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(© Foto: iStock)
Michael Voigtländer im Handelsblatt Interview 5. April 2019

„Die Enteignungsdebatte ist ein echter Tabubruch“

Sollte Berlin große Immobilienkonzerne enteignen? Mit Regulierung und Preiskontrolle vertreibt man auch private Vermieter, warnt Michael Voigtländer im Handelsblatt. Die Debatte um Enteignungen großer Immobilienunternehmen sei daher ein „Tabubruch“.

IW-Ökonom Michael Voigtländer erklärt im Interview, es sei zudem „erschreckend, dass die Politik sie nicht viel entschiedener zurückweist“, sagte Voigtländer dem Handelsblatt. „Es geht hier doch darum, dass den Eigentümern – also auch vielen kleinen Aktionären, die vielleicht ihre Altersvorsorge mit den Aktien der Wohnungsgesellschaften verbessern wollen, etwas weggenommen werden soll. Etwas, das sie im Übrigen rechtmäßig erworben haben.“ 

Natürlich sei die Lage für viele Mieter vor allen in großen Städten wie Berlin nicht einfach. „Aber das beste Rezept gegen hohe Mieten ist nicht die Enteignung von Wohnungsgesellschaften, sondern mehr Wohnraum zu schaffen.“ Voigtländer warnte davor, dass sich Vermieter aus dem Markt zurückziehen würden, wenn die Debatte über Enteignungen fortgesetzt werde. „Erfahrungen in anderen Ländern zeigen es: je strenger die Regulierung, je schärfer die Preiskontrolle, umso eher vertreibt man die privaten Vermieter.“ 

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ will über ein Volksbegehren ein Gesetz herbeiführen, über das am Ende private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden könnten, darunter die Deutsche Wohnen. Am Samstag startet die Sammlung der Unterschriften. Außerdem ist eine Großdemonstration „gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“ geplant.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Die Debatte um Sinn und Unsinn einer Enteignung von Wohnungskonzernen spitzt sich zu. Ab Samstag werden in Berlin Unterschriften gesammelt, um per Volksentscheid eine Entscheidung zu erzwingen. Was sagen Sie dazu?

Die Enteignungsdebatte ist ein echter Tabubruch. Und es ist erschreckend, dass die Politik sie nicht viel entschiedener zurückweist. Es geht hier doch darum, dass den Eigentümern – also auch vielen kleinen Aktionären, die vielleicht ihre Altersvorsorge mit den Aktien der Wohnungsgesellschaften verbessern wollen, etwas weggenommen werden soll. Etwas, das sie im Übrigen rechtmäßig erworben haben.

Verstehen Sie den Ärger vieler Mieter, die sich wegen der hohen Mietsteigerungen Sorgen machen?


Natürlich ist die Lage für viele Mieter vor allem in großen Städten wie Berlin nicht einfach. Aber das beste Rezept gegen hohe Mieten ist nicht die Enteignung von Wohnungsgesellschaften, sondern mehr Wohnraum zu schaffen. Oder zu überlegen, wie andere Standorte attraktiver werden können. Die Menschen müssen ja nicht zwangsläufig alle nach Berlin ziehen.


Die Vermieter trifft keine Schuld?


Sicherlich haben einzelne Vermieter den Bogen überspannt. Es hat sicherlich einen Grund, warum sich so eine negative Stimmung gegen bestimmte Unternehmen zusammengebraut hat. Wer aber glaubt, dass Vermieter per se am liebsten ihre Mieter ausbeuten und Kasse machen wollen, der irrt gewaltig. Zwei Drittel aller Mietwohnungen hierzulande werden von Kleinvermietern angeboten. Und die erhöhen die Mieten während eines bestehenden Mietvertrags nur selten, weil sie eher an einem stabilen und guten Verhältnis zu ihren Mietern interessiert sind. Viele passen die Miete erst bei einer Wiedervermietung an.

Aber sie stehen jetzt trotzdem ganz schön dumm da.


Ja. Und die Folge wird sein, dass sie sich aus dem Markt zurückziehen werden, wenn die Debatte in dieser Form weitergeht. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen es: je strenger die Regulierung, je schärfer die Preiskontrolle, umso eher vertreibt man die privaten Vermieter.

Damit würde die Lage auf dem Mietmarkt aber noch angespannter.

Natürlich. Der Zugang für diejenigen Menschen, die nicht auf eine Eigentumswohnung ausweichen können, sondern auf eine Mietwohnung wirklich angewiesen sind, wird immer kleiner. Darum ist nicht nur eine Debatte über Enteignungen Gift für den Standort. Auch die Diskussion in der SPD über einen Mietendeckel gehört definitiv dazu. So was kann einen Wohnungsmarkt kaputtmachen.

Ob Mietpreisbremse, Enteignung, Mietendeckel oder die Debatte um die Grundsteuer, die künftig vielleicht nicht mehr auf den Mieter übertragbar ist: Ist die Balance zwischen Mieter- und Vermieterrechten nicht schon jetzt gestört?


Noch ist vermieten attraktiv, aber die Balance kommt immer mehr aus dem Gleichgewicht. Und mit einem Mietendeckel wäre es mit der über Jahrzehnte gesicherten Balance definitiv vorbei.

Hat die Regierung den Überblick darüber verloren, was auf dem Wohnungsmarkt zu tun ist?


Den Eindruck kann man haben, ja. Aber so ganz einfach ist es nicht. Die Politik hat das Problem, dass sich viele verschiedene Ebenen mit dem Thema beschäftigen. Da sind die Städte, die etwa Einfluss auf das Bauflächenangebot hat. Da sind die Länder, die unterschiedliche Schwerpunkte beim Bauordnungsrecht setzen und auch die Hoheit über die Grunderwerbsteuer haben. Und dann ist da noch der Bund, der etwa beim Mietrecht eine eigene Gesetzgebungskompetenz hat. Das alles zusammen ist nicht unbedingt harmonisch und führt momentan zu ziemlichem Populismus.

Sie glauben also nicht, dass die SPD wirklich auf Enteignungen setzt und einen Mietendeckel für sinnvoll hält?

Nein. Aber schlimm genug, dass man mit diesen Begriffen spielt. Ganz klar: es fehlt jemand, der den Menschen klar sagt, wie die Lage ist und dass wir dem Wohnungsbau in den Ballungsgebieten nun Vorrang einräumen müssen – auch wenn viele Bedenken angeführt werden.


Für das Land Berlin wäre eine Enteignung zudem ein ordentlicher Brocken Geld.


Was Berlin nicht hat. Zudem würden ja längst nicht nur arme Mieter unterstützt. Die Mieterstruktur in diesen Beständen ist extrem heterogen, das heißt, es gibt auch eine relativ große Anzahl von Mietern, die ausreichend verdienen und gar nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. 

Was also läuft schief in der Wohnungspolitik? Die Bundesregierung wollte dafür sorgen, dass bis zum Ende der Legislaturperiode 1,5 Millionen Wohnungen gebaut werden. Davon ist die Politik meilenweit entfernt.


Die Politik hat versagt, der Markt und die Gesellschaft.


Bitte erklären Sie das.


Die Politik schafft es nicht, ausreichend Bauflächen zur Verfügung zu stellen – das ist das A und O, um weiterzukommen. Die Marktbedingungen sind so, dass Unternehmen vor allem in den Bereichen bauen, wo die höchsten Margen zu erzielen sind. Das kann man ihnen nicht verübeln – aber der Staat könnte Regeln setzen. Was fehlt, sind eher einfache Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen, nicht hochpreisige Vier- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen.

Und das schreckt die Investoren nicht ab?


Nein. Es gibt schon Möglichkeiten, in den Markt einzugreifen, ohne ihn kaputt zu machen. In Städten wie in Berlin stehen die Unternehmen Schlange, um Wohnungen zu bauen – auch Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen, wenn die Regeln das verlangen.

Inwieweit versagt die Gesellschaft?

Die Gesellschaft verhält sich schizophren. Wir wollen viele Wohnungen, energetisch sanierte Wohnungen und wir wollen altersgerecht sanierte Wohnungen. Nur: dann müssen wir einerseits zulassen, dass Neubau auch in der Nachbarschaft stattfindet. Und zweitens, dass eine ordentliche Ausstattung etwas kostet. Sicherlich muss man darüber diskutieren, wie einzelne Mieter entlastet werden. Aber dass wir aus Klimaschutzgründen und wegen der Alterung der Gesellschaft in die Wohnungsbestände investieren müssen, und dass die Mieter als Nutznießer finanziell daran beteiligt werden, diese Erkenntnis sollte selbstverständlich sein.

Was ist mit den hohen Baustandards in Deutschland?


Wenn es immer die höchste Qualität sein muss, inklusive Dreifachverglasung und der beste Schallschutz, dann wird der Spielraum, günstig zu bauen, gering. Wir haben keine Wahl: Wir müssen uns in diesen Wust aus Standards begeben. Und überlegen, welche Standards verzichtbar sind.


Reichen die Kapazitäten am Bau?


Es ist kurios: die Baubranche ist ähnlich ausgelastet wie Anfang der 2000er Jahre. Damals haben wir aber pro Jahr 100.000 Wohnungen mehr gebaut. Auch das zeigt die Komplexität der heutigen Bauvorschriften. Wir müssen also unbedingt zu Produktivitätsfortschritten kommen, sonst wird Bauen und Wohnen tendenziell noch teurer.

Wie sehen Sie denn die Preisentwicklung in den nächsten Jahren? Empirica meint, dass sich die Lage in den nächsten vier Jahren entspannen könnte.


Ja, weil die Forscher glauben, dass die Zuwanderung in die großen Städte kleiner wird. Das sehe ich anders. Ich glaube, dass die Ballungsräume weiter wachsen werden und der Druck weiterhin hoch bleiben wird.
 

Hier gelangen Sie zum Interview im Handelsblatt

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