Politisch trennen sie Welten: Prof. Michael Hüther vom wirtschaftsnahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) und Prof. Rudolf Hickel, gewerkschaftsnaher Wirtschaftsprofessor der Uni Bremen. Doch beim Thema Euro sind sie sich einig: Er ist unverzichtbar. Ein Gespräch mit dem Wochenmagazin Forum.
„Wir müssen Griechenland in jedem Fall retten“
Herr Hüther, Herr Hickel, wo lagen die historischen Fehler bei der Euro-Einführung?
Michael Hüther: Es hätten einige Beitrittsentscheidungen nicht fallen dürfen. Das betrifft Griechenland. Und wir haben gesehen, was die Einführung niedriger Zinsen in früheren Hochzinsländern auslöst – nämlich die Fehlnutzung dieses Effekts. Sowohl in den öffentlichen wie auch in den privaten Haushalten hat sich über zehn Jahre eine Verschuldung aufgebaut – das gilt für Griechenland, Portugal und für Spanien.
Rudolf Hickel: Man hat im Maastrichter Vertrag den Euro geschaffen mit der Illusion, dass die Währung genügend Konvergenzkraft entwickelt. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Vom Maastrichter Vertrag waren wir nicht vorbereitet auf die Frage, was passiert, wenn es zu einer Instabilität kommt. Wir wissen erst jetzt in einem Lernprozess, das zu korrigieren.
Wenn Sie Irland, Portugal, Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland auf einer aktuellen Risikoampel bewerten müssten – welche Länder würden Sie rot, welche gelb und welche grün kennzeichnen?
Michael Hüther: Irland schaltet gerade von Gelb auf Grün, Portugal ist gelb, Spanien schaltet sich von Rot auf Gelb, Griechenland ist noch immer rot. Italien ist grün und damit aus meiner Sicht weniger problematisch als Frankreich. Frankreich würde ich als gelb kennzeichnen.
Rudolf Hickel: Bei Irland bin ich gleicher Meinung – das ist grün. Portugal dann gelb und Spanien eher rot. Italien ist noch eher gelb, mit grüner Tendenz. Und bei Frankreich bin ich noch pessimistischer als Michael Hüther – das ist gelb, aber mit roter Tendenz. Griechenland ist klar rot.
Gehen wir nach Griechenland: Hier sind auch strukturelle Probleme für die missliche Lage verantwortlich. Worin liegen diese?
Michael Hüther: Das ist das Thema Effektivität von Staatlichkeit. Auf der einen Seite ist ein normales Verwaltungssystem wie ein Katasterwesen nicht greifbar und muss aufgebaut werden. Und zum anderen gibt es das Elitenproblem, wo man sich in einer politischen Kultur in den beiden Parteien über Jahrzehnte gegenseitig die Pfründe zugeschoben hat. Und jetzt geht niemand in die Verantwortung, damit beispielsweise über eine Vermögenssteuer das Problem angegangen werden kann.
Rudolf Hickel: Griechenland hat eine tief gespaltene Gesellschaft. Die sozial Schwachen müssen jetzt die Anpassungslasten der Krise aushalten, während auf der anderen Seite gerade die Finanzoligarchie und der Despotismus herrschen. Die wichtigste Aufgabe in Griechenland ist es in der Tat, an die völlig unverantwortliche Vermögensverteilung ranzugehen.
Vereinzelt sind mittlerweile Auffassungen zu hören, Griechenland müsse zurückkehren zu einer – dann abgewerteten – Drachme oder zumindest zeitlich befristet aus dem Euro austreten. Teilen Sie diese Auffassung?
Rudolf Hickel: Das ist absoluter Quatsch. Es darf in Griechenland weder eine Rückkehr zur Drachme noch Spekulationen über einen zeitlich befristeten Euro-Austritt geben. Wir müssen alles tun, um Griechenland zu retten.
Michael Hüther: Meine völlige Zustimmung. Der Austritt hilft nicht, weil die Realeinkommensverluste dramatisch wären und die soziale Not noch viel größer würde. Und wer behauptet, das Land könne ja in fünf Jahren wieder in den Euro eintreten, gibt ein Versprechen ab, das unglaubwürdig ist. Das wäre der definitive Austritt Griechenlands aus dem Euro.
Wie stehen Sie zu einem Schuldenschnitt für Griechenland, der den deutschen Steuerzahler dann finanziell in die Verantwortung nähme? Wird er kommen oder nicht?
Michael Hüther: Der Schuldenschnitt wird schon alleine aus politischen Gründen im Wahljahr nicht kommen. Aber er hätte auch die falsche Signalwirkung. Es muss eher darum gehen, die Schuldentragfähigkeit in eine langfristige Entwicklungsperspektive für Griechenland für die kommenden zehn Jahre zu überführen. Möglicherweise mit anderen Zinsregelungen, aber den Schnitt halte ich nicht für erstrebenswert.
Rudolf Hickel: Ich sehe das genauso, denn der erste, 106 Milliarden Euro schwere Schuldenschnitt hat nur sehr wenig bewegt und am Grundproblem Griechenlands nichts geändert. Deshalb bin ich der Meinung, wir müssen zu einer längerfristigen, tragfähigen Lösung kommen.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Griechenland-Krise?
Rudolf Hickel: Ich finde die Rolle der EZB seit Jean-Claude Trichet und auch jetzt bei Mario Draghi hervorragend, weil sie in eine Lücke springen muss, zu der es derzeit keine andere Institution gibt, die den Euro gegenüber den Spekulanten stabilisieren kann. Aber irgendwann muss eine solche Institution geschaffen werden, damit die EZB diese Stabilisierungsfunktion nicht mehr übernehmen muss.
Michael Hüther: Die EZB hat eine gute Rolle gespielt. Sie hat auch aus ihren Fehlern gelernt – das Interventionsprogramm 2011 hat sehr negative Anreize gehabt. Silvio Berlusconi hat zum Beispiel hiernach sofort die italienischen Konsolidierungsanstrengungen gestoppt.
Herr Hickel, Sie befürworten einen Schuldentilgungsfonds. Wie könnte dieser aussehen?
Rudolf Hickel: Wir könnten ab 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – das wären in Deutschland rund 550 Milliarden, in Europa 2,3 Billionen Euro – in den Fonds langfristig einlegen. Aber zur Finanzierung des Fonds, die nach Einschätzung des Sachverständigenrates über die Mehrwertsteuer oder über die Einkommenssteuer laufen könnte, sollte zusätzlich auch eine Vermögenssteuer kommen.
Michael Hüther: Ich bin kein Anhänger des Schuldentilgungsfonds, weil der Schuldenschnitt nach hinten, den dieser Fonds ja indirekt bedeutet, den Ländern undifferenziert ihre Last wegnimmt. Auch wenn der Sachverständigenrat das negiert, aber genau das ist der Einstieg in die Euro-Bonds. Das passt nicht zu dem, was der europäische Raum benötigt.
Wie steht es um die europäische Bad Bank? Ist sie ein Ausweg?
Michael Hüther: Ja, denn ich glaube, dass sie genau am Kern des Problems ansetzt, die Bilanzen der 29 systemrelevanten Banken in der Euro-Zone zum Stichtag hin zu bereinigen. Banken sind überfordert, in kritischen Marktsituationen ihre Bilanzen zu restrukturieren, weil sie Notverkäufe tätigen müssen. Sie verkaufen unter Wert. Hier benötigen wir eine neue Einheit und das Vorbild ist die erste Abwicklungsanstalt.
Rudolf Hickel: Wir haben ja in Deutschland ein Gesetz zu sogenannten Bad Banks. Das ist alles als Folgeerscheinung der Krise um die Hypo Real Estate schon geregelt. Ich finde es richtig und konsequent, dass zu einer europäischen Bankenunion auch eine europäische Lösung zu sogenannten Bad Banks gehört. Das Misstrauen der enorm vernetzten Banken untereinander in Krisenzeiten wird abnehmen, wenn es eine solche Bad Bank gibt.
Zum Schluss ein Vergleich zum Umgang mit der Krise in Europa und in den USA. Wer geht mit der Krise besser um, wo liegt das höhere Risiko und wird die USA in Zukunft eher eine Politik des Schuldenabbaus durchführen oder eher den Weg zu neuen Schulden gehen?
Michael Hüther: Ich sehe nicht, dass in den USA wirklich der politische Wille herrscht, bei Kernfragen zusammenzukommen. Das macht mir Sorgen. Ich glaube eher, man wird die „Fiscal Cliff“ (so nennen Experten einen Mix aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen, der dem Land droht, wenn die Politiker in Washington nicht rechtzeitig handeln, Anmerkung der Redaktion) umschiffen, anstatt sie aufzulösen. Da könnten nochmals die Fristen erhöht werden. Das Risiko in den USA ist daher höher.
Rudolf Hickel: Hier stimme ich zu. Bei allen Gipfeln ist seit 2010 ein schrittweiser Lernprozess erkennbar. Diese Lern- und Reformfähigkeit ist ja bei 17 souveränen Nationalstaaten noch schwieriger als in den USA.
Zum Interview auf www.magazin-forum.de
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