Die EU droht der Türkei mit Wirtschaftssanktionen und „die Drohung wirkt”, sagte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Denn die türkische Wirtschaft sei stark angewiesen auf Importe aus der Europäischen Union. Doch Ankara habe auch noch Wege, einem möglichen Mittelentzug entgegenzuwirken.
Türkeipolitik: Die Zollunion ist der entscheidendere Hebel
Herr Hüther, wir haben das eben im Bericht gehört: eine interessante Entwicklung gestern. Ankara hat gestern den Vorwurf der Terrorunterstützung gegen deutsche Unternehmen fallen lassen. Ist das für Sie ein Beleg, dass die Drohungen mit Wirtschaftssanktionen Wirkung zeigen?
Die Drohung wirkt, denn man muss ja sehen, die türkische Wirtschaft ist ja zum Teil in einer sehr schwierigen Lage. Wir haben die Inflationsrate von zwölf Prozent, die Arbeitslosigkeit liegt bei 13, das Pro-Kopf-Einkommen ist seit 2013 rückläufig, und es ist insgesamt eine Wirtschaft, die stark angewiesen ist auf die Vorleistungsimporte und überhaupt die Importe aus der Europäischen Union. Deutschland ist Nummer Zwei bei den Importströmen und Zielland Nummer Eins, was die Exporte angeht, und in einer solchen Lage machte das alles ökonomisch, rational betrachtet keinen Sinn und am Ende auch politisch nicht. Mit solchen Terrorvorwürfen sorgt man für Unsicherheit. Man will Investitionen ins Land ziehen, aber die Direktinvestitionen sind schon letztes Jahr knapp ein Drittel zurückgegangen, im Jahresanfang auch noch mal. Das heißt, genau das, was sie eigentlich brauchen, um ihre Wirtschaft zu modernisieren, wettbewerbsfähig zu machen, ist schon unter Bedrohung.
„Welchen Weg will die Türkei gehen?”
Ist denn die türkische Wirtschaft tatsächlich so anfällig? Da gab es doch zuletzt um das Referendum herum auch positive Zahlen. Zumindest wurde das so dargestellt.
Das Referendum hat einfach die Wirkung gehabt, dass man kurzfristig meint, nun ist Klarheit. Dann kommt es halt zu dieser Präsidialverfassung, und das mag irgendwie stabilisieren, und das zeigt sich durchaus auch in einigen Stimmungsindikatoren wie beim Einkaufsmensch, es ändert aber nichts an den strukturellen Bedingungen, unter denen diese Volkswirtschaft steht. Sie ist auf Importe angewiesen, und auf Dauer kann keine mit sinkenden Pro-Kopf-Einkommen erfolgreich sein, und entweder, wenn sie solche Probleme haben, inszenieren sie solche Solidarisierungseffekte, wie man sie mit Vorwürfen gegen andere dann versucht zu bekommen, oder man kommt zur Vernunft zurück. Mir ist noch nicht ganz klar, was die Türken - welchen Weg sie wirklich gehen.
Wie vehement sind denn die Druckmittel, die die EU da in der Hand hat? Wir haben gehört jetzt, diese sogenannten Vorbeitrittshilfen zu streichen, einzustellen, wie das aus Deutschland von der CSU beispielsweise gefordert wird. Das kommt vorerst nicht. Dazu wäre eine Entscheidung des ganzen Rates notwendig. Die Zollunion unter Umständen ganz, die Türken aus der Zollunion auszuschließen wäre ein Mittel. Wie vehement wären diese Druckmittel?
Nun gut, ich meine, die Geldströme sind am Ende das wenigste. Man muss sehen, dass an einer Stelle die Handlungsfähigkeit Ankaras relativ hoch ist. Die Staatsschuldenquote liegt nur bei 30 Prozent, das heißt Staatsschulden aus [unverständliches Wort; Anmerkung der Redaktion], auch das Haushaltsdefizit ist überschaubar. Da gibt es also durchaus Spielräume, die auch schon genutzt werden, um intern dann solchen Mittelentzügen gegenzuwirken. Das macht man in der Türkei mit Steuersenkungen, mit Preis- und Zinssubventionen, um die privaten Akteure zu mehr Kaufentscheidungen zu bringen, man macht Kreditgarantien für die Unternehmen. Das ist nicht der entscheidende Punkt. Die Zollunion ist, glaube ich, der entscheidendere Hebel. Ich hatte eben die Zusammenhänge genannt, auch die Rolle, die Deutschland als Handelspartner für die türkische Wirtschaft spielt, und da liegt in der Tat, glaube ich, der Hebel, und hier muss auch ganz klar sein, dass derjenige, der mitspielen will in einem Club, sich den Regeln des Clubs unterwerfen muss und nicht umgekehrt, und das kann auf Dauer so nicht gut gehen, wie die Türken das, und vor allen Dingen Erdogan, versuchen zu inszenieren.
„Das ist ja schlicht und ergreifend absurd”
Müsste das aus Ihrer Sicht - Sie kennen sich ja aus, Sie wissen unter Umständen auch oder können einschätzen, wie man in der Türkei auf so etwas reagiert -, würden Sie der EU da jetzt empfehlen, entsprechende Drohungen auch ganz deutlich auszusprechen?
Ich glaube, man muss wirklich klarmachen, dass man hier auch konsequent ist. Das kann nicht sein, dass jemand sich benimmt, wo man fragt, hat der eigentlich eine Verhaltensstörung oder versucht der innenpolitische Probleme zu lösen, die am Ende so auch nicht dauerhaft lösen kann, dass man dem sozusagen entgegenkommt, sondern man muss sagen, es ist Schluss. Man hat ja auch gemerkt, dass die Positionsveränderung der Bundesregierung auch da zu einer anderen Reaktion geführt hat. Sie hatten erwähnt, diese Liste mit diesen 700 Unternehmen unter Terrorverdacht. Das ist ja schlicht und ergreifend absurd. Ich glaube, da wird auch nur klar die Sprache verstanden, es gelten die Regeln, und die werden hier nicht anders angewendet, und wenn ihr nicht mitspielen wollt, dann spielt ihr halt nicht mit.
Die deutsche Politik hat sich offenbar parteiübergreifend jetzt dazu durchgerungen, da eine Richtungsänderung einzuschlagen, also zu sagen, so kann es nicht weitergehen. Dennoch die Frage: Wie sehr schadet das dann auch der deutschen Wirtschaft, den deutschen Unternehmen?
Die Türkei ist natürlich ein Exportzielland, und da sind wir hinter China auf Platz Zwei aus Sicht der Türken. Umgekehrt aus deutscher Sicht ist es etwas, was man natürlich immer auch anders gestalten kann, nur am Ende geht es nicht um die Frage, was unsere Unternehmen kurzfristig möglicherweise für Schaden erleiden, sondern ist etwas insgesamt akzeptabel, tragfähig und funktional.
Ganz klar.
Und man kann einer Wirtschaft auf lange Frist nichts Gutes tun mit irgendwelchen Kreditgarantien, um dann in diesem Land, in der Türkei, Investitionen oder Handelsströme von hier aus zu ermöglichen, die nicht wirklich gespiegelt werden durch ein verlässliches Handeln in dem Land selbst. Insofern ist das am Ende keine entscheidende Frage, sondern Politik muss hier konsequent sein und Sicherheit einfordern, Willkür ablehnen. Dann funktioniert das auch im Wirtschaftlichen. Und ich glaube auch, jedes Unternehmen weiß, dass man die Türken selbst sozusagen fordern muss, und es kann nicht von uns kompensiert werden durch irgendwelchen Ausbau von Hermesbürgschaften, sondern gerade das Umgekehrte ist richtig, sagen, die kann man im Grunde nicht geben, wir können nicht durch unsere Kreditbürgschaften deren Unzuverlässigkeit kompensieren.
„Die Unternehmen reagieren sehr schnell”
Wie groß ist denn da jetzt schon der Schaden, vor allem natürlich dann offenbar für die Türkei durch diese Verunsicherung, die Erdogan mit seiner Willkür offenbar erzeugt, mit der Zurückhaltung, die deutsche Unternehmen jetzt ganz offenbar ja schon seit Wochen oder Monaten auch an den Tag legen?
Na ja, man sieht es ja eigentlich schon seit einigen Jahren. Ich hatte eingangs erwähnt, dass das Pro-Kopf-Einkommen schon seit 2013 rückläufig ist, und dann muss das mal auch spiegeln, vor dem, was ja Erdogan eigentlich zuvor erreicht hat in der Dekade seit Anfang des neuen Jahrtausends, da ist viel an Stabilisierung gelungen. Das war eigentlich eine Perspektive, die man als eine tragfähige, auch mit Blick auf einen europäischen Beitritt, den man dann in einer weiteren Zukunft beschreiben konnte, und im Grunde ist das in den letzten Jahren durch dieses Agieren aus vielen Motiven heraus, die politische andere Gründe haben, sehr infrage gestellt worden. Also insofern sehen wir es jetzt schon, und gerade der Verlust an Direktinvestitionen macht deutlich: Die Unternehmen reagieren sehr schnell. Sie sehen das dann am Ende des Tages nicht bei uns im Bruttoinlandsprodukt. Sie sehen es im türkischen Bruttoinlandsprodukt, und wie gesagt: Pro Kopf ist es ja schon seit 2013 im Sinkflug.
Jetzt warnen Experten ja politisch gesehen vor der Gefahr, dass man die Türkei vielleicht in die Arme Russlands treibt da mit einem Konfrontationskurs. Wie ist das wirtschaftlich? Also wenn wir uns den Tourismus zum Beispiel anschauen: Können da arabische Staaten - man hört ja, die Türkei kompensiert jetzt, wenn deutsche Touristen wegbleiben, da kommen längst arabische Touristen, kompensieren das. Viele Russen sind wieder im Land. Können da arabische Staaten wirtschaftlich gesehen oder Russland, können die das in irgendeiner Form kompensieren?
Sie müssten dann ja das liefern können, was für eine Stärkung der industriellen Basis in der Türkei notwendig ist, und das finden Sie dort mit Sicherheit nicht. Sie können möglicherweise bei bestimmten Rohstoffen, beim Öl, Entlastung bieten, aber warum soll jemand da etwas schenken? Also auch für die gilt ja: Die Akteure, die als Unternehmer in dieses Land kommen, finden im Augenblick keinen verlässlichen Rahmen vor. Sie müssen mit Risiken umgehen, die man eigentlich normalerweise in einem zivilisierten Land so nicht sieht. Wenn man zum Beispiel sieht, dass die Türkei auf dem zehntletzten Platz unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit steht, dann sieht man ja die Schärfe dieses Problems. Also man gewinnt nicht dauerhaft Freunde, auch woanders nicht, wenn man sich so aufstellt, wie man es tut, und insofern ist das auch so ein Argument: Klar, man will die nirgendwo hintreiben, und man muss auch sicherlich die Perspektive offenlassen, dass wenn sie zu den vorherigen gemeinsamen zivilen Verhandlungsformen und Verhaltensformen zurückkommt, dass dann die Perspektive Europa realistisch bleibt, aber auch klar muss sein, wenn es nicht geht, geht es nicht.
Die EU droht mit wirtschaftlichem Druck auf die Türkei und hätte durchaus auch Mittel dazu, sagt Michael Hüther, der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft.
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