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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 4. Februar 2016

"Ein Grad mehr bringt knapp 24.000 Besucher mehr"

Karneval sei ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, sagte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Wie viel Umsatz gemacht wird, hängt auch vom Wetter ab: Ein Grad kann schon einen Unterschied machen.

Wie groß ist der Wirtschaftsfaktor Karneval?

Wir können das grob auf eine Milliarde rechnen, was wir in Köln jetzt allein an diesem Hotspot des Karnevals an Umsatz haben. Das verteilt sich schwerpunktmäßig auf die Gastronomie. Sie haben erwähnt, das, was man so an Ausstattungsmerkmalen benötigt – Transport, Kostüme, Spielwaren kommen dazu –, das ist dann schon eine Menge, und da hängen dann auch Arbeitsplätze dran. Man kann das für Köln auf etwa 5.000 beziffern, die in irgendeiner Weise unterstützt, verstetigt, stabilisiert werden durch diesen Umsatzbeitrag, den der Karneval an diesen wenigen Tagen bringt.

Gucken wir über den Kölner Tellerrand hinaus: Wie viel bringt das denn in ganz Deutschland?

Da gibt es Schätzungen des Bundes Deutscher Karneval, die liegen bei zwei Milliarden pro Jahr. Sie sehen, dass dann ein Viertel davon schon auf Köln fällt, dass auch von daher noch mal deutlich wird, welche Bedeutung diese Metropole hat. Das zeigt übers Jahr hinweg 3.000 Unternehmen, die in irgendeiner Weise mit 40.000 Beschäftigten daran beteiligt sind an unterschiedlichen Ecken. Der Schwerpunkt ist in Nordrhein-Westfalen, wo dann Zulieferungen, wo das ganze Jahr über das produziert wird, was man dann an Orden und solchen Sachen alles benötigt. Das ist so ähnlich wie mit den Weihnachtsengeln, die ja auch schon meistens das ganze Jahr produziert werden. So ist das im Karneval auch ein bisschen.

Karneval als eigener Industriezweig?

Na ja, das ist vielleicht ein bisschen viel gesagt, weil es natürlich Nutzungen von Infrastrukturen sind, von vorhandenen wirtschaftlichen Aktivitäten wie das Hotel- und Gaststättengewerbe, wie das Transportgewerbe. Aber es führt einfach dort zu einem erheblichen Impuls. Und es ist gerade gemessen an der Größe, die wir da eben hatten, für die Rheinregion doch sehr beachtlich.

Ist das auch der Grund dafür, dass man sich sehr schwer tut, zum Beispiel aufgrund der angespannten Sicherheitslage Karnevalsveranstaltungen abzusagen?

Ich meine, wir wissen ja aus der Geschichte – einmal hat es eine Absage gegeben, das ist gar nicht lange her, das war 1991 beim Golf-Krieg. Und interessanterweise hat das ja kräftige Impulse gesetzt. Danach sind die Geisterzüge entstanden, 1992, am 29. Februar, das war auch ein Schaltjahr. Aber es ist nicht die Frage Wirtschaftsfaktor, sondern es ist die Frage, weil die Menschen es wollen, weil die Spaß dran haben. Und dann ist ja nicht die Frage, ob man irgendwas absagt, sondern das kann ja nur die aller-, allerletzte Ratio sein.

Das Wetter ist durchwachsen in diesem Jahr, es ist regnerisch. Hat das Einfluss auf den Umsatz?

Die Karnevalisten sind relativ wetterrobust. Es kommen, Sie haben das anfangs erwähnt, immer so im Schnitt um eine Million. Was allerdings wirkt: wenn es ein bisschen wärmer wird. Das ist schon bemerkenswert. Ein Grad mehr bringt so knapp 24.000 Besucher mehr. Man hat den Eindruck, dann kommen die auch aus der tiefen Eifel und aus dem Sauerland und dem Siebengebirge leichter raus und kommen dann auch noch nach Köln. Aber ansonsten sind die Karnevalisten wirklich wetterrobust. Es gibt auch keinen großen Effekt der gesamtwirtschaftlichen Dynamik. Das BIP-Wachstum hat keinen Erklärungsbeitrag.

Sie sind Rheinländer, Herr Hüther, Ihnen muss man den Karneval nicht mehr erklären. Anders sieht es mit vielen Flüchtlingen aus, die gerade zu uns nach Deutschland kommen. Und, ganz ehrlich, auch mir ist vieles im Karneval nicht immer so ganz klar. Viele Städte und Gemeinden versuchen deshalb, Flüchtlingen den Karneval zu erklären. Wie würden Sie denn das in zwei Sätzen zusammenfassen, was wir ab heute auf den Straßen des Rheinlands beobachten dürfen?

Man muss es von daher erklären, wo es herkommt. Historisch ist es Kritik an der Obrigkeit. Es ist sozusagen das Gegenteil von Hoffärtigkeit, es ist, mit klugen, mit lustigen, mit Amüsement getragenen Tätigkeiten, Reden, Aktivitäten der Obrigkeit zu zeigen, dass man es auch gern anders hätte, dass es anders sein kann, also mit Spaß an der Freude. Das hat ja diesen besonderen Sinn, und ich glaube, das kann man so auch einordnen, und das es einfach historisch hier ins Rheinland gehört. Dass es etwas zu tun hat mit der christlichen Prägung, dass es einfach auch aus tiefen Wurzeln mittelalterlicher Traditionen kommt, aber seine besondere heutige Bewandtnis in dieser Form kriegt. Und dann ist einfach auch vieles erlaubt. Und mit dieser Freiheit muss man umgehen, und das gehört bei uns dazu. Und entweder geht man nicht hin oder man akzeptiert es, aber ich glaube, entscheidend ist die Botschaft, es ist das Gegenteil von Hoffärtigkeit, es ist das Gegenteil von Anbiederung.

Bleiben wir bei den Flüchtlingen in Deutschland, Herr Hüther. Es gibt Menschen, die sehen sie als Bedrohung, als Last für Gesellschaft und Wirtschaft. Wie sieht das Institut der Deutschen Wirtschaft die Flüchtlinge?

Wir sehen das eigentlich ganz pragmatisch. Wir haben auf der einen Seite eine moralisch-politische Entscheidung der Regierung zur Kenntnis genommen, die man auch gut begründen kann, dass man hier Hilfe tätigt, dass man offen ist, dass diese Gesellschaft offensichtlich breiter und offener ist als viele andere, aber dass zweitens dann auch, wer A sagt, auch B sagen muss. Er muss dann auch die Leistung erbringen im Inneren, um den Menschen eine Perspektive hier zu geben und es der Gesellschaft möglich zu machen, sie zu integrieren.

Wie würden diese Leistungen aussehen?

Das geht, will ich ganz einfach sagen, sehr viel besser als vor 20 Jahren, als wir Anfang der 90er-Jahre ja schon mal eine Flüchtlingswelle hatten, damals aus dem kriegerischen Zusammenhang Jugoslawiens. Wir haben heute in vielen Bundesländern gut organisiert Schulklassen für Integration. Wir haben Sprachkurse, wir haben überhaupt das Instrument der Integrationspolitik, der Integrationsinstrumente, die bereitstehen. Und die Politik hat ja in einer ganz kurzen Zeit das, was alles da ist, auch geöffnet für Flüchtlinge. Man darf ja nicht vergessen, dass Flüchtling eigentlich die Ausnahmesituation ist. Man sagt, die kommen vorübergehend. Deswegen sind früher diese Dinge nicht offen gewesen, auch der Arbeitsmarkt nicht. Das ist jetzt geändert worden. Das muss jetzt auch konsequent gemacht werden, der Staat muss sich hier gut aufstellen. Es ist ein Verwaltungsthema, aber am Ende ist es eine Infrastruktur, und wir haben ein gewaltiges bürgerschaftliches Engagement, und das muss ernst genommen werden, das muss eingebunden werden, nicht nur als vorübergehende Veranstaltung, sondern als eine stabile Struktur. Wenn das gelingt, dann bin ich auch hoffnungsfroh. Aber man muss einfach sagen, es hat gewaltige Voraussetzungen, und es ist kein Selbstläufer.

Bedeutet das gleichzeitig Konkurrenz um günstigen Wohnraum, Konkurrenz um Arbeitsplätze?

Nun, wenn Menschen in ein Land kommen mit einer Bevölkerung, die so stark altert und schrumpft, dann ist das erst man von daher passend, das kann man generell so sagen. Dieses Land wird offensichtlich von außen positiv gesehen, wie auch jüngst in einer international vergleichenden Befragung. Da kam heraus, wir sind die beliebteste Gesellschaft, das beliebteste Land, nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten, sondern gerade auch, weil wir Zivilgesellschaft haben, weil wir eine gesellschaftliche Offenheit haben. Und natürlich entsteht da eine Frage, wo gehen die hin, und wie organisiert man das. Aber wir haben eigentlich gesehen, auch nach dem Krieg – schauen Sie, wie viele Millionen Menschen kamen in den 50er-Jahren in eine zerstörte westliche Republik? Das ist auch alles gelungen. Dann hat man Infrastruktur entwickelt und gebaut, und jetzt muss man Verlässlichkeit haben, das ist, glaube ich, ganz wichtig, wie viele es denn sein können, worauf man sich einzustellen hat. Und dann muss da niemand Angst haben. Diese reflexartigen Negativstimmungen sind nicht begründet.

Welche Schritte, welche drei Schritte wären da aus Sicht der Wirtschaft für die nächsten Monate am wichtigsten?

Als Erstes die Verstetigung der Unterstützung der Schulen, dass die Sprachkompetenz und die Bildungsmöglichkeiten entstehen. Das Zweite ist, dass wir alle Formen des Tests auf Beschäftigungsfähigkeit derjenigen, die schon etwas älter sind, nutzen, Praktika, Tarifverträge wie in Nordrhein-Westfalen flexibel anwenden, da haben das die IG Metall mit NRW Metall gemeinsam beschlossen, Öffnungen vorzunehmen, um den Menschen einfache Wege in die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Wir müssen ja sehen, wie passen sie und was können wir ihnen an Signalen geben. Und dass sich dieses dann auch einbetten muss in eine kluge Infrastrukturpolitik – natürlich Wohnraumbereitstellung. Wir müssen überprüfen, ob wir da flexibel genug sind.

Die Sorgen um die Konjunktur sind derzeit weltweit groß, abzulesen an den fallenden Kursen an den Börsen. Jetzt werden Flüchtlingsunterkünfte gebaut, dort Jobs geschaffen, Essen zubereitet et cetera. Sind die Flüchtlinge auch so etwas wie ein Konjunkturprogramm für Deutschland?

Das klingt jetzt so ein bisschen sozusagen instrumentell, aber es ist in der kurzen Frist so. Im Jahr 2016 werden wir auf etwa 20 Milliarden zusätzliche Ausgaben des Bundes und der Länder und der Kommunen kommen, die sonst nicht ausgegeben worden wären, zumindest nicht dafür. Das sind 0,3 Prozentpunkte Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts. Also von den eindreiviertel, die gegenwärtig prognostiziert werden in der allgemeinen Sicht, in der Konsenssicht, ist dann also dieser Anteil 0,3 darauf zurückzuführen. Eine völlig andere Frage ist, wie gelingt mittelfristig die Integration in den Arbeitsmarkt? Gelingt die, dann haben wir nicht nur ein Konjunkturnachfrageimpuls, sondern auch einen langfristigen Wachstumsimpuls.

Anerkennung von Abschlüssen, wichtiges Stichwort dabei. Was geben Sie da der Politik mit auf den Weg?

Auch hier muss man sagen, es ist vieles in den letzten Jahren gemacht worden. Das Anerkennungsgesetz 2012 eröffnet Möglichkeiten, relativ konsequent eine Information darüber zu haben, ist dieser Berufsabschluss testiert, passt der zu uns, welchen Weg kann man dann gehen im deutschen Berufs- und im deutschen weiteren Bildungssystem. Da haben wir eigentlich alle Instrumente mittlerweile an der Hand. Ich glaube, es liegt nicht so sehr hinten heraus an den Wegen, die man dann eröffnet, sondern dass man vorne schnell das abwickelt, was das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lange Zeit nicht gut hinbekommen hat, weil man es auch vernachlässigt hat, weil man von Berlin die Themen nicht ernst genommen hat, weil da einfach der Anfangsprozess nicht stimmt. Das ist die eigentliche Schwierigkeit. Wir wissen deshalb vieles nicht, was wir wissen müssten. Wo sind die Menschen wirklich, mit welchen Qualifikationen. Das sind nur Anfangsinformationen. Hinten raus haben wir mittlerweile viele Instrument, die wir auch bereit haben.

Das Interview zum Anhören auf deutschlandfunk.de

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