Was sich durch die zunehmende Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ändert, und warum wir uns den Kampf gegen Gentrifizierung nicht leisten können, erklärt IW-Immobilienökonom Michael Voigtländer im Interview mit den Prenzlauer Berg Nachrichten.
"Was haben wir von einer durchmischten Stadt?"
In Prenzlauer Berg wurden im vergangenen Jahr über 1500 Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt – so viele wie in keinem anderen Stadtteil Berlins. Was sagt das über den hiesigen Wohnungsmarkt?
Große Flächen des Prenzlauer Bergs sind als Milieuschutzgebiete ausgewiesen (Um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten, bedürfen in diesen Gebieten Umbaumaßnahmen einer Genehmigung; sogenannte Luxussanierungen sind ganz verboten, Anm. d. Red.). Dort zieht die Zahl der Umwandlungen deutlich an. Das kann man auf die Regulierung zurückführen. Wenn Vermieter feststellen, dass sie nicht in der Weise modernisieren dürfen, wie sie wollen, aber durchaus Wohnungen zu einem hohen Preis verkaufen können, dann machen sie das auch. Die Käufer sind meist Selbstnutzer, die dann selber die Modernisierung durchführen.
Derzeit sind die Zinsen extrem niedrig sind und sehr viele gutverdienende Menschen ziehen nach Berlin und gehen dort bevorzugt in zentrale Lagen. Sie haben auch die Möglichkeit, sich solche Immobilien zu kaufen. Entsprechend wird dann eher verkauft.
Das heißt, der Milieuschutz, der eigentlich das Milieu erhalten soll, führt dazu, dass Mietwohnungen verkauft werden?
Das ist häufig bei Mietpreisregulierungen so, und das wird auch eine ganz wesentliche Folge der Mietpreisbremse sein, die weite Teile Berlins betrifft. Wenn die Mieten nach oben gedeckelt sind, werden viele Vermieter feststellen, dass sie einen wesentlich höheren Gewinn erzielen könnten, wenn sie verkaufen, meist an Selbstnutzer. Das ist eine Entwicklung, die wir auch in Spanien, Großbritannien oder Österreich erlebt haben.
Was bedeutet es für einen Wohnungsmarkt, wenn weniger Miet- und mehr Eigentumswohnungen vorhanden sind?
Es bedeutet, dass der Zugang schwieriger wird, gerade für diejenigen, die weniger Geld und weniger große Vermögen haben.
Die zunehmende Umwandlung in Eigentum ist also ein Zeichen für steigenden Reichtum der Bewohnerschaft?
Genau. Man muss aber auch sehen, dass Berlin mit einer extrem niedrigen Quote beginnt. Die Wohneigentumsquote liegt nur bei 15 Prozent.
Was ist der deutsche Durchschnitt?
Der Durchschnittswert liegt bei 45 Prozent, in anderen Großstädten wie München sind es 25, in Hamburg 20 Prozent. In Berlin ist der Anteil relativ sehr gering. Von daher beobachten wir da nun erstmal eine Normalisierung. Aber umso weniger Mietwohnungsangebote es gibt, umso schwieriger wird der Zugang und umso unflexibler wird der Markt.
Gibt es auch positive Seiten der Umwandlung?
Es ist nicht prinzipiell schlecht, wenn wir mehr Wohneigentümer haben. Wir wissen zum Beispiel, dass sich diese stärker sozial und gesellschaftlich für ein Viertel engagieren. Das ist sicherlich ein Vorteil. Wir wissen auch, das Wohneigentümer Vermögen aufbauen und sparsamer sind - Vermögensvergleiche international zeigen immer, dass Länder mit hoher Eigentumsquote auch durchschnittlich mehr Vermögen haben. Einfach, weil das Abzahlen von Krediten diszipliniert.
Aber es ist natürlich auch wichtig, dass man die Wahlfreiheit behält. Wenn man in eine Mietwohnung geht, ist man nicht abhängig vom Kreditmarkt. Die Probleme, die wir in den USA oder Großbritannien hatten, resultierten vor allem daher, dass Haushalte mit Bonitätsproblemen Kredite aufnehmen mussten und diese nicht zurückzahlen konnten. So eine Entwicklung will man eigentlich nicht. Von daher muss man das schon im Auge behalten. Aber das Niveau der Eigentumsquote ist noch so gering, dass man nicht davon ausgehen kann, dass es große Verwerfungen gibt.
In anderen Ländern ist es völlig normal, dass man sich eine Wohnung kauft, statt sie zu mieten. Warum ist das in Deutschland anders, und wäre das nicht eine genauso gute Lösung?
Das führt aber dazu, dass junge Menschen, die vielleicht noch in Ausbildung sind, schon Kredite aufnehmen müssen, und dann im Laufe ihres Lebens mehrere Wohnungen kaufen. Das wäre in Deutschland mit hohen Transaktionskosten verbunden - jedes Mal muss man ja Grunderwerbssteuer zahlen, Notarkosten tragen und Ähnliches -, und es nimmt natürlich auch Flexibilität. Wir müssen im Arbeitsmarkt heute flexibel sein, man muss oftmals umziehen, und Untersuchungen zeigen, dass Wohneigentümer sesshafter sind. Wenn sie einen besseren Job bekommen oder durch einen Ortwechsel Arbeitslosigkeit vermeiden könnten, tun sie das oftmals nicht. Das ist ein Nachteil der Wohneigentumsbildung.
Das deutsche Mietsystem ist also die bessere Variante?
Genau. Im Ausland schaut man mit neidischem Blick auf Deutschland. In Großbritannien überlegt man gerade sehr intensiv, wie man den Mietwohnungsmarkt stimulieren kann und mehr Vermieter in den Markt bekommt. Auch in anderen Ländern wie Spanien ist das ein großes Thema. Das ist schon etwas Besonderes, dass wir es in Deutschland geschafft haben, eine Balance zwischen Mieter- und Vermieterinteressen zu wahren. Das ist auch das Problem mit der Mietpreisbremse: Das ist ein sehr starker Eingriff, der dazu führen kann, dass so ein Markt auch kippt.
Welche Möglichkeiten gibt es politisch, Einfluss auf das Verhältnis von Miet- zu Eigentumswohnungen zu nehmen?
Das ist schwierig. Das Wichtigste wäre sicherlich, auf die Mietpreisbremse zu verzichten. Die Erfahrung lehrt einfach, dass die starken Wohneigentumsquoten vor allem durch starke Mietpreisregulierungen entstanden sind, die die Vermieter aus dem Markt treiben. Man muss schon sehen, dass man die Anreize auf Seiten der Vermieter erhält, und das Beste ist, wenn man wie bisher die Marktpreise auch abbilden lässt im Mietwohnungsmarkt. Ansonsten müsste man über steuerliche Anreize reden, das ist aber relativ teuer.
Die Mietpreisbremse soll den Anstieg der Mieten eindämmen, der in Berlin ein echtes Problem darstellt. Wie sollte man ihrer Meinung nach damit umgehen?
Das Beste ist, wenn mehr gebaut wird. Das passiert in Berlin aber nicht ausreichend. Wir haben hochgerechnet, dass man in Berlin aufgrund der Zuwanderung etwa 15.000 neue Wohnungen im Jahr bräuchte. Tatsächlich werden aber nur rund 6000 Wohnungen gebaut. Da ist ein großer Fehlbestand. Und wenn zu wenig gebaut wird, steigen die Preise. Damit mehr Bautätigkeit in Gang kommt, müssten mehr Bauflächen geschaffen werden. Das ist das A und O.
Darum müssten sich das Land und die Bezirke kümmern.
Sie müssten großzügiger Bauflächen ausweisen. Investoren sind im Moment da, die würden dann aktiv werden. Das ist sicherlich der wichtigste Punkt. Zudem müsste man endlich das Wohngeld reformieren, um die Stadt auch für sozial Schwächere bezahlbar zu halten. Die letzte Erhöhung war 2009; seitdem sind die Mieten stark gestiegen. Das muss man anpassen.
Sie haben gesagt, dass Berlin bei der Eigentumsquote erst am Anfang steht. Wo könnte man schon mal gucken, wie es hier in 15 Jahren aussehen wird?
In München haben wir eine Wohneigentumsquote von 25, in großen süddeutschen Städten auch bis zu 30 Prozent. Da könnte es hingehen, dass gerade in beliebten Gebieten Selbstnutzer leben, die für sich ihre Wohnung kaufen.
Das bedeutet aber auch eine weitere Entmischung der Quartiere und Zementierung der Gentrifizierung.
Genau.
Berlin wurde im 19. Jahrhundert bewusst so konstruiert, dass die Ärmeren in den Hinterhäusern gemeinsam mit den Reicheren in den Vorderhäusern zusammenwohnen. Wie kann man diese Berliner Mischung erhalten – durch eine Deregulierung des Mietmarkts?
Ich wage mal zu behaupten, dass es schwierig ist, die Entwicklung aufzuhalten. Berlin hat eine Verteilung, die sehr untypisch ist. Eigentlich sind die zentralen Bezirke am begehrtesten. Dort wohnen diejenigen, die die höchsten Einkommen haben. Berlin ist aufgrund der Mauer anders, weil die zentralen Lagen lange unattraktiv waren. Das ändert sich jetzt.
Wenn man da gegensteuern will, muss man viel Geld in die Hand nehmen. Man müsste die Grundstücke und die Mietpreise subventionieren. Das ist sehr teuer und kommt nur Wenigen zugute, die man dann auswählen müsste. Das ist keine vernünftige Umverteilungspolitik. Da ist es besser, dafür zu sorgen, dass die Stadt auch an der Peripherie attraktiv bleibt, und auch dort in Schulen und Infrastruktur zu investieren, vor allem in die Verkehrsinfrastruktur, damit man schnell ins Zentrum kommt. Dann sagen auch viele höhere oder mittlere Einkommensbezieher: diese hohen Preise im Zentrum tu ich mir nicht an, ich gehe auch an den Stadtrand. Dann kommt es dort zu einer vernünftigen Durchmischung.
Damit kapituliert man aber vor der Gentrifizierung.
Mir hat noch niemand erklärt, was der Wert für die Gesellschaft ist, wenn wir die Durchmischung überall haben. Klar ist das erstmal schön. Aber wir müssen uns einfach klarmachen, dass es sehr teuer ist, das in der Art und Weise aufrecht zu erhalten. Man muss klar sehen: Was ist der Sinn und Zweck? Was haben wir wirklich davon?
Die Innenstädte den Reichen zu überlassen und die Ärmeren an Stadtrand zu schieben - das ist doch undemokratisch.
Der Raum ist der Stadt ist knapp. Wir können ihn nicht beliebig vermehren. Aber wir können es allen ermöglichen, in der Stadt zu wohnen und den Weg ins Zentrum über die Verkehrsinfrastruktur relativ schnell zu gestalten. Wir werden nie dazu kommen, dass wir allen die Möglichkeit geben, im Zentrum zu wohnen, das ist ganz klar. Ob es demokratischer ist, wenn wir das einigen wenigen nach Lotteriemethoden über soziale Wohnungsbauprojekte zukommen lassen, ist die Frage.
Eine durchmischte Stadt ist nach heutigen Wirtschaftsprinzipien also nicht mehr zu halten?
Es wird schwierig; man müsste dann sehr stark eingreifen. Ich bin da offen, zu diskutieren, aber wir müssen den Fakten einfach ins Auge sehen und uns überlegen, was es uns wert ist, in der Gesellschaft diese Durchmischung zu erhalten. Wir müssen uns klarmachen, dass wir uns dann andere Dinge, etwa die Schulsanierung, den Kindergartenausbau oder die Investition in die Verkehrsinfrastruktur, nicht mehr leisten können. Diese Diskussion muss man offen führen.
Zum Interview auf prenzlauerberg-nachrichten.de
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