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Michael Voigtländer in The Property Post Interview 17. August 2022

Sanieren oder Wertverfall hinnehmen

Im Interview mit The Property Post schildert IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer, wie er die Lage auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt in Zeiten hoher Inflation, gestiegener Zinsen und explodierender Energiepreise sieht.

Zinsen, Inflation und Energiepreise steigen deutlich. Sind die Folgen auf dem Wohnimmobilienmarkt bereits sichtbar?

Tatsächlich haben sich die makroökonomischen Rahmenbedingungen seit Jahresbeginn entscheidend verändert. Ich blicke mal zuerst auf die Zinsen. Anfang des Jahres betrug der Zinssatz für Hypothekenkredite mit zehn Jahren Laufzeit rund ein Prozent. Stand Anfang August sind wir bei drei Prozent, zwischenzeitlich lag der Zinssatz sogar einmal bei 3,5 Prozent. Weil die Finanzierung teurer geworden ist, sind Immobilien weniger erschwinglich. Folgerichtig hat sich die Nachfrage abgekühlt – für die von institutionellen Käufern gesuchten Mehrfamilienhäuser genauso wie für Eigentumswohnungen und Eigenheime. Ein wesentlicher Treiber der Zinsen ist die gestiegene Inflation, deren Anstieg wiederum von den in die Höhe geschnellten Energiepreisen ausgelöst wurde.

Die Explosion der Energiepriese wurde durch den Überfall der Ukraine auf Russland und der darauffolgenden geringeren Gaslieferungen aus Russland ausgelöst. Nun könnten Marktteilnehmer spekulieren, dass der Krieg in der Ukraine zu Ende geht und die Energiepriese sinken. Ist das ein realistisches Szenario?  

Nein, ich denke nicht, dass dieses Szenario realistisch ist. Auch wenn die Energiepreise wieder ein wenig sinken sollten, müssen wir davon ausgehen, dass sie mittel- und langfristig hoch bleiben, höher als vor dem Krieg in der Ukraine. Umso wichtiger ist es, die Energieeffizienz von Gebäuden zu erhöhen. Über energieeffiziente Gebäude reden Politiker und Immobilienbranche seit Jahren, ohne nennenswerte Fortschritte. Jetzt zwingt die ökonomische Notwendigkeit zum Handeln.

Die Bundesregierung handelt, indem sie die Förderung neu gestaltet. Aber die Immobilienbranche ist mit der neuen Förderung für energieeffizientes Bauen unzufrieden. Zu Recht?

Den Schwerpunkt der Förderung vom Neubau auf die Bestandssanierung zu legen ist richtig. Im Neubau können wir nicht viel für die Umwelt gewinnen und das Einsparpotenzial ist im Bestand viel höher. Aufgrund der steigenden Energiekosten ist der Druck zu sanieren auf die Eigentümer schon jetzt enorm. Von daher kann es richtig sein, Einzelmaßnahmen nicht mehr so stark zu subventionieren wie bisher, dafür aber mehr Objekte in die Förderung einzubeziehen.  

Welche Konsequenzen hat der Verzicht auf Investitionen, die den Energieverbrauch reduzieren?

Eigentümer müssen mit Bewertungsabschlägen für Bestandsgebäude rechnen und Verkäufer werden Preiszugeständnisse machen müssen. Auf der andren Seite wird es Zuschläge geben für besonders energieeffiziente Gebäude, insbesondere, wenn diese ohne fossile Energie auskommen. Das gilt für alle Segmente – Mietwohnungen, Eigentumswohnungen und Eigenheime.

Erwarten Sie weitere Konsequenzen aufgrund der hohen Energiepreise?

Seit Jahren steigt der Wohnflächenverbrauch pro Kopf. Ich gehe davon aus, dass die Menschen weniger Wohnfläche nachfragen. Denn der Energieverbrauch hängt nicht nur von der Energieeffizienz ab, sondern auch von der Fläche, die beheizt werden muss. Nun kommen Werte und Preise der großen Eigenheime und Eigentumswohnungen mit 160 Quadratmetern, die während der Pandemie gerne gekauft wurden, um Platz für das Homeoffice zu gewinnen, unter Druck.  Nun gucken viele nach kleineren Wohnungen mit vielen Zimmern. Darauf müssen sich die Projektentwickler einstellen.

Vom Büromarkt wissen wir, dass Mieter und Eigennutzer bei sinkenden Mieten und Preisen vom Stadtrand in die Innenstadt zurückkehren. Wird es auf dem Wohnungsmarkt den gleichen Effekt geben?

Stadt und Land standen schon immer in Konkurrenz. In den vergangenen Jahren sind mehr Menschen von der Stadt aufs Land gezogen, weil man dort preisgünstiger wohnen konnte und größere Wohnungen bekommen hat. Meine These lautet, dass sich dieser Trend umkehren wird, weil für diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, die Mobilitätskosten deutlich zugenommen haben. Es wird die Menschen nicht alle in die Innenstädte ziehen, sondern in die Speckgürtel der Städte, sofern diese gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden sind. Und wer jetzt umziehen möchte, wird sich fragen, wie weit er rausziehen will.

Würden Sie sich wünschen, dass die Menschen zurück in die Städte kommen?

Als Ökonom wünsche ich mir eine bessere Verzahnung von Stadt und Land durch bessere Verbindungen im öffentlichen Regional- und Fernverkehr. Das würde vielleicht dazu führen, dass wir in Ballungszentren weniger Neubaubedarf haben und sich die Menschen breiter verteilen. Aber der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes wird lange dauern.

Umso schwerer wiegt, dass sich Projektentwickler auf breiter Front zurückziehen, obwohl zusätzliche Wohnungen dringend gebraucht werden. Wie soll die Politik gegensteuern?

Ganz entscheidend ist, dass weiter Grundstücke mobilisiert werden. Mit der Grundsteuerreform hat die Politik eine große Chance vertan. Eine Bodenwertsteuer hätte entscheidend dazu beigetragen, Flächen zu mobilisieren und Flächen effizient zu nutzen, weil die Steuerlast unabhängig von der Bebauung gewesen wäre. Und Bauwirtschaft und Politik müssen gemeinsam gegen die steigenden Baukosten angehen.

Wie soll die Politik Einfluss auf die Baukosten nehmen?

Ein erster Schritt wäre eine Harmonisierung der Landesbauordnungen. Bundesweit gültige Typengenehmigungen für Gebäude würden preisgünstigeres serielles Bauen über Landesgrenzen hinweg ermöglichen. Ein weiterer Schritt wäre es zu prüfen, welche Bauvorschriften zwingend sind. Die Niederlande könnten ein Vorbild sein, wo etwa die Schallschutz- und Brandschutzbestimmungen niedriger sind, letztere aber dennoch Bewohner nicht stärker gefährden als in Deutschland. Außerdem sollte der Genehmigungsprozess digitalisiert werden, um die unterbesetzten Bauämter zu entlasten.

Die Immobilienbranche lamentiert seit Jahren über die schleppende Bearbeitung ihrer Anträge, verschwendet aber die Kapazitäten der Baubehörden mit Anträgen für Gebäude, die sie nicht bauen kann oder will. Müsste nicht zunächst dort angesetzt werden?

Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass ein großer Teil des Bauübergangs auf private Haushalte entfällt. Aber es ist nicht zu leugnen, dass in manchen Großstädten Mehrfachverkäufe von Grundstücken mit Baugenehmigungen erfolgen. Ich bin deshalb dafür, dass Baugenehmigungen nach zwei Jahren verfallen, wenn nicht mit dem Bau begonnen wurde.

Schauen wir noch einmal auf die Folgen der gestiegenen Zinsen? Wie hoch ist das Risiko für Banken, dass Kredite nicht mehr bedient werden können?

Wir haben in Deutschland den Vorteil gegenüber anderen Ländern, dass die meisten Menschen ihre Baudarlehen mit langen Zinsbindungen abgeschlossen haben und ordentlich tilgen. Da die Einkommen in den vergangenen Jahren gestiegen sind, dürfte die Anschlussfinanzierung nur für wenige Haushalte zum Problem werden. Ich erwarte keinen großen Anstieg der Zwangsvollstreckungen.

Das Unternehmen Argetra, das seit Jahren Zwangsvollstreckungen beobachtet, sieht das anders. Es rechnet mit steigenden Zwangsversteigerungen ab nächstem Jahr.

Das könnte so kommen, wenn die Arbeitslosigkeit deutlich steigt. Aber wir haben schon in den vergangenen Krisen erlebt, dass die Unternehmen ihre Fachkräfte halten, die Arbeitslosigkeit also nicht stark zunimmt. Deshalb sehe ich in den Anschlussfinanzierungen keine großen Risiken. Eher schon könnten Projektentwickler in Schwierigkeiten geraten, wenn sie unter Verkaufsdruck geraten, um Liquidität zu generieren. Private Bauherren können in Schwierigkeiten kommen, weil ihnen die Materialkosten davonlaufen und sie die dann notwendigen höhere Darlehen nicht mehr stemmen können.

Wenn Sie die Wirkung aller Faktoren – Zinsen – Inflation – Energiepreise – zusammennehmen, gehen sie dann von sinkenden Preisen aus?

Nein, ich rechne eher mit einer Seitwärtsbewegung der Preise. Vielleicht gehen die Werte aufgrund der hohen Inflation real zurück, aber nicht nominal.

Von den Eigentümern zu den Mietern. Was geschieht auf dem Mietmarkt?

Angesichts höherer Warmmieten werden die Menschen kleinere Wohnungen suchen und jüngere Menschen länger zu Hause wohnen. Im IW beobachten wir außerdem, dass die Überbelegung von Wohnraum zunimmt, gerade bei Haushalten mit Migrationshintergrund. Überbelegung besteht nach der Definition von Eurostat, wenn nicht mehr für jedes Haushaltsmitglied rechnerisch ein Raum zur Verfügung steht. Diese Entwicklung erhöht die Gefahr sozialer Spannungen.

Wie kann die Politik diese sozialen Spannungen verhindern?

Klar ist, dass wir in Deutschland mehr Wohnungen bauen müssen. Bauen im Bestand bietet großes Potenzial, das etwa durch den Ausbau von Dachgeschossen oder die Aufstockungen von Gebäuden genutzt werden kann. Ich bin außerdem dafür ein Programm zur Schaffung von Einliegerwohnungen aufzulegen. Es gibt viele Menschen, die in großen Wohnungen und Häusern allein leben und Teile untervermieten könnten. Es geht außerdem darum Standorte attraktiver zu machen, indem in die Infrastruktur investiert wird, etwa indem Geld in Schulen fließt, was wiederum vielen Städten nicht möglich ist, weil sie hoch verschuldet sind.

Doch diese Maßnahmen helfen den Menschen noch nicht, die in den nächsten zwei, drei Jahren von den explodierenden Energiekosten betroffen sind. Was muss der Staat für sie tun?

Ich rechne damit, dass der Kreis der Wohngeldempfänger größer wird. Aber, der Staat muss sich auf Hilfen für die Bedürftigsten konzentrieren. Er kann nicht alle Belastungen durch Beihilfen kompensieren. Das ist nicht zu finanzieren. Das gehört zur Ehrlichkeit gegenüber den Menschen dazu.

Würde es nicht auch zur Ehrlichkeit der Regierung gegenüber den Menschen gehören, wenn Bundesbauministerin Klara Geywitz verkündet, dass es nicht gelingen wird, 400.000 Wohnungen im Jahr neu zu bauen?

Der Bau von 400.000 Wohnungen ist nicht zu erreichen und nach IW-Berechnungen auch trotz Zuzugs, etwa durch Ukraine-Flüchtlinge, nicht notwendig. Weil wir in Deutschland mehr Wohnungen sanieren müssen, um den Klimazielen näher zu kommen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu vermindern, fehlt das Personal, um das Neubauziel zu erreichen.

Wie viele Neubauwohnungen brauchen wir pro Jahr?

Nach unseren Berechnungen müssten wir in den nächsten fünf Jahren jeweils 310.000 Wohnungen bauen, wobei wir die Zahlen aber noch nicht an die aktuelle Flüchtlingsmigration angepasst haben.

Wie viele werden es sein?

Das kann ich nicht prognostizieren. Aber es werden weniger sein, als die von uns ermittelten 310.000.

Zum Interview auf the-property-post.de.

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