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Michael Hüther in der Süddeutschen Zeitung Interview 16. Januar 2012

"Es gibt nur einen Weg: Staatsgeld für Banken"

Angesichts neuer Turbulenzen auf den Finanzmärkten warnt Michael Hüther vor einer Rückkehr der Schockwellen. Aus dem Bankensystem drohten gewaltige Gefahren, sagt der IW-Direktor im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Hüther rät den Regierungen Europas zu drastischen Schritten, nämlich der Teilverstaatlichung der wichtigsten europäischen Großbanken, darunter auch der Deutschen Bank.

Herr Professor Hüther, für 2012 scheint nur eins sicher: dass es ein Schicksalsjahr wird. Was erwartet die Deutschen? Die Fortsetzung des Wirtschaftswunders? Oder am Ende doch ein tiefer Fall?

Es gibt Anzeichen für einen globalen Abschwung. Und trotzdem bleibt die Lage in Deutschland robust. Die deutsche Wirtschaft wird 2012 weiter leicht wachsen. Ich gehe von einem Prozent aus. Das allerdings steht unter einem wichtigen Vorbehalt.

Und der heißt?

Es muss der Politik gelingen, neue Schocks an den Finanzmärkten mit aller Macht zu verhindern.

Das Misstrauen wächst, die Ereignisse überschlagen sich. Mit der Herabstufung von neun europäischen Ländern erreicht die Krise den Kern Europas. Wie wahrscheinlich sind weitere Eskalationen und eine globale Abwärtsspirale?

Das Risiko besteht, die Situation ist bedrohlich: In der Realwirtschaft deutet zwar nichts auf einen Einbruch hin. Die Auftragslage der Konzerne ist gut. Dennoch könnte ein Schock im Finanzsystem eine gefährliche Kettenreaktion auslösen – so wie 2008 die Pleite der US-Bank Lehman Brothers. Damals begann eine Angstwelle an den Kapitalmärkten. Banken liehen sich kein Geld mehr, Aktienmärkte brachen ein. Der Konjunkturmotor stoppte. Das könnte sich im schlimmsten Fall wiederholen.

Acht europäische Regierungen wurden von der Euro-Krise aus dem Amt gejagt, die Anzahl der Arbeitslosen in Europa liegt bei rekordverdächtigen 24 Millionen – und noch immer ist die Schuldenkrise ungelöst. IWF-Chefin Christine Lagarde fürchtet ein verlorenes Jahrzehnt, wenn nicht bald Ruhe ist. Sie auch?

Klar ist: Wir brauchen eine schnelle Beruhigung. Es gibt einerseits Fortschritte, die Hoffnung machen. Viele Krisenländer sind auf gutem Weg und bekommen ihre maroden Staatshaushalte mit radikalen Reformen in den Griff. Die politischen Verhältnisse in Spanien, Italien und Portugal sind viel stabiler und glaubwürdiger als zuvor. Es gibt aber auch neue Risiken. Und die lauern im Bankensystem.

Was genau fürchten Sie?

Es braut sich etwas zusammen: Internationale Institute misstrauen Europas Banken angesichts der immer neuen schlechten Nachrichten. Und Europas Banken misstrauen sich selbst. Die Folge: Institute leihen sich kaum noch Geld. Und wenn, dann wird es teuer. Die Kreditklemme ist da – diesmal nicht für die Unternehmen, sondern für Finanzinstitute.

Europas Bankenaufsicht zwingt die Institute gerade dazu, ihre Krisenpolster bis Ende Juni zu stärken und die Kernkapitalquote auf neun Prozent zu erhöhen, um Zusammenbrüche zu verhindern. Woher soll ausgerechnet in der Krise das Geld kommen?

Die Banken der Euro-Zone brauchen zusammen 106 Milliarden Euro. Wenn ihnen aber kaum Geld geliehen wird, muss es aus Verkäufen oder einbehaltenen Gewinnen kommen. Das Problem: Solche Summen lassen sich so kaum erzielen. Damit stecken Banken im Dilemma. Sie sollen die Eigenkapitalanforderungen in einer Zeit erhöhen, in der ihr Eigenkapital erodiert, weil sie in der Krise Milliarden abschreiben. Es brennt, und gleichzeitig versuchen wir, die fast leeren Feuerlöscher aufzufüllen. Es ist ganz offensichtlich, dass das System so an seine Grenzen stößt.

Was raten Sie: Wie kommen Banken und Politik in den nächsten Monaten raus aus dem Dilemma?

Es gibt nur einen Weg: den schmerzhaften Pfad der obligatorischen Kapitalisierung. Wir müssen alle systemrelevanten Banken in Europa dazu verpflichten, Staatsgeld gegen eine Staatsbeteiligung anzunehmen – systematisch und proaktiv. Damit würden wir kritische Situationen und mögliche Zusammenbrüche im Vorfeld verhindern – und die so dringend nötige Ruhe und das Vertrauen schaffen.

Das ist ein Tabubruch: Einer der führenden liberalen Wirtschaftsköpfe des Landes schlägt die Teilverstaatlichung von Banken vor?

Mir ist klar, dass das viele überrascht. Aber welche Alternative haben wir denn? Ich will ja auch keine Staatsbanken. Aber ich will das kleinere Übel. Hier steht das Risiko eines Zusammenbruchs des Systems gegen einen befristeten Staatseinstieg. Es wäre doch völlig unverantwortlich, dieses Risiko zu sehen und nichts zu tun. Wir dürfen die Augen davor nicht verschließen. Besser jetzt über den eigenen Schatten springen, als später die Scherben aufsammeln. Es geht um die Sicherung eines öffentlichen Gutes.

Viele Staaten sind selbst kaum noch kreditwürdig. Zombie-Staaten sollen Zombie-Banken retten? Woher soll das Geld kommen?

Man müsste dafür die Mittel aus dem Rettungsfonds EFSF nutzen. Die Beschlüsse vom EU-Gipfel aus dem Oktober ließen das zu. Die Mittel sind da. Und wir werden sie nicht mehr zur Staatenrettung brauchen, weil Spanien und Italien nicht über den Fonds gerettet werden müssen. Das ist aus meiner Sicht vom Tisch. Regierungschef Mario Monti kommt mit Reformen voran. Das Gleiche gilt für Spanien.

Wieder sollen Europas Steuerzahler Banken retten?

Ja, aber das darf keine Dauerlösung sein. Wir müssen einen solchen Eingriff von Anfang an befristen auf etwa zwei bis drei Jahre. Genug Zeit, um Ruhe zu schaffen. Die öffentliche Hand sollte nur einen Teil der Kapitallücke – etwa 60 Prozent – schließen. Private Investoren wären dann auch wieder bereit, den Rest zu zahlen. Die, Systemzweifel an den Banken wären damit erledigt – und die Institute hätten Zeit, den Umbau des Sektors und die Konsolidierung voranzutreiben.

In Deutschland würde das eine Teilverstaatlichung der Deutschen Bank und mehr Staatsgeld für die Commerzbank bedeuten. Die Institute werden dagegen Sturm laufen. Beide sind ja tatsächlich keine Krisenfälle.

Stimmt, aber sie sind am Ende auch verloren, wenn das europäische Bankensystem implodiert. Auch die deutschen Banken sollten einsehen, dass ein solcher Notplan am Ende besser ist, als sich ständig um den Zustand anderer europäischer Banken sorgen zu müssen – und damit auch um die eigene Zukunft.

Welchen Zeitplan schlagen Sie für die Bankenrettung vor?

Die Zeit drängt. Das müsste noch in diesem ersten Quartal, also bis Ende März, geprüft werden. Wir müssen jetzt den gleichen Mut und die gleiche Konsequenz an den Tag legen wie US-Finanzminister Henry Paulson im September 2008. Er legte nach der Lehman-Pleite ein 700-Milliarden-Dollar-Programm für die Banken auf, um weitere Zusammenbrüche zu verhindern. Die Banken mussten das Geld nehmen, der Staat erhielt im Gegenzug Anteile. Die Institute zahlten die Hilfe schnell zurück, um wieder unabhängig zu werden. Diese Rettung bescherte der US-Regierung sogar einen Gewinn von sechs Milliarden Dollar. Wir reden hier also nicht automatisch über neue Verluste für Staatshaushalte.

Zuerst retten wir Banken, dann Staaten, jetzt wieder Banken: Droht Europa an der Dauerkrise zu zerbrechen?

Nein, dagegen spricht schon die Geschichte. Es gab in Europa in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Verwerfungen. Und aus jeder ist Europa gestärkt hervorgegangen.

Keine war so groß.

In den achtziger Jahren kam der Begriff der Eurosklerose auf. Amerika galt als die dynamische Region, in Europa bewegte sich nichts. Viele hatten Angst vor dem Untergang dieses Kontinents. Der Reflex auf die Angst war der Binnenmarkt, der uns in eine neue Wachstumsperspektive gebracht hat. Nach den Turbulenzen Anfang der 90er Jahre folgte die Währungsintegration. Nach jeder Krise kamen mehr Kooperation und Wachstum – das erwarte ich auch diesmal.

Die Schuldenkrise zwingt Regierungen doch überall in Europa zum Sparen. Für die deutsche Wirtschaft wird es eng. Die Nachfrage aus Europa droht einzubrechen. Sie bleiben optimistisch?

Ja, denn die deutsche Wirtschaft hat auf der Exportseite ein gutes Geschäftsmodell. Wir haben am Wachstum der dynamischen Schwellenländer teil. Und wir können mit unserer Technologie gerade in der Restrukturierung anderer Volkswirtschaften eine besondere Rolle spielen. Wir werden das liefern, was andere produktiver macht.

Deutschland als Krisengewinner? Die Wirtschaft gilt schon jetzt als einsamer Star in Europa. Deutschland behält sein Spitzenrating, anders als Frankreich. Macht Ihnen die wachsende Kluft zwischen der größten Volkswirtschaft und dem Rest Europas keine Angst?

Das ist ein kritischer Punkt. Nachteile im Strukturwandel sind für Länder heute nur schwer zu korrigieren. Was Großbritannien in den 70er und 80er Jahren an Industrie verloren hat, wird das Land nicht zurückbekommen – trotz aller Reindustrialisierungsstrategien. Europas Länder werden in ihren Portfolios unterschiedlicher werden. Dafür ringt auch Deutschland mit einem gewaltigen Problem: der Überalterung und dem demografischen Wandel. Der deutschen Politik muss bei der Rettung der Euro-Zone klar sein: Eine gute Zukunft haben wir nur gemeinsam.

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