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Michael Hüther auf n-tv.de Interview 19. August 2013

"Wir brauchen eine neue Agenda"

Die Opposition agiert nach dem Prinzip Zumutung, die Koalitionsparteien nach dem Prinzip Hoffnung – der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), Michael Hüther, stellt keinem der politischen Lager ein gutes Zeugnis aus. Die Große Koalition von 2005 bis 2009 lobt er als bislang letzte Reform-Regierung in Deutschland. Eine Neuauflage hält er dennoch nicht für wünschenswert.

Wenn Sie der schwarz-gelben Koalition eine Note für ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik geben müssten, welche wäre das?

Es wären zwei Noten, weil man gesondert sehen muss, dass diese Bundesregierung seit 2009 durch die Staatsschuldenkrise in der Eurozone extrem gefordert war. Die Bewältigung dieser Krise ist, wie ich finde, sehr gut gelungen. In einem schwierigen Umfeld - mit 17 Partnern in der Eurozone und 27 in der gesamten EU - hat die Bundeskanzlerin Linie halten können. Das war eine beachtliche Leistung.

Die Politik der kleinen Schritte, die Frau Merkel betreibt, würden Sie demnach für richtig halten?

Eine Politik der kleinen Schritte war deshalb sinnvoll, weil zunächst einfach nicht klar war, welche Dimension diese Krise annehmen würde. Es gab einen allgemeinen Suchprozess - und das schließt uns Ökonomen ein -, die Handlungsoptionen auszudifferenzieren. Wenn man Orientierungen und ein mittelfristiges Ziel hat, dann können kleine Schritte wirksam und erfolgreich sein.

Und Ihre zweite Note?

Bei der Wirtschaftspolitik in Deutschland hat sich die Koalition im Grunde ausgeruht auf den Anstrengungen früherer Bundesregierungen, insbesondere auf der Agenda 2010, aber auch auf den Reformen der Großen Koalition, vor allem der Rente mit 67. In den letzten vier Jahren ist da nicht viel passiert - mit Ausnahme der Energiewende, und die ist in einer Art und Weise gemanagt worden, dass man wirklich kein "versetzt" darunter schreiben kann.

Wirtschaftsminister Rösler steht weitgehend im Schatten von Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble. Was hat er wirtschaftspolitisch erreicht?

Bei Themen wie der Staatsschuldenkrise saß das Bundeswirtschaftsministerium nicht im Fahrerhäuschen. Vielleicht hätte man das anders beanspruchen können. Aber von der Ausgangsposition her lag der Schwerpunkt im Finanzministerium. Grundsätzlich hat das Wirtschaftsministerium immer die Not, auf der einen Seite Subventions- und Verteilungsmechanismen zu betreiben, auf der anderen Seite ordnungspolitische Klarheit walten zu lassen. Letzteres hat Rösler verstärkt betrieben, und er hat es auch geschafft, einen konstruktiven europapolitischen Kurs seiner Partei zu halten. In der Energiepolitik aber lässt er dem Umweltministerium zu viel Feld. Hier geht es um Kernfragen der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, das müsste stärker vom Wirtschaftsministerium mitbestimmt werden.

Wegen der Spar-Forderungen an die südeuropäischen Krisen-Länder muss Bundeskanzlerin Merkel viel Kritik einstecken - schließlich leiden die betroffenen Länder unter Rezession und Massenarbeitslosigkeit.

Ich finde diese Kritik schwer nachvollziehbar. Denn die Krise hat ja dort ihren Ausgangspunkt genommen, wo zu viel billiges Geld verfügbar war - in Griechenland, Spanien, Portugal. Dort gab es zu viel Konsum, in Spanien vor allem Fehlinvestitionen im Immobilienbereich. Diese Kreisläufe sind zusammengebrochen. Dann muss man einfach eine Konsolidierungsphase hinter sich bringen, daran führt kein Weg vorbei. Es war richtig, die solidarische Hilfe daran zu binden, dass diese Länder ihre Haushalte konsolidieren und die Voraussetzungen für Wachstum schaffen. Die Krisenländer müssen jetzt Reformen nachliefern, die sie im Grunde zehn Jahre lang verschlafen haben.

Macht Frau Merkel in der Eurokrise auch Fehler?

Es ist zu Recht öffentlich thematisiert worden, dass die Erklärung der Krisenpolitik und der gegenseitigen Abhängigkeiten, in denen man in Europa steht, von Seiten der Bundesregierung zu wenig betrieben wurde. Aber es ist nun einmal die Schwachstelle der Bundeskanzlerin, dass sie keine großen Reden halten kann, vielleicht auch nicht will. Ein Fehler lag anfangs in der Annahme, dass die Krise kurz- bis mittelfristig - also innerhalb von drei bis fünf Jahren - bewältigt werden könnte. Das war angesichts historischer Erfahrungen immer unrealistisch, es geht um mindestens eine Dekade.

Der französische Präsident Hollande musste nach seiner Wahl erkennen, dass sein Spielraum nicht groß genug ist, um die im Wahlkampf angekündigte Politik umzusetzen. Könnte das einer rot-grünen Regierung ähnlich gehen?

Das würde relativ schnell so wirken, die Bedingungen der Realität sind unerbittlich. Das heißt nicht, dass man keine Alternativen hat. Aber die Zeiten einer großen Ausweitung von Staatstätigkeit, einer breiten Erhöhung von Steuern und damit einer Verstärkung der Abgabenlast sind schon lange vorbei. Auch eine rot-grüne Bundesregierung würde bald feststellen, dass ihr Ansehen in den Keller rauscht, wenn sie der wirtschaftlichen Dynamik mit einer Politik der Steuererhöhungen Schaden zufügt. So war es ja auch 1998/99 nach dem Antritt der damaligen rot-grünen Koalition.

Die meisten Deutschen wünschen sich eine Große Koalition. Wäre das aus Ihrer Sicht eine gute Idee?

Davon bin ich nicht so überzeugt. 2005 hatten wir eine andere Situation, CDU/CSU und SPD waren gleichermaßen von der Agenda 2010 geprägt. Damals hatte man einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt, auch wenn man das so deutlich nicht sagen wollte. Den gibt es jetzt nicht mehr.

Es gibt eine Gemeinsamkeit in der europäischen Krisenpolitik ...

... aber die SPD versucht, sich davon abzusetzen. Der große Unterschied liegt in der Belastungspolitik: Die SPD will massive Steuererhöhungen, das sind gut 40 Milliarden, die da im Jahr zusammenkommen. Bei der Union gibt es das Versprechen, Steuern nicht zu erhöhen. Will die CDU nicht unglaubwürdig werden, kann sie sich nicht auf Steuererhöhungen einlassen. Dagegen muss die SPD höhere Leistungen ins Schaufenster stellen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren will. Insofern würde es deutlich schwieriger als 2005.

Das gilt auch für Schwarz-Grün?

Ich halte Schwarz-Grün für eine Idee der Medien, weil im Augenblick sonst nicht viel los ist. Es findet ja quasi kein Wahlkampf statt. Zwischen Union und Grünen passt vieles noch lange nicht zusammen, auch zwischen den handelnden Personen nicht.

Die Eurokrise ist das dominierende Thema, aber längst nicht das einzige Problem. Worauf sollte sich eine neue Bundesregierung - wie immer sie auch aussieht - daneben konzentrieren?

Die Eurokrise wird in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr so im Mittelpunkt stehen. Politisch sind die notwendigen Dinge weitgehend erledigt. Auch die Konjunktur gewährt eine Entlastung. Jetzt muss es darum gehen, das Geschäftsmodell Deutschland in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Das Ziel muss ja sein, 2023 sagen zu können, dass es in den vergangenen zehn Jahren besser geworden ist. 2013 haben wir gegenüber 2003 die Wachstumsschwäche überwunden, wir haben ein hohes Maß an Beschäftigungszugewinn, die Verteilungsrelationen haben sich seit 2005 wieder entspannt, die Einkommen steigen. Das muss auch 2023 wieder gesagt werden können.

Wem trauen Sie dies eher zu, der Opposition oder der Koalition?

Die Oppositionsparteien agieren in ihren Wahlprogrammen nach dem Prinzip Zumutung - nach dem Motto: Wer kann noch mehr Steuern erhöhen? Die Regierungsparteien folgen dem Prinzip Hoffnung: Nur nicht bewegen, wenn uns keiner sieht, geht es mit der Konjunktur und der Beschäftigung vielleicht so weiter wie bisher. Das eine ist keinesfalls zuträglich, aber auch das Prinzip Hoffnung ist kein Selbstläufer. Es muss der Lernprozess einer neuen Bundesregierung in den ersten Wochen und Monaten sein, eine verlässliche Politik zu entwickeln, die den demografischen Wandel ernst nimmt, die sich um die Defizite bei Bildung und Infrastruktur kümmert. Es geht um politische Maßnahmen, die innovatives unternehmerisches Handeln und damit Wachstum ermöglichen, um in einer Gesellschaft, die schrumpft und altert, Gegenimpulse zu setzen. Was wir brauchen, ist eigentlich eine neue Agenda.

Zum Interview auf n-tv.de

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