IW-Direktor Michael Hüther rechnet nicht damit, dass die hohe Inflation lange anhält. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er, die Preissteigerungen seien vorübergehende Effekte und Nachwirkungen des Corona-Jahres. Sparern riet er, in Aktien und Immobilien statt in Staatsanleihen zu investieren.
Hohe Inflation: „Wir werden eine Korrektur dieser Preiseffekte sehen”
In Deutschland ist die Inflationsrate im Mai auf 2,5 Prozent gestiegen – der höchste Wert seit zehn Jahren. Das liegt vor allem an den schnell gestiegenen Preisen unter anderem für Öl und Gas. Aber auch Waren und Dienstleistungen sind nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes im Vergleich zum Vorjahr teurer geworden. Im April lag die Inflationsrate noch bei 2,0 Prozent. Die Rate übersteigt damit das Ziel der EZB, die mit ihrer Null-Zins-Politik eine hohe Inflation verhindern wollte und sich ein Ziel von 2,0 Prozent gesetzt hatte.
Herr Hüther, verliert jede Euromünze, die in der Hand umgedreht wird, damit schon an Wert?
Na ja, wenn wir die Betroffenheit in der Breite uns anschauen, was die Energiepreise anbetrifft, dann ist es natürlich so, und das geht auch nicht an den Geldbeuteln vorbei. Aber die entscheidende Frage ist ja, können wir es einschätzen, wie weit es trägt, und vor allen Dingen, ist es dauerhaft im System drin, das heißt, wirkt es über höhere Lohnabschlüsse, über eine Preis-Lohn-Preis-Spirale in das System, sodass dann die Notenbank eine ganz andere Politik betreiben müsste. Das ist ja sozusagen die Überlegung, die man mit im Auge haben muss. Bisher – und das ist auch meine Einschätzung – überwiegt die, dass es ein vorübergehendes Phänomen ist, wir haben einen Nachruckeleffekt aus der Corona-Situation des vergangenen Jahres.
Man muss sich immer klarmachen, das haben wir noch nie gehabt, außer in Kriegssituationen, dass Produktion fast komplett runtergefahren wird, dass Lieferketten unterbrochen wurden, dass Grenzen geschlossen wurden, und das fährt man nicht einfach so hoch, als sei nichts gewesen. Und das merken wir jetzt sehr viel deutlicher, weil insgesamt die Weltwirtschaft auf einem Expansionspfad ist und weil noch etwas hinzukommt: Die Rezession in der Industrie, die wir in Deutschland seit dem Frühjahr 2018 hatten, ist im Grunde auch überwunden. Wenn Sie die Einkaufsmanagerindizes, das Geschäftsklima, die Geschäftserwartungen der Industrie sich anschauen, sind die oft auf Periodenhöchstwerten angekommen, und das zeigt, in der Welt ist viel unterwegs. Und das dann zusammen mit dem Abschließen einer Ökonomie, dass man wieder aufschließt, das ist das, was wir jetzt erleben.
Nun ist ja die Wiederbelebung der Produktion, was Sie ja jetzt hier auch sagen, und damit auch die Wiederbelebung auch von Lohn- und Tarifverhandlungen und so weiter, ist ja noch nicht beendet, das geht ja weiter. Wie groß ist das Risiko?
Na ja, die Tarifverhandlungen, dass es vielleicht eine gute Fügung gibt, Stabilität, weil wir in diesem Jahr keine großen Lohnverhandlungen mehr haben. Die Flächentarifverträge sind abgeschlossen und tragen in das Jahr 2022 hinein, und ich sehe auch nicht, dass in der Lohnpolitik sich die Konstellation grundsätzlich verändert. Natürlich wird man auf Reallohnsicherung schauen, aber dass daraus diese klassische Preis-Lohn-Preis-Spirale wird, scheint mir von den Wettbewerbsverhältnissen international nicht plausibel.
„Geldpolitik unterstützt vor allem Bilanzbereinigung der Banken”
Sie sagen, das ist noch nie dagewesen, eine derartige Geldpolitik, eine derartige Nullzinspolitik über so, so viele Jahre hat es auch noch nie gegeben. Wie problematisch ist das?
Das ist sicher richtig. Was wir uns anschauen müssen, ist, wie sind diese unkonventionellen Maßnahmen, wie es ja heißt, im System angekommen. Bisher nicht in der Geldmenge, nicht in (... ) Geldmenge M3, die die Nutzung des Geldes durch die Konsumenten letztlich bestimmt, sondern in der Zentralbank-Geldmenge, der monetären Basis, wie wir sagen, das heißt eigentlich im Banksystem. Die Geldpolitik ist bisher vor allen Dingen eine Politik, die die Bilanzbereinigung der Banken unterstützt hat. Das war nach der Finanzkrise wichtig, das war auch in den letzten Jahren vor dem Thema der Staatsschulden wichtig, und das ist aber noch nicht angekommen. Das heißt, insofern ist der normale Hebel, den wir erwarten, auf die Geldmenge nicht da, und Geldmenge hat nicht mehr diese Informationsfunktion wie früher. Sie ist kein Vorlaufindikator mehr für Inflation.
„Die Preise sind nichts anderes als Informationen“
Also zugunsten der Banken, zulasten der Verbraucher?
Nicht zulasten der Verbraucher. Die Verbraucher haben auch was davon, wenn ihre Banken sicher sind, wenn das Finanzsystem stabilisiert wird, wenn wir insgesamt dadurch einen Finanzierungsrahmen haben, der auch jetzt ja wieder hilft. Insofern gilt schon, was auch Staatssekretär Kukies gesagt hat: Wir sind mit dem Bankensystem ganz ordentlich durch diese Pandemie gekommen, und das sollte uns erst mal Sicherheit auf der einen Seite geben, und wir müssen sehr viel genauer in die vielen Preiseffekte reinschauen. Wir haben so viel Sondereffekte – Holz, weil Brände, weil protektionistische Maßnahmen in Russland beim Bau dazu führt, dass wir beispielsweise aus einer Koproduktion im Bereich der Mineralölnutzung, aber auch bei anderen Themen, dass die Kuppelprodukte so nicht mehr da sind, Gips beispielsweise, wenn Sie bauen, ein Baumaterial für den Innenausbau ganz zentral, und es ist einfach sehr viel knapper. Und die Preise sind ja nichts anderes als Informationen, die uns geliefert werden: Etwas ist knapper.
„Wir haben sehr viele vorübergehende Effekte“
Wenn wir das konkret machen, es wird knapper, wir können das seit Wochen, Monaten beobachten. Sie haben das Stichwort genannt, Holzkosten, auch andere Materialien, die wichtig sind bei der Verbauung, wie auch immer. Wir haben die Sprit-, die Gaspreise, Strompreise, alles geht nach oben, alles wird teurer, da wird die Inflation doch steigen.
Ja, die Frage noch mal, setzt es sich in dem um, was geldpolitisch als Rahmen gesetzt ist, und das ist nicht das, was ich im Augenblick erwarte, sondern wir werden eine Korrektur dieser Preiseffekte auch wieder sehen. Wir haben Dinge, beispielsweise die CO2-Abgabe in Deutschland seit Jahresanfang auf flüssige Brennstoffe und Gas kommt zusätzlich hinzu. Wir haben den Effekt der Mehrwertsteuer, die im zweiten Halbjahr 2020 gesenkt war, die jetzt im ersten Halbjahr wieder dazukam, das heißt, wir haben sehr, sehr viele vorübergehende Effekte, und die ganzen Lieferprobleme werden ja durch die Preissignale auch wieder bereinigt. Bei einigen geht’s schneller, beim Thema Halbleiter, wenn eine Fabrik abgebrannt ist wie in Japan, dauert es wieder etwas länger, aber diese Dinge ruckeln sich ein, und da darf man sich auch nicht sorgen. Da gilt auch ganz einfach, dass die Preise reagieren, zeigt uns ja, dass das Informationssystem der Marktwirtschaft entsprechend wirkt. Die Informationen werden geliefert, daraus entstehen Anpassungen in den Produktionskapazitäten, oder man sucht nach alternativen Dingen. Wenn man sich zum Beispiel Zulieferer im Automobilbereich anschaut, Metalle werden ganz anders heute in der Welt nachgefragt als nur den klassischen Lieferketten. Also man reagiert darauf, und es ist auch richtig, dass dann die Preise genau diese Information liefern.
„Verhaltensanpassung in der Nutzung der Energie“
Ja, wird ja auch teurer, Herr Hüther, aber ich muss Sie noch was fragen: Wenn die Produktion weiter steigt, wenn die Preise weiter steigen, da sagen Sie, da gibt es meistens in irgendeiner Form ab einem bestimmten Zeitpunkt auch ein Korrektiv, weil diese Informationen dann aufgenommen, verarbeitet und korrigiert werden dann in irgendeiner Form vom Markt. Wenn der Staat aber dabei ist, Klimaschutzpolitik, CO2-Steigerungen der Preise, ist das ja etwas anderes, ein Eingriff in den Markt. Diese Preise werden immer höher. Inwieweit sind diese CO2-Preise, Energiepreise dann verbunden mit dem Thema Inflation?
Das ist etwas, was fortlaufend wirkt. Wir sehen das dann auch bei den CO2-Preisen über den Zertifikatehandel, aber das ist ja auch gewünscht. Aber gewünscht ist ja vor allen Dingen, dass dann auch Verhaltensanpassungen stattfinden, das heißt, die Verhaltensanpassungen in der Nutzung der Energie führen ja wieder zu Preisdämpfungen. Also auch hier muss man ja sehen, der Preis an sich soll ja nicht nur hoch sein, sondern es soll ja eine Reaktion stattfinden. Das gilt nicht nur auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft, wenn hier Produktionskapazitäten gebaut werden oder Lieferstrukturen überarbeitet werden, das geht auch bei den Konsumenten.
Kerninflationsrate und Erwartung in den Märkten
Das könnte aber dauern.
Ja, das kann dauern, aber auf der anderen Seite sehen wir auch, wie schnell es dann geht. Wenn Sie sich beispielsweise die anderen Möglichkeiten der Mobilität anschauen, wie schnell jetzt umgestellt wird in der Produktion, dass auch nachfrageseitig darauf reagiert wird, das hängt mit diesen Preisen zusammen. Und dann sollten wir auf die Kerninflationsrate schauen, die liegt bei 1,6, 1,7, das ist die, die ohne Energie und Nahrungsmittel berechnet wird. Warum machen wir das? Weil wir sagen, bei (...) sind in der Tat so viele außerordentliche Effekte, exogene Effekte, politisch, internationale Situation am Ölmarkt mit drin. Wenn man wissen will, was in der Volkswirtschaft selbst angelegt ist aus dem ökonomischen Geschehen, schaut man sich die Kerninflationsrate an. Und ein Letztes: Die Inflationserwartungen, die die EZB erhebt auf 12 und 24 Monate, sind nicht aus dem Band ihrer Zielnorm 1,7 bis knapp unter 2 Prozent herausgerutscht, sondern sind weiterhin da drin. Es gibt also auch keine Erwartungen in den Märkten.
„Der Nachruckeleffekt ist komplizierter“
Ja, aber wir haben jetzt 2,5, es wurde ja immer argumentiert, maximal 2 Prozent, da ist man jetzt ja drüber, aber Sie sagen, das ist die Kerninflation …
Ja gut, (…) drunter waren.
Ja, ja, aber die Kerninflation …
… fast Deflationsdiskussionen gehabt, und jetzt haben wir ein Überschießen aus diesen vielen, vielen Sondereffekten, und der Großteil ist Corona-bedingt, ist bedingt aus den Lieferketten, auch aus den Logistiksystemen. Wenn Sie sich Containerpreise anschauen, die ja sich verdreifacht haben, all das macht ja deutlich, dieser Nachruckeleffekt, der ist einfach länger und der ist komplizierter, und es ist nicht ein Schalter, wo wir ein- und ausmachen, wenn man eine Volkswirtschaft oder eine Weltwirtschaft quasi wie gesagt abstellt.
„Ein bisschen Ruhe im Karton“
Aber Sie haben gesagt, es gibt diese externen Faktoren, die müssen wir rausrechnen, aber es gibt immer externe Faktoren, die können sich ja auch noch verstärken.
Ja, aber auch dann sind die Fragen, wie reagiert man darauf. Wir haben immer gesehen, dass man auch dann darauf reagiert – auf Ölpreise, auf entsprechende andere Preissignale. Nahrungsmittel sind Saisongüter, das ist nichts, was dauerhaft nach oben treibt. Der entscheidende Punkt, da haben Sie drauf hingewiesen, ist natürlich die CO2-Bepreisung, aber das wollen wir, und diese Relativpreise sollen zur Kenntnis genommen werden. Das heißt, hier sollen die Menschen ja auch reagieren. Auch das ist etwas, was dann ankommen muss. Insgesamt ist das jetzt ein Überschießen der zwei, aber das ist nichts, was sofort die Geldpolitik jetzt auf den Plan rufen sollte. Das muss sie auch hinnehmen, genauso wie sie mal die 1 Prozent nur hingenommen hat und wo auch keiner gerufen hat, als es mal weniger war und wir alle über Deflationsgefahren gesprochen haben, also auch jetzt ein bisschen Ruhe im Karton. Das sind viele Sondereffekte, und dann müssen wir schauen, bis die Notenbank durch kluge Kommunikation klarmacht, dass sie aber eine andere dauerhafte Entwicklung nicht hinnimmt.
„Niemand ist gewzungen Staatsanleihen zu kaufen“
Sie haben gesagt, Ruhe im Karton oder Ruhe bewahren, Sie haben eben auch gesagt, der Verbraucher hat auch was davon, wenn wir auf die Sparer schauen, wenn wir auf diejenigen schauen, die angelegt haben als Altersvorsorge und so weiter, und das ist nicht garantiert, dieser Festzins, das heißt, da gibt es ja auch keine Rendite mehr. Wie problematisch ist das genau für diese Gruppe – wir reden ja über Millionen –, die jahrelang auf Kontinuität und Stabilität gesetzt haben und die jetzt, wie beispielsweise auch der bayrische Finanzminister sagt, die jetzt enteignet werden, Step by Step, also Schritt für Schritt.
Na ja, ich meine, es ist ja niemand gezwungen, nur Staatsanleihen zu kaufen, und eine kluge Anlage hat ein breites Portfolio, hat möglicherweise Fonds, in denen auch international (…) auch Aktien enthalten sind, und wenn Sie die da drin haben, haben Sie das Problem nicht.
„Man kann in Aktien oder Immobilien gehen“
Haben ja viele nicht.
Ja, aber das ist ja dann auch die Frage, ob wir nicht der Aktienkultur mal etwas mehr Bedeutung beimessen sollten. Durch breite Streuung kann man daraus gute Produkte machen, das ist alles bekannt. Insofern, dieses Argument galt ja auch vorher schon. Ich meine, es war vorher schon, dass eine Bundesanleihe negativ verzinst war, und dann noch und selbst dann, wenn Sie nur 0,5 Prozent Inflation haben, ist es dann erst recht negativ – auch das haben Menschen hingenommen, weil die Verwahrung von Geld auch offensichtlich etwas ist, was man als werthaltig ansieht. Aber wenn man Rendite machen will, muss man ein anderes Portfolio anlegen, das gilt aber schon länger. Keiner hat einen Anspruch darauf, dass er eine Realwertsicherung seiner Anleihen bekommt.
Also mit Sparen verliert man?
Wenn man so spart. Man kann das auch anders machen, man kann in Aktien gehen, man kann in Immobilien gehen. Man muss sich überlegen, dass man ein wirklich breites Portfolio hat, und man hat ja auch eigentlich lange Zeit im Leben. Es geht ja um eine Perspektive auch des langfristigen Sparens, und dann ist auch eine ganz andere Risikostruktur als bei dem Kurzfristsparen natürlich richtig und wichtig. Also noch mal: Keiner hat für eine Einzelanlage einen Anspruch auf Werthaltigkeit.
Zum Interview auf deutschlandfunk.de
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