen für Elektroautos kommen immer aus China.

China ist bei der Fertigung von Batteriezellen weltweit die Nummer Eins, doch der massive Ausbau der Produktion in Europa hat begonnen. Mindestens 17 Fertigungsstätten sind in den kommenden vier Jahren in der EU geplant, sechs davon sind in Deutschland bereits im Bau oder in der Planung weit fortgeschritten. Weitere Werke wurden zuletzt angekündigt. Für den Autostandort Deutschland ist entscheidend, dass die Forschung im Batteriebereich gefördert wird, denn Deutschland benötigt diese Technologien, um seine Stellung auf dem Weltmarkt für Premiumfahrzeuge zu halten. 

Mythos 4: Die Umstellung zur Elektromobilität ist die einzige Herausforderung für die Autobranche.

Die Autoindustrie am Standort Deutschland muss sich neben der Elektromobilität auf weitere Veränderungen einstellen. Obwohl nach wie vor viele Autos in Deutschland hergestellt werden, liegen die wichtigsten Märkte der deutschen Hersteller inzwischen in Asien. Die Produktion für den europäischen Markt allein kann das Beschäftigungsniveau in der Autoindustrie am Standort Deutschland nicht sichern. Wachstumssegmente wie etwa Luxus-SUVs sind bereits abgewandert, da die wichtigsten Märkte für diese Fahrzeuge außerhalb Europas liegen. 

Ein ähnlicher Effekt kann auch für größere Fahrzeugtypen eintreten, die heute in Deutschland für den Weltmarkt gebaut werden, deren Hauptabsatzmarkt aber China ist. Um die Produktion am Standort Deutschland zu sichern, ist deshalb ein freier Handel entscheidend. Handelskonflikte, geschlossene Grenzen und fehlende Wachstumsmöglichkeiten in Deutschland und Europa stellen dagegen das bisher erfolgreiche Geschäftsmodell in Frage. 

„Die Autoindustrie ist eine der wichtigsten Branchen Deutschlands“, sagt IW-Verkehrsexperte Thomas Puls. „Doch jetzt steht sie vor Herausforderungen, die weit über die Umstellung zur Elektromobilität hinausgeht. Jenes Geschäftsmodell, das der deutschen Autoindustrie und den Standort Deutschland in den letzten 15 Jahren einen erheblichen Aufschwung beschert hat, ist dabei unter Druck zu geraten. Darauf muss sich die Politik einstellen, wenn sie Beschäftigung und Wertschöpfung am Standort Deutschland erhalten will.“ 

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