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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 3. März 2015

"Diskriminierung zwischen Angestellten und Beamten"

Anders als in der Industrie sei die Produktivität im Öffentlichen Dienst nicht leicht messbar, sagte Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, im Deutschlandfunk. Deshalb seien Lohnerhöhungen viel schwerer zu ermitteln. Was sich auch in einer Diskriminierung von Angestellten gegenüber Beamten zeige.

Warnstreiks der Lehrer, das ist auch gut so, denn wenn sie streiken, heißt das, sie sind angestellt und keine Beamten. Das heißt, sie sorgen selbst für ihre Altersversorgung und fallen dann nicht dem Staat zur Last.

Ja. Der Hintergrund dieser Diskriminierung zwischen Angestellten und Beamten ist ja in der Tat, dass das, was für Beamte getan wird, nicht wirklich richtig berechnet wird in den Haushalten. Die Pensionslasten sind außen vor. Es ist mal in einzelnen Bundesländern versucht worden. Und insofern ist ja die Idee, zu sagen, wir haben hier eigentlich nicht überall hoheitliche Aufgaben - das ist der Direktor und das ist vielleicht in der Leitung einer Schule, aber ansonsten können das auch Angestellte sein -, nicht ganz verkehrt. Passiert ist aber hier eine sehr ungleiche Entwicklung und das merken übrigens auch die Länder, die neuen Länder vor allen Dingen, in der Rekrutierung von Lehrern. Das ist dann nicht so attraktiv.

Die Arbeitgeber sind in dieser Auseinandersetzung in einer, sagen wir, mäßigen Verhandlungsposition, denn die Konjunktur brummt, die Steuerquellen sprudeln. Da steht der kräftige Schluck aus der Pulle eigentlich an.

Na ja, das ist im öffentlichen Bereich natürlich immer deshalb ein bisschen schwieriger als in der Industrie, weil die Frage nach der Bemessungsgröße nicht so leicht ist. In der Industrie, in der Wirtschaft allgemein, im privaten Bereich versuchen wir, Produktivitätspfade zu ermitteln. Aus diesen Produktivitätspfaden ergeben sich dann real betrachtet die Lohnerhöhungsspielräume. Das ist im öffentlichen Bereich sehr viel schwieriger. Und insofern muss man aufpassen, was man dauerhaft in die Haushalte hineinnimmt, denn in Phasen, wo es dann mal wieder schwieriger sein kann, wenn die Konjunktur wegbricht, die Steuereinnahmen auch, dann wird die Gegenbuchung nicht so leicht möglich. Das merkt man an anderer Stelle, dass dann Personal abgebaut werden muss. Und dann haben wir eine Unterversorgung. Insofern muss auch gerade in solchen Situationen wie jetzt geschaut werden, was ist das dauerhafte Finanzierungskonzept oder die Finanzierungsgrundlage der öffentlichen Haushalte. Dann kann man nicht mal eben Steuereinnahmenspitzen umbuchen.

Herr Hüther, es gab ja immer mal Überlegungen, Leistungsanreize im Öffentlichen Dienst einzuführen. So recht gelungen ist das aber nicht, oder doch?

Nein, es ist nicht wirklich gelungen. Es ist ein sehr schwerfälliger Prozess. Es gibt grundsätzlich solche Leistungszulagen, aber bis die dann wirksam werden, ist der eigentliche Begründungstatbestand schon in Vergessenheit geraten. Es ist ja dann auch im öffentlichen Bereich immer der Grundsatz der Gleichbehandlung, keine Sonderzahlungen. Da ist das ganze Vergütungsgerüst, das wir im öffentlichen Bereich haben, nicht wirklich zielführend. Und der Versuch, hier Flexibilisierung auf der einen Seite, vor allen Dingen aber auch die Möglichkeit, besondere Leistungen prämieren zu können, ist nicht wirklich zum Ertrag gekommen. Es ist weiterhin schwerfällig.

Herr Hüther, Ihr Institut arbeitet gerade an einer Studie, aus der hervorgeht, dass die Gewerkschaften wieder an Einfluss gewinnen. Irgendwie ist das doch auch eine Bestätigung der deutschen Sozialpartnerschaft, um die wir in der ganzen Welt beneidet werden.

Die Sozialpartnerschaft ist ein wichtiger Standortfaktor und die Art und Weise, wie dort Konflikte gelöst werden, wie sie auch eingehegt werden durch Vertragsverpflichtungen, ist sicherlich beispielgebend, gar keine Frage. Was wir feststellen können ist, dass seit 2006 dann auch die Organisationsquote der Beschäftigten, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Gewerkschaften wieder angestiegen ist, von dem Tiefststand um etwa zwei Prozentpunkte. Darin wirkt sich auch aus, dass über die Krise hinweg andere Gestaltungsmöglichkeiten sich ergeben haben, dass auch gerade in der Krise 2009/2010, Stichwort Kurzarbeitergeld, aber auch die sehr angemessenen Tarifverträge in dieser schwierigen Situation gezeigt haben, die Sozialpartnerschaft funktioniert.

Also die wachsenden Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften auch ein Signal der wachsenden Unsicherheit der Arbeitnehmer überhaupt?

Ich würde nicht sagen, der wachsenden Unsicherheit; eher ein bisschen Ernüchterung gegenüber den vorherigen Annahmen, dass das alles nicht mehr notwendig ist, oder dass Gewerkschaften auf dem Rückzug sind. Das hat sich etwas korrigiert. Aber es gilt auch: Der Zuwachs der Mitglieder findet für die Gewerkschaften in einem sehr traditionellen Bereich statt. Ich sage mal, im Grunde der Vollzeit erwerbstätige Industriearbeitnehmer. Zum Teil dann hauptsächlich dort, aber auch in der Beamtenschaft, aber vor allen Dingen männlich, älter und Vollzeit. Das heißt, das sind eigentlich die Gruppen, wenn man auf die Veränderung der Erwerbsstruktur schaut, die nicht weiter an Bedeutung gewinnen. Also muss Gewerkschaft, Politik insgesamt auch schon sein, sich auf Teilzeit, auf Frauen sehr viel stärker einzustellen, die aus deren Sicht nicht stark organisiert sind. Insofern ist das kein Selbstläufer und man muss sehr genau schauen, wohin diese Entwicklung führt, um die Sozialpartnerschaft - um die geht es am Ende - funktionsfähig zu halten.

Sie haben es angesprochen, Herr Hüther. Es gibt bei den Gewerkschaften Defizite im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen, also eben der Bereich, der insbesondere von Frauen in Anspruch genommen wird. Aber auch bei den jüngeren Menschen, den jüngeren Arbeitnehmern stellen Sie fest, dass die Bereitschaft, sich gewerkschaftlich zu organisieren, nachlässt.

Die hat deutlich nachgelassen und die hat sich auch nicht korrigiert. Wenn man die letzten 20 Jahre nimmt, hat die sich um, über den dicken Daumen, sechseinhalb Prozentpunkte von 19,4 reduziert, deutlich reduziert. Und die ist auch seit 2006 nicht wieder angestiegen, sondern noch einmal um ein Prozent zurückgegangen. Das gilt auch für die 31- bis 40-Jährigen und selbst noch für die bis 50-Jährigen. Das heißt, erst die Altersgruppe ab 51 führt zu einer steigenden Organisation der Beschäftigten in Gewerkschaften. Und das ist natürlich auch ein Hinweis, dass vielleicht die Gewerkschaften nicht alle Themen richtig im Blick haben und vor allen Dingen auch Fragen vielleicht anderer Sicherungsformen. Junge Erwerbstätige sind heute im digitalen Umfeld tätig, in ganz anderen Beschäftigungsstrukturen. Wir reden über Arbeitswelt 2.0, wir reden über Industrie 4.0 und digitalisierte Produktion. Das sind natürlich ganz andere Bedingungen. Und man hat ein bisschen den Eindruck, dass das nicht das Thema ist, was so im Mittelpunkt steht. Man hätte dann eine andere Ansprache zu identifizieren bei Jüngeren.

Die Gewerkschaften müssen sich also in diesem Bereich Gedanken machen. Aber auch die Arbeitgeber, Herr Hüther, denn die Sozialpartnerschaft ist ja, sagen wir es grob, ein Wert an sich.

Das ist so. Insofern: Sozialpartnerschaft funktioniert damit, dass beide Partner gut aufgestellt sind, beide Partner auch die Interessen, die es gibt, entsprechend identifizieren und bündeln können, damit dann auch ein gutes Verhandlungsergebnis resultieren kann. Insofern müssen beide daran interessiert sein, sich entsprechend zu entwickeln. Das gilt für die Gewerkschaften wie beschrieben, das gilt für die Arbeitgeberverbände mit Blick auf jenen Bereich ohne Tarifbindung, also die Tarifbindung auch dort entsprechend zum Kern zu machen. Das ist auch ein längerer Prozess, den man durchaus kritisch sehen kann. Insofern sind das Strukturwandelphänomene, die sich aus der industriellen Veränderung, aus der Veränderung von Produktionsweisen, stärkerer Dienstleistungsentwicklung ergeben haben und die natürlich auch zu beleuchten sind. Wir haben es gesagt: Sozialpartnerschaft lebt von beiden Seiten.

Kommen wir noch einmal kurz auf das zurück, worum es geht und was heute Frank Bsirske im Deutschlandfunk angesprochen hat: die Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst. Es wird nicht das am Ende stehen, was die Arbeitnehmer fordern; es wird auch nicht das sein, was die Arbeitgeber bislang angeboten haben. Aber eine deutliche Anhebung des Reallohns, das muss schon sein?

Nun, wir haben ja eine Situation, dass angesichts der Inflation bei null oder sogar leicht deflationärer Entwicklung jede Lohnerhöhungsziffer in diesem Jahr automatisch auch gleichzeitig eine Realerhöhung ist in gleichem Maße. Wenn jetzt die Metall- und Elektroindustrie 3,4 Prozent hat, dann ist das in der Tat dann auch eine reale Größe. Und das haben wir lange so nicht erlebt. Das heißt, es gibt im Augenblick allein durch die Entlastung von der Inflation eine Durchwirkung. Das muss allerdings auch in einer Lohnformel berücksichtigt werden, denn damit haben wir natürlich auch neue Spielräume. Und wie gesagt, bei den Verhandlungen im öffentlichen Bereich gehen wir nicht so einfach vor, Produktivität zu messen. Das können wir nicht. Also muss hier die Verhandlung unter anderen Gesichtspunkten, vor allen Dingen der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte geführt werden.

Zum Interview auf deutschlandfunk.de

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