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Oliver Koppel in der Zeit Interview 24. Oktober 2013

„Mechatronik klingt vielleicht abschreckend“

IW-Ökonom Oliver Koppel sagt in der Zeit, warum Förderinitiativen so wenig bringen – und wie sich Mädchen wirklich für Technik begeistern lassen.

Herr Koppel, es gibt mehr als 200 Förderprogramme, um Mädchen für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu begeistern. Trotzdem ist der Anteil der Frauen in diesen Berufen bislang kaum gestiegen. In ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen liegt die Frauenquote bei gerade 22 Prozent. Taugen die Programme nichts?

Den Erfolg von MINT-Initiativen zu messen ist schwierig, weil viel Zeit wischen der Initiative und der Berufswahl vergeht. Dass der Frauenanteil nicht gestiegen ist, heißt nicht unbedingt, dass die Initiativen alle gescheitert sind.

Welche Programme sind sinnvoll?

Veranstaltungen, die nur einen Tag dauern, jedenfalls nicht. Das ist reine Unterhaltung und nicht nachhaltig. Initiativen, die Erfolg haben, sind auf eine längere Zeitdauer angelegt, etwa Summerschools. Mädchen müssen die Chance haben, die Arbeitsrealität kennenzulernen und ein eigenes Interesse zu entwickeln. Zum Beispiel, indem sie selbst ein Solarmodul bauen oder einen Roboter zusammensetzen.

Es gibt Projekte, da sollen junge Frauen die Statik von High Heels berechnen. Ist das nicht ein bisschen zu klischeehaft?

Das ist kein Klischee. Den höchsten Anteil von Frauen in anspruchsvollen technischen Ausbildungsgängen gibt es bei der Leder- und Textilverarbeitung – er liegt bei 60 Prozent. Das mag daran liegen, dass eine Frau lieber einen Schuh herstellt als eine Presswalze. Frauen haben kein Problem mit Technik an sich, nur dann, wenn sie mit den Anwendungsbereichen nicht vertraut sind oder deren Sinn nicht sehen. In Umwelttechnik gibt es viele Frauen, in Elektrotechnik kaum. Umfragen von Hochschulforschern zeigen: Für Frauen ist es wichtiger als für Männer, dass sie etwas sozial Wertvolles und gesellschaftlich Relevantes machen.

Wenn Frauen das in manchen Berufen nicht erkennen, warum sollte man sie dann überhaupt für diese Berufe begeistern?

Wir haben Engpässe bei Fachkräften. Deutschland ist eine innovations- und exportstarke Nation. Aber für gewerblich-technische Ausbildungsberufe melden sich normalerweise auf eine offene Stelle zwischen null und zwei Bewerber. Für kaufmännische Ausbildungsberufe sind es bis zu 100 Bewerber. Da gibt es ein klares Missverhältnis. Wir brauchen die Frauen.

Das nützt dann der Wirtschaft, aber was haben die Frauen davon, wenn sie einen technischen Beruf wählen?

Technische Berufe sind attraktiv, sowohl was die Arbeitsplatzsicherheit betrifft als auch das Gehalt. Würden sich mehr Frauen für diese Berufe entscheiden, würde sich auch die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen schließen; denn dass Männer im Durchschnitt 20 Prozent mehr verdienen als Frauen, liegt größtenteils daran, dass gut bezahlte Industrieberufe hauptsächlich von Männern ausgeübt werden. Mechatroniker verdienen nun mal mehr als Friseurinnen.

Dafür müssten Frauen allerdings auch gleich bezahlt werden.

Bei gleicher Position ist das auch so! Innerhalb der technischen Berufe ist die Lohnlücke ziemlich gering. Die meisten großen Unternehmen sind tariflich gebunden. Ungleiche Löhne sind ein Problem des Dienstleistungssektors, wo man typischerweise eher individuell verhandelt.

Müsste man dann nicht die ganze Ansprache der Förderprogramme ändern und sagen: Werdet nicht Bürokauffrau, werdet Mechatronikerin, da werdet ihr besser bezahlt?

Ich verstehe nicht, warum man genau das nicht macht. Warum man es nicht sogar härter ausdrückt: „Wenn ihr Friseurin werdet, wundert euch nicht, dass ihr so wenig verdient. Friseurinnen gibt es einfach zu viele. Werdet lieber Elektrikerin, werdet Mechatronikerin.“

Für eine 16-jährige Realschülerin, die gern mit Menschen arbeitet und kreativ ist, klingt Mechatronik vielleicht abschreckend.

Deshalb ist es so wichtig, dass man mit der MINT-Förderung frühzeitig ansetzt. Berufsorientierung gibt es glücklicherweise an den Schulen, sie muss aber noch viel stärker strukturiert werden. Jede 16-Jährige weiß, was ein Friseur macht. Aber welche 16-Jährige weiß, was ein Mechatroniker macht? Oder ein Ingenieur?

Frauen entscheiden sich nur nicht für technische Berufe, weil sie sie nicht kennen?

In jeder Soap gibt es eine Sekretärin, aber wo sind die Bauleiterinnen? In der Realität gibt es sie ja schon, das wird nur zu wenig vermittelt. Natürlich ist die Baubranche stark männerdominiert, und Frauen müssen sich dort durchsetzen können, aber das traue ich ihnen zu. Das sind doch keine Püppchen.

Klingt, als müsste man Frauen zu ihrem Glück zwingen?

Nein, auf keinen Fall. In erster Linie geht es darum, dass jemand eine Ausbildung oder ein Studium macht, das oder die seinen persönlichen Neigungen entspricht. Alles andere ist Quatsch. Ich sage nicht, man soll jetzt alle Friseurinnen zu Mechatronikerinnen umschulen. Mir geht es nur darum, Mädchen und junge Frauen besser über diese Berufe zu informieren, damit sie diese in Erwägung ziehen können.

Die technischen Berufe haben ja nicht nur Vorteile. Die Vereinbarkeit ...

... von Beruf und Familie ist in Industrieberufen einfach nicht so gut wie in Dienstleistungsberufen, das stimmt. Das ist ja keine Böswilligkeit der Unternehmen. Ein Auto kann ich nicht von zu Hause aus produzieren. Aber das ist ja nicht bei allen MINT-Berufen so, und es ist Aufgabe der Unternehmen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Viele haben schon angefangen.

Manche Betriebe haben nicht einmal eine Damentoilette.

Das ist kein flächendeckendes Problem. Ich glaube, die Bereiche, die wirklich sehr stark von Männern oder einer rauen Kultur geprägt sind, sind nur ein kleiner Teil der Industrie. Viele andere sind sehr dienstleistungsnah: Produktschulung, Kundendienst. Da hat man ein normales Büroumfeld.

Wie könnte man also noch mehr Mädchen für technische und naturwissenschaftliche Berufe gewinnen?

Wir haben in Deutschland etwa 10 Millionen Akademiker und etwa 42 Millionen Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Es gibt also viel mehr Kinder aus nicht akademischen Elternhäusern. Diese Kinder sind das Potenzial, auf das ich setzen würde, wenn ich eine MINT-Initiative konzipieren würde. Diese Kinder sind länger unentschlossen. Zurzeit ist Lehramt das klassische Aufsteigerfach für Frauen aus hochschulfernen Familien. Ein sicherer Beruf, was für Bildungsaufsteiger wichtig ist, aber viele entscheiden sich auch dafür, weil sie über die technischen und naturwissenschaftlichen Alternativen nicht genügend wissen.

Was können Eltern, Lehrer beitragen?

Das Problem ist, dass die Eltern ihre Kinder schwer an Technik heranführen können. Lesen und schreiben können sie ihnen beibringen, aber sie sind nicht unbedingt in der Lage, ihren Kindern naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge zu vermitteln. Also sind öffentliche Bildungseinrichtungen in der Pflicht. Technische Förderung für Mädchen sollte früh in der Bildungskette anfangen. Idealerweise im Kindergarten.

Jungen werden trotzdem Techniker: Veranlagung?

Nicht unbedingt. Es sind einfach kaum Mütter Ingenieurinnen. Wenn es in einer Familie technisches Know-how gibt, dann hat es meist der Vater, und Väter geben ihren Beruf an ihre Söhne weiter statt an ihre Töchter. Es ist eine Art Reproduktion der technischen Männerelite.

Welche Rolle können die Unternehmen spielen?

Die Wirtschaft muss mehr mit Schulen kooperieren und Geld in die Hand nehmen, um zum Beispiel Schulen ein Forschungslabor zu ermöglichen. Außerdem können Unternehmen spezielle Karrierenetzwerke einrichten und Frauen, die bereits eine Karriere im technischen Bereich gemacht haben, als Mentorinnen einsetzen.

Was würde eine Frauenquote bringen?

Es wäre ja kein Erfolg, wenn man Frauen in Berufe drängt, die ihnen keine Freude bereiten. Das Interesse muss da sein. Aber mit den richtigen Initiativen kann man dieses Interesse wecken und den jungen Frauen helfen, ihre Talente zu entdecken.

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