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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 30. August 2014

„Traditionelle Mechanismen funktionieren nicht mehr“

Die klassischen Zusammenhänge in der Wirtschaft werden nicht mehr fortgeschrieben, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln im Deutschlandfunk. Früher sei klar gewesen: Gibt es einen militärischen Konflikt im Nahen Osten, wirke sich das auf die Ölpreise aus. Heute gebe es strukturelle Faktoren, die das ausglichen.

Herr Hüther, ist etwa der Wohlstand in Gefahr?

Nein, der Wohlstand ist nicht in Gefahr, aber es ist, wie Sie beschreiben, eine Bündelung von Verunsicherungsfaktoren. Die merken wir vor allen Dingen bei den Investitionen. Die haben ja im Wesentlichen erklärt, dass im zweiten Quartal das Bruttoinlandsprodukt leicht geschrumpft ist. Der Konsum ist noch stark, der Arbeitsmarkt ist robust, aber die Erwartung, mit der wir auch aus der konjunkturanalytischen Sicht in dieses Jahr gegangen sind, dass die Investitionen wieder zulegen, dass von daher auch das Wachstum für die Zukunft breiter wird, die bestätigen sich nicht. Und da ist die Ukraine ein Thema, aber sicherlich auch andere Aspekte in der Weltwirtschaft, die dazu führen, dass die Unternehmen dies im Augenblick noch nicht tun.

Würde das denn so gelten, von mir als Laien so formuliert: Wenn die anderen es nicht gut machen, dann können wir auf Dauer auch nicht profitieren?

Es ist sicherlich so, dass alle was davon haben, wenn es allen gut geht und wenn überall der Weg nach oben gezeichnet ist, dann stabilisiert sich der Prozess. Das ist ja die Erwartung, die wir in Europa haben, und die auch nicht komplett zu revidieren ist. Wir sehen, dass in Ländern wie Spanien, wenn wir auf den Arbeitsmarkt dort schauen, aber auch bei der Produktion das Tal der Tränen durchschritten ist, dass man wieder nach oben steigt. Das gilt auch für Portugal. In Italien ist es ein sicherlich schwieriger Prozess - auf der anderen Seite hat Italien im Norden des Landes eine wettbewerbsfähige Industrie. Hauptproblem aus unserer Sicht ist Frankreich. Möglicherweise jetzt mit neuem politischen Personal aber auch mit einer Chance, die richtigen Dinge zu tun. Insofern ist es ein gemischtes Feld, es ist aber nicht mehr so, dass wir überall die Krisen nur nach unten sich verlängern sehen, sondern es ist so ein In-between. Es korrigiert sich, es stabilisiert sich, aber es ist halt auch vieles einfach mit einem Fragezeichen versehen.

Aber wir müssen schon ganz klar damit rechnen in den kommenden Monaten und Jahren, dass unser Level des Wirtschaftswachstums ein bisschen eingebremst wird?

Na ja, man darf auch nicht vergessen, wir sind ein bisschen auch in der Inlandsdebatte geprägt von dem stabilen Arbeitsmarkt, von den gut laufenden Fördereinnahmen und von dem konsolidierten Staatshaushalt. Wenn Sie aber mal auf die Wachstumsziffern schauen - nun waren die ja schon letztes Jahr nicht so doll, halbes Prozentpunkt - da waren andere stärker. Und wir sind anfälliger über die Investitionen, das ist ein wesentlicher Treiber. Wir haben allerdings, anders als früher, über den stabilen Arbeitsmarkt einen stabilen privaten Verbrauch. Und insofern ist das schon ein Pfad, der von der Grundtendenz nach vorne zeigt, aber natürlich die Sorgen sich auch mehren. Und ein bisschen unklar ist, wo eigentlich die Fantasie für mehr Wachstum hinkommt. Das ist aus meiner Sicht eigentlich auch die Frage für die nächsten Jahre. Man darf nicht vergessen: Die große Krise wirkt nach. Das Geschäftsmodell, das bis 2008 galt, ist zerstört. Die Frage ist, was ist das neue Geschäftsmodell? Wir haben Zweifel an den Emerging Markets, an Schwellenländern, auch die sind neu zu betrachten. Und schließlich, was ist die große Innovation, die das Investieren nährt. Also, es gibt hinter der Kulisse, wo vorne Ukraine drauf steht, eine Reihe von Faktoren, die auch grundsätzlich fragen, wie stark kann das Wachstum eigentlich sein.

Jetzt muss ich Sie auch noch auf einem anderen Feld da befragen. Wir bleiben natürlich beim Thema. Stichwort Banken, habe ich eben schon gegeben. Da ist jetzt in vielen Analysen in den Tageszeitungen, die wir ja lesen, zu lesen, zu hören, dass die Banken sich gegenseitig nicht vertrauen, dass die Kreditvergabe ausbleibt. Wie kann es denn sein, dass ich so gut wie jeden Tag Briefe in der Post habe, wonach ich dann ein Auto kaufen kann und einen Kredit angeboten bekomme. Warum funktioniert das nicht in der großen Wirtschaft?

Es steckt schon nach, dass in dieser Krise sehr grundsätzlich die Geschäftsoptionen und Geschäftstätigkeiten infrage gestellt wurden. Da ist allerdings auch viel passiert, hier muss man aufpassen, dass man nicht in Schwarz-Weiß-Bilder verfällt. Die Banken haben in erheblichem Maß ihre Bilanzen überprüft, verkürzt, haben Geschäfte neu aufgestellt, sind auch dabei, zu fragen, ob große Bereiche des Investmentbanking noch in der Form eine Zukunft haben. Also da ist eine Menge unterwegs, aber richtig ist auch, das Bankenthema ist noch das Thema, was in der Europäischen Währungsunion am stärksten zu betrachten ist. Und deswegen ist es ja auch so wichtig, dass es eine Bankenunion gibt, dass die europäische Finanzaufsicht dieses gemeinsam, und dann auch auf vertraulicher Basis, klären kann. Also auch hier: Wir sind da noch nicht durch. Und das ist das, was immer wieder auch berichtet wird, wenn manche vielleicht dachten, es ist schon die Sonne am Himmel permanent am Scheinen.

Und Sie würden das auch im europäischen Kontext bestätigen - die Banken vergeben zu wenig Kredite an die Unternehmen?

Sie vergeben wenig. Auf der anderen Seite ist natürlich auch in den südlichen Ländern die Kreditnachfrage nicht so stark, weil die Unternehmen erst langsam wieder in das Investieren kommen. Aber natürlich, die Banken dort haben unverändert Probleme in ihren Bilanzen, und deswegen ist diese Bereinigung der Bankbilanzen - in Spanien wird das angegangen, in anderen Ländern auch - ganz zentral.

Inflation, Deflation haben wir auch schon angesprochen. Es wurde auch in einem wahren Horrorszenario hochgepuscht in den vergangenen Monaten. Jetzt kommt die Deflation, ist in der Konsequenz viel, viel schlimmer als die Inflation. Deflation heißt ja, kurz gesprochen, dass die Preise eben sinken und nicht mehr steigen. Ist das wirklich für uns jetzt eine Gefahr?

Es gibt zwei Formen von Deflation. Es gibt durchaus die gute Deflation, die dadurch entsteht, dass durch hohe Produktivitätsgewinne die Positionsmöglichkeiten voranschreiten und deshalb die Preise schwächer sich entwickeln als ja dann auch Disinflation, also als schwächere Inflationsraten. Oder es gibt in der Tat das Horrorszenario, wo die Nachfrage so schwach ist und auch Anreize erfährt, eigentlich permanent Entscheidungen in die Zukunft zu verlagern, weil man hofft, die Preise sinken weiter. Das kennen wir aus Japan, und dann verhärtet sich ein solcher rezessiver Vorgang in eine tiefe Depression, die dann hinter einer solchen Deflation steht. Das sehen wir aber im Augenblick nicht. Wir haben eine Reihe von Sonderfaktoren. Die Preise in den südlichen europäischen Ländern passen sich nach unten an. Das ist dort unvermeidbar, weil die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden muss. Es ist lange gefordert worden, jetzt findet es statt. Das ist ein verzögerter Prozess. Wir haben eine Sonderentwicklung beim Ölpreis. Wir haben Sonderentwicklungen bei den Nahrungsmitteln, die gewöhnlich Frühindikatoren sind für die Preisentwicklung. Insofern ist das fast eine Preisniveaustabilität auf Null. Aber nach vorne hin betrachtet, wenn die Konjunktur sich wieder dann in einer doch gemäßigten Bahn, wie sie ja im Augenblick auch dahin rudert, nach vorne zeigt, dann ist das Thema Deflation nicht ein Schreckensbild. Also hier muss man auch aufpassen, dass man aus solchen Entwicklungen nicht immer gleich das Horrorszenario ableitet. Mediale Übersteigerungen, gerade in Sommerpausen, neigen natürlich dazu.

Ich muss auf den Aspekt noch mal eingehen. Sie haben das dankenswerterweise auch noch mal genannt - der Ölpreis. Das kommt ja vielen völlig schizophren vor: Auf einmal haben wir ein Problem, weil der Ölpreis gesunken ist, weil er so tief ist wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr, kann auch die Inflation nicht positiv anheizen. Und jetzt haben wir dadurch ein Problem, dass das Öl so billig ist.

Ja, wir merken einfach daran, dass so traditionelle Mechanismen nicht mehr funktionieren. Und das stellt uns Ökonomen natürlich auch vor besondere Herausforderungen. Früher war völlig klar, Sie haben einen militärischen Konflikt im Nahen Osten, Sie haben Reaktionen der Ölpreise. Nun sehen wir aber, es gibt auch strukturelle Faktoren, die das wieder ausgleichen. Wir haben in den USA eine Eigenförderung in bis vor Jahren ungeahntem Ausmaß. Man geht davon aus, dass die USA immer weniger vom Weltmarkt benötigen und das im eigenen Land regeln können durch Schiefergas- und Schieferölvorkommen.

Also Fracking.

Fracking, genau. Und die Nutzung dieser Potenziale heißt natürlich, dass ein großes Land, eine Riesenvolkswirtschaft, sich auf die Weltmärkte anders auswirkt. Gleichzeitig sehen wir dann auch, dass einzelne Produktionsstätten wieder in Gang kommen. Also es ist einfach ein an vielen Stellen im Augenblick so, dass die klassischen Zusammenhänge nicht mehr so fortgeschrieben werden. Das gilt beim Thema Ölpreis und Konflikten, das gilt beim Thema expansive Geldpolitik, und die Frage der Inflation, die man dann eigentlich klassischerweise ableitet - es gilt auch bei einer relativ starken Exportentwicklung und den Investitionen, die normalerweise anziehen. Auch das sind alles Dinge, die so nicht mehr wirken.

Sie haben, Herr Hüther, gesagt, also mit Italien, Spanien, Portugal und so, das kriegen wir irgendwie in den Griff, obwohl Italien ja offiziell jetzt von Rezession auch spricht. Frankreich ist das Problem, sagen Sie. Jetzt hat es da einen Regierungswechsel gegeben, jedenfalls einige Minister mussten gehen, andere sind gekommen. Und die Franzosen sind sich zumindest bei den Sozialisten ja offenbar in einem einig: Deutschland ist kein Vorbild. Die sagen sogar, Frankreich ist kein Bundesland von Deutschland. Die deutsche Sparpolitik ist in Europa so umstritten. Wenn wir jetzt über die Rentenpolitik, über die Familienpolitik, über die Sozialpolitik nachdenken, dann haben wir gar nicht das Gefühl, dass wir so viel Sparpolitik betreiben. Was kann, soll nach Ihrer Meinung die Bundesregierung denn tun?

Die Bundesregierung muss die Investitionsbedingungen besonders in den Blick nehmen. Das ist das Thema Infrastruktur, Energie - Verkehrsinfrastruktur, Energieinfrastruktur, digitale Infrastruktur. Wenn wir über Industrie 4.0, also die moderne Industrie, die über Informationskreisläufe mit Kundeneinbindung gesteuert wird, wirklich entwickeln wollen, und das kann nur in Deutschland gelingen, weil wir diese Industriebasis mit dem Dienstleistungsverbund haben, dann ist das alles ganz zentral.

Und da soll sie Geld ausgeben?

Da muss sie auch Geld ausgeben, da braucht sie auch private Investoren. Da muss man aber auch genau fragen, worum geht es, und nicht einfach jetzt die Gießkanne ausschütten. Und das Geld ist aber auch vorhanden. Wir haben im Staatshaushalt genug, und man muss dann ein bisschen Mut haben, auch umzustrukturieren. Das Geld, was wir für Rentenerhöhung für wenige, kleine Gruppen, für kleine Klientelgruppen ausgegeben haben, ist gesamtwirtschaftlich nicht zu verantworten.

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