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Michael Hüther in der Badischen Zeitung Interview 12. Dezember 2010

"Unsere solidarische Verpflichtung"

Der Vorschlag, die Euro-Zone zu spalten, ist kein verantwortungsvoller Beitrag, sagt IW-Direktor Michael Hüther. Auch für Deutschland würde das zu enormen Belastungen führen. Ein Interview mit der Badischen Zeitung.

Ein Eurostaat nach dem anderen wird von Großinvestoren angegriffen. Deshalb fordert der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, einen Nord-Euro für starke Länder wie Deutschland und einen Süd-Euro für schwache Staaten wie Griechenland. Was würde passieren, wenn man eine solche Aufteilung umsetzte?

Länder wie Griechenland oder Spanien, die den so genannten Süd-Euro bekämen, würden dem Staatsbankrott entgegentreiben. Einfach deshalb, weil ihre neue Währung stark an Wert verlöre. Sie müssten für ihre Importe mehr bezahlen, erhielten weniger Geld für ihre Exporte und müssten gleichzeitig ihre hohen Auslandsschulden in teuren Euro und Dollar begleichen.

Was bedeutete das für die Menschen dort?

Griechen, Italiener und Spanier müssten mit noch massiveren Wohlstandsverlusten zurechtkommen. Die Arbeitslosigkeit stiege stark, die Löhne sänken, ebenso nähme das Niveau der öffentlichen sozialen Sicherung ab.

Deutschland hingegen wäre mit seinem starken Euro und seiner mächtigen Wirtschaft fein raus?

Keineswegs, eine solche Spaltung würde auch hierzulande zu enormen Belastungen führen. Es ginge uns schlechter als heute. Denn der Wert des neuen Nord-Euro würde im Verhältnis zu anderen Währungen stark steigen.

Welche praktischen Folgen hätte das für uns?

Heute gehen knapp 45 Prozent der deutschen Exporte in die Länder der Währungsunion. Viele unserer Nachbarn hätten dann aber weniger Geld, unsere Produkte zu erwerben. Auch in Deutschland würden die Löhne sinken und Arbeitsplätze gestrichen. Wir müssten auf Wohlstand verzichten. Henkels Idee bietet deshalb keinen Ausweg. Das ist kein konstruktiver, verantwortungsvoller Beitrag zur Debatte.

Die Europäische Union und der Euro stehen nicht zuletzt für den Frieden in Europa. Welche politischen Konsequenzen hätte die Auflösung der Währungsunion?

Bei der politischen Integration würden wir in die 1950er Jahre zurückfallen. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich erlitte erheblichen Schaden, alte Konflikte zwischen den Nationalstaaten lebten wieder auf. Vielleicht kämen unsere Nachbarn auf die Idee, Schutzzölle gegen deutsche Waren zu erheben. Nicht zurück, nur vorwärts kann es gehen.

Also nicht weniger, sondern mehr Integration des nationalen Handelns. Aber ist es vorstellbar, dass sich so unterschiedliche Staaten wie Griechenland, Portugal, Frankreich und Deutschland auf eine gemeinsame Haushalts- und Schuldenpolitik verständigen?

Ja, das ist durch die Krise realistischer geworden. Wir erleben gerade eine Neuorientierung. Länder wie Griechenland, Irland und Spanien sparen massiv. Die europäischen Verträge mit ihren Grenzen der Staatsverschuldung werden ernster genommen. Aber dieser Prozess braucht Zeit. Wir müssen mit einem Jahrzehnt der Anpassung rechnen.

Zehn magere Jahre stehen uns bevor?

So drastisch würde ich es nicht ausdrücken. Zwar werden uns die Probleme eine Zeit lang begleiten, und es kostet Geld, sie zu bekämpfen. Aber gleichzeitig werden Stabilisierung und Erholung stattfinden.

Wenn das funktionieren soll, müssen die Menschen im Süden auf Jahre ihre Gürtel enger schnallen. Warum sollten sie das auf sich nehmen?

Weil die Alternative viel dramatischer wäre. Bleibt die Währungsunion bestehen, werden die Wohlstandsverluste geringer ausfallen als beim Auseinanderbrechen des Euro.

Die starken Länder finanzieren den Rettungsschirm. Sie leihen den schwachen Ländern einen Teil ihres Vertrauens, damit diese von den Investoren Geld bekommen. Deutschland muss also weiter zahlen?

Darin besteht unsere solidarische Verpflichtung in Europa. Aber wohlgemerkt: Mit dieser Variante fahren wir besser als ohne Euro. Das kann man schon daran sehen, dass die Konjunktur trotz der Währungskrise wunderbar läuft. Die Unternehmen schauen optimistisch in die Zukunft.

Nach Irland geraten vielleicht auch Portugal, Spanien oder Italien in Finanzierungsprobleme. Falls weitere Staaten Hilfe brauchen und der 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm nicht ausreicht, wäre es richtig, gemeinsame Schuldscheine der Eurostaaten herauszugeben?

Das schlägt Jean-Claude Juncker vor, der Chef der Euro-Gruppe. Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble lehnen die Idee ab. Aus gutem Grund: Gemeinsame Staatsanleihen starker und schwacher Länder würden verhindern, dass sich die unterschiedlichen Verhältnisse in den Zinsen abbilden. Griechische Anleihen würden billiger, als es der Lage der dortigen Staatsfinanzen entspricht. Griechenland erhielte den fatalen Anreiz, sich weiter zu verschulden.

Die Eurobonds sollen doch gerade verhindern, dass die Zinsen für die Staatsanleihen schwacher Länder und damit ihre Kosten steigen. Man käme dem Ziel näher, die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit eines Eurostaates zu bannen.

Es gibt den Rettungsschirm, der einstweilen auch nicht vergrößert werden muss. Außerdem arbeitet die Euro-Gruppe an einem Stabilitätsmechanismus, mit dem Staaten im Falle von Liquiditätsproblemen ihre Schulden auch zu Lasten der Investoren verringern können. Ist dieses Verfahren erst einmal etabliert, führt es dazu, die Märkte zu beruhigen. Die Investoren würden dann vorsichtiger und trieben die Zinsen nicht mehr so nach oben wie heute.

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