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Michael Hüther auf heute.de Interview 4. Juni 2012

Fachkräftemangel kostet Milliarden

Rohstoffe hat Deutschland kaum, das Kapital sind die Fachkräfte. Aber die Lücken werden erkennbar größer. "Fachkräfte fehlen in einer unerwarteten Breite", sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im heute.de-Interview.

Herr Hüther, fehlen der deutschen Wirtschaft Fachkräfte?

Es gibt einen Fachkräftemangel nicht generell, aber in relevanten Qualifikationen. Und das sind insbesondere, wenn wir auf die industrielle Wertschöpfung schauen, die MINT-Qualifikationen. Dort haben wir erkennbar eine Lücke. Das ist empirisch sauber belegt. Und zudem zeigt es sich im Anstieg der Löhne in diesen Knappheitsbereichen.

Die MINT-Qualifikationen?

Das Kürzel steht für Mathematik-, Ingenieur-, Naturwissenschaften und Technik. Diese Qualifikationen sind nicht nur in der industriellen Produktion von hoher Bedeutung. Es sind Schlüsselqualifikationen für die gesamte Volkswirtschaft. MINT-Fachkräfte werden in erheblichem Maße auch gesucht im Verwaltungshandeln, in der Wissenschaft, im Einkaufsmanagement, in Geschäftsführungspositionen. Der MINT-Begriff steht letztlich für den Erfolg des Wirtschaftsmodells Deutschland.

Wie viele dieser Fachleute fehlen?

Wir messen das seit Anfang 2000. Die Lücke befindet sich jetzt auf einem Höchststand. Es fehlen uns jetzt 210.000 Fachkräfte im MINT-Bereich.

Fehlen akademisch ausgebildete Fachkräfte oder auch Facharbeiter?

Es fehlen auch Facharbeiter, die die duale Berufsausbildung hinter sich gebracht haben. Bei Facharbeitern können wir kaum noch den normalen Ersatz bedienen, weil mehr Menschen aus Altersgründen die Arbeitswelt verlassen als in sie eintreten. Geschweige denn eine Expansion dieser Tätigkeiten, die sich aus der stabilen Lage der Industrie ergeben.

Beeinträchtigt der Fachkräftemangel schon die Wachstumschancen?

Wir haben das vor Kurzem gemessen. Da kamen wir auf einen Wertschöpfungsausfall, der bei etwa 22 Milliarden Euro pro Jahr lag. Das sind also keine Kleinigkeiten, zumal wir sehr konservativ gerechnet haben. Das sind gesamtwirtschaftlich relevante Größen.

Ist der Fachkräftemangel ein demographisches Problem oder eines der Bildungspolitik?

Es gibt mehrere Ursachen. Einmal ist es so, dass wir über lange Jahre eine zu geringe Studierneigung für diese technischen Berufe gehabt haben. Das hat sich erfreulicherweise in den letzten zwei, drei Jahren geändert. Wir haben aber auch früher schon beobachtet, dass sich Studierneigung für solche technischen Berufe nicht auch tatsächlich umsetzt in Studienentscheidungen. Da hat es offenbar nicht genügend Anreize gegeben. Bedenklich ist auch der hohe Anteil von Studierenden, die während des MINT-Studiums aufhören; in keiner anderen Fächergruppe haben wir so hohe Abbruchquoten. Das hat mit Studienorganisation, aber auch dem Selbstverständnis vieler Lehrender in diesen Fächer zu tun. Hohe Abbruchquoten sind sicher kein Grund, stolz zu sein, wie es mitunter erscheint.

Studienabbrecher dürften nicht das einzige Problem sein.

Das Zweite ist, dass wir seit Mitte des letzten Jahrzehnts erleben, dass diese industriebasierte Ökonomie in Deutschland, ergänzt um Dienstleistungen, sich sehr dynamisch entwickelt, auch in der Krise. Das hat den Fachkräftemangel in einer vorher unerwarteten Breite spürbar werden lassen. Bei der dualen Berufsausbildung werben die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie seit bestimmt 20 Jahren für die Berufe in ihrer Branche. Sie gehen in die Schulen hinein. Da kann man fragen: Ist das hinreichend? Aber es ist sicher ein wichtiger Beitrag. Also: Demographie und Bildungspolitik – wir haben an beiden Stellen ein Problem. Hinzu kommt die Dynamik der Wirtschaft, die Wissensintensivierung. Auch der Bedarf an Steuerungskompetenzen, der wächst mit der Art, wie wir Produkte konfigurieren, die Dienstleistungen und die Kunden mit einbeziehen. Das hat einfach für mehr Bedarf gesorgt. Pro Jahr liegt der derzeit bei einem Expansionsbedarf von gut 60.000 Fachkräften mit MINT-Qualifikationen.

Brauchen wir deshalb mehr Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland oder mehr Bildungs- und Ausbildungsangebote?

Die Antwort liegt eindeutig beim "sowohl als auch", die Politik hat mittlerweile beides erkannt. Wir müssen an allen Stellschrauben drehen. Man muss für entsprechende Schulfächer werben, Technikbegeisterung inszenieren, Lehrer dazu befähigen, eine faktisch vorhandene Studierneigung auch wirksam werden zu lassen. Das Zweite ist: Wir erkennen, dass im Hochschulbereich die Studentenzahlen steigen, auch im Bereich MINT. Seit 2005 haben die Anfängerzahlen in den MINT-Fächern um 60 Prozent zugelegt, von 131.000 auf mehr als 200.000. Da ist etwas in Gang gekommen. Das gilt es zu verstetigen ...

... kommen noch ausländische Fachkräfte hinzu ...

... das Dritte ist: Wir haben viele, die aus dem Ausland zugewandert sind, die schon hier sind und die in einem höheren Maß mit technischen Qualifikationen ausgestattet sind als die heimische Bevölkerung. Das schöpfen wir nicht ab. Das versuchen wir jetzt, zum Beispiel mit gesetzlichen Grundlagen, mit Anerkennungsportalen, um im Ausland gemachte Abschlüsse im Inland anzuerkennen. Das betrifft etwa 300.000 Personen, freilich ist das ein Einmal-Effekt. Und dann kommt die Zuwanderung hinzu. Da hat die Bundesregierung auch eine Menge gemacht, die Beschlüsse zur bluecard etwa, das Absenken der Einkommensgrenze, um damit auch eine realistische Basis zu schaffen für Menschen, die zu uns kommen wollen. Zudem geht es auch um die Frage, wie wir Frauen für diese technischen Berufe begeistern können. Da hat sich noch nicht wirklich was getan. Und wir müssen schließlich auch die Älteren länger in diesen Berufen halten, was immer konsequenter geschieht.

Tun die Unternehmen selbst genug?

Da kann man immer sagen: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Die Unternehmen haben in den letzten Jahren viele Aktivitäten entwickelt, auch die dafür zuständigen Arbeitgeberverbände. Auch bei der gleichen Vergütung von Männern und Frauen hat sich viel getan. Ganz bedeutsam ist auch die Verkürzung der Ausfallzeiten, also dass man den Zeitraum, in dem familienbedingt der Job nicht wahrgenommen kann, möglichst begrenzt hält. Weiterbildungsaktivitäten, noch vor wenigen Jahren jüngeren Mitarbeitern angeboten, schieben sich in der Alterstruktur nach oben durch. Das ist ein laufender Prozess.

Hat vor allem der Mittelstand ein Problem damit?

Natürlich haben es große Unternehmen, die international tätig sind, manchmal einfacher, weil sie einen ganz anderen internen Arbeitsmarkt haben. Unsere kleinen mittelständischen Unternehmen haben es nicht so einfach, weil man Personalpolitik nicht so intensiv betreiben kann, wenn man 250 Beschäftigte hat als wenn Sie ein 5.000-Mann-Unternehmen sind. Aber auch dort kann man über kooperative Lösungen Standorte attraktiv machen. Also, es ist eine ganze Menge unterwegs, aber es gibt auch noch viel zu tun, ohne Zweifel.

Das Interview auf heute.de

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