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Michael Hüther in den Westfälischen Nachrichten Interview 25. Juni 2013

„Die Energiewende wird gefährlich“

Der Mittelstand hat Deutschland durch die Krise geholfen. Aber aktuell steht er auch vor Herausforderungen und Risiken. Die Energiewende, die Vermögenssteuer und neue Regeln bei der Finanzierung nennt Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln im Interview mit den Westfälischen Nachrichten.

Vor 15 Jahren hat der Deutsche Bundestag die Einführung des Euro beschlossen. Ist das Fluch oder Segen für den deutschen Mittelstand?

Klare Aussage: Der Euro ist ein Segen auch für den Mittelstand. Er arrondiert währungstechnisch die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie. Und die ist in erheblichem Maße mittelständisch geprägt. Natürlich haben wir auch die großen Industrieunternehmen, aber die Struktur in der Fläche, dass sind die kleinen und größeren Mittelständler. Der Euro bedeutet für uns, dass wir Währungsturbulenzen in der Eurozone nicht mehr haben. Denken Sie nur mal an 1995: Da hatten wir durch die Abwertung der italienischen Lire ganz erhebliche Veränderungen der Wettbewerbspositionen.

Nach einer Umfrage rechnet fast die Hälfte der Mittelständler mit einer Pleite einzelner Eurostaaten in drei bis fünf Jahren, 18 Prozent sogar mit einem Auseinanderbrechen des Euro – und dass, obwohl die Chancen des Mittelstandes doch gerade im Export liegen...

Zunächst ist es so, dass die deutsche Industrie insgesamt ihre Exportaktivitäten in den letzten drei, vier Jahren in erheblichem Maße aus der Eurozone in die Emerging Markets (Schwellenländer) verlagert hat. In die Eurozone geht zwar immer noch der große Brocken des deutschen Exports, aber es sind nur noch knapp 38 Prozent, nicht wie früher über 40 oder knapp 50 Prozent. Die Dynamik des Exports liegt in den Emerging Markets und in Nordamerika. Natürlich haben wir auch weiterhin Lieferverflechtungen und weiterhin große Bezüge aus der Eurozone: Wenn der deutsche Export außerhalb der Eurozone um zehn Prozent ansteigt, dann steigen die Bezüge aus der Eurozone um acht bis neun Prozent. Das zeigt die engen Verflechtungen in der Eurozone.

In fast jeder Rede würdigen Politiker die Bedeutung des Mittelstandes, aber wie ist es in der Realität: Beachtet die Politik da ausreichend die Interessen des Mittelstandes?

Es gibt überall Mittelstandsbeauftragte und Ministerien, die den „Mittelstand“ im Namen führen. Aber sehen wir uns einmal wirklich die Interessen des Mittelstandes an. Sehen wir einmal auf die Unternehmen bis 100 oder 200 Millionen Euro  Umsatz und bis zu 250 oder vielleicht bis 499 Beschäftigten. Diese Unternehmen haben in der Regel keine großen Verwaltungseinheiten. Die haben anders als große, international tätige Unternehmen keine Rechtsabteilung usw. Das heißt: Die müssen solche Aufgaben nach außen abgeben. Alles, was in Deutschland regulatorisch gemacht wird, alle bürokratischen Anforderungen, müssten im Grunde aus der Sicht eines Mittelständlers betrachtet werden: Was belastet die Mittelständler? Denken Sie nur an das Antidiskriminierungsgesetz oder das Geldwäschegesetz – bei Großunternehmen kostet die Umsetzung zwar auch etwas, aber die haben intern Kapazitäten, um das umzusetzen – anders die Mittelständler. Daran gemessen ist die Politik nicht sonderlich mittelstandsfreundlich.

Das heißt: Die Politik redet vom Mittelstand, macht aber Gesetze mit Blick auf große Dax-Unternehmen?

Das ist schon typisch: Traditionell schaut man eher zu Großunternehmen. Was wir derzeit zur Vermögenssteuer hören, ist im Grunde ein Angriff auf den Mittelstand. Über 90 Prozent der mittelständischen Unternehmen sind als Personengesellschaften organisiert. Wie will der Gesetzgeber erreichen, dass wir diese Betriebsvermögen steuerlich anders behandeln als Privatvermögen? Selbst wenn die Politik dies schaffen würde, wäre da noch das Bundesverfassungsgericht, das dort wohl eine steuerliche Ungleichbehandlung von Vermögen sähe. Die Freibeträge, die angedacht sind, verhindern nicht, dass in schwierigeren ökonomischen Lagen durch eine Vermögenssteuer in die Substanz der Unternehmen eingegriffen wird. Das ist eine zentrale Gefährdung, die wir politisch vor uns haben.

Deutschland ist sehr stark mittelständisch organisiert – Vor- oder Nachteil?

Das ist eindeutig mehr Chance als Risiko. Mittelstand zeichnet sich ja in der Regel durch zwei Merkmale aus: die Größe – und damit die hohe Produktionsflexibilität. Sie können schneller reagieren. Dazu kommt zweitens die lange Geschichte der Familienunternehmen. Wir haben doch in Deutschland sehr viele Unternehmen, die 100, 200 oder gar 250 Jahre bestehen. Etwas Vergleichbares finden Sie zum Beispiel in Frankreich gar nicht. Das spricht für eine hohe Anpassungsfähigkeit und für in langen Jahren erworbene spezielle Kernkompetenzen. Die Familienunternehmen haben über die Zeit hinweg Marktstellungen erobert und sich immer wieder neu erfunden. Das erklärt auch, warum wir in der Krise Umsatzeinbrüche von 30 oder 40 Prozent auffangen konnten. Die mittelständische Struktur ist ein Grund, weshalb wir besser durch die Krise gekommen sind als viele Nachbarländer.

Bildlich gesprochen: Eine Flotte kleiner Schnellboote, die viel schneller umsteuern können als der große Tanker?

...und die den großen Tanker ganz flexibel begleiten und ihn mit dem versorgen, was er braucht. Denken Sie nur an die unzähligen mittelständischen Zulieferer der Automobilindustrie.

Wo sehen Sie derzeit die größten Probleme für den Mittelstand – auch mit Blick auf die Finanzierung und mit den neuen Vorschriften, die aus Europa auf uns zukommen?

Bisher sehen wir, dass die Finanzierung kein Problem darstellt. In Deutschland haben wir eindeutig keine Kreditklemme. Das zeigen alle Umfragen. Das Drei-Säulen-Modell – Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Kreditbanken – funktioniert so gut, dass in der ganzen Krise ab 2008 der Liquiditätskreislauf nicht gestört worden ist.

Und die neuen Regeln im Bankensektor?

Die werden sich weniger in den Kosten niederschlagen. Entscheidend ist, dass die neuen Liquiditätsregulierungen nach Basel III es den Banken erschweren, langfristige Finanzierungen zu machen. Und der Unternehmenskredit eines deutschen Mittelständlers ist in der Regel ein langfristiger, der über vier Jahre hinausgeht. Wir stehen da vor einem Strukturwandel der Finanzierung – das ist keine Bedrohung, aber doch eine Herausforderung. Denn das bedeutet, wenn dies nicht durch ander Finanzintermediäre, etwa Versicherungen, kompensiert wird, dass auch Mittelständler eher über Kapitalmarktprodukte nachdenken müssen: Mezzanine-Finanzierungen („stille“ Teilhaberschaften und Beteiligungen), Anleihen usw. Das ist ein schleichender Prozess, aber man muss sich wohl darauf vorbereiten.

Auf welches Produkt würden Sie als Mittelständler setzen?

Das muss der betreffende Mittelständler nach seinen Bedürfnissen entscheiden. Unternehmensanleihen sind derzeit auch von der Nachfrageseite, also dem Anlagebedarf her, sehr attraktiv. Das Problem ist: Wie können Sie kleine- und mittlere Unternehmen so bewerten, dass Investoren die Anleihen auch erwerben können? Insofern wird das möglicherweise eine veränderter Hausbankbeziehung sein, in der langfristige Finanzierungen dann stärker über marktmäßige Papiere dargestellt werden.

Wo sehen Sie weitere Gefahren?

Gefährlich wird die Energiewende, wenn nicht bald etwas passiert. Auf der einen Seite sehen sich die Mittelständler einer ständig steigenden EEG-Umlage für den Ökostrom gegenüber, auf der anderen Seite profitieren sie weniger stark als die Großindustrie von gesunkenen Strompreisen an den Börsen. Da haben wir ein erhebliches Problem, weil die Mittelständler keine Ausweichmöglichkeiten haben.

Wie stark ist denn der Mittelstand davon betroffen?

Wir haben häufig im Mittelstand energieintensive Prozesse – etwa in der Grundstoffindustrie. Das sind Dinge, die wir dringend in Deutschland benötigen. Die Wertschöpfungskette fängt nicht mit der Maschine an, sondern mit dem Material. In diesen energieintensiven Branchen haben wir seit 2010 eine Desinvestition, das heißt, die Investitionen reichen nicht mehr aus, um die Abschreibungen auszugleichen. Das Schlimmste ist: Nach unseren Umfragen sind 80 Prozent der Unternehmen tief verunsichert über die Perspektive der Energiewende, weil sie nicht sehen, wie das gemanagt werden kann. Es sind bereits zwei Jahre ins Land gezogen und die Politik lässt es laufen. Die EEG-Umlage steigt zum 1. Januar 2014 von 5,3 auf 6,0 bis 7,0 Cent. Wenn dann noch die Ausnahmen für energieintensive Betriebe in Frage gestellt werden, haben wir echt ein Problem. Das muss uns Sorgen machen: Hier ist etwas begonnen worden, das im extremsten Fall das Ende des Geschäftsmodell Deutschland bedeuten kann.

Was müsste getan werden?

Wir brauchen dringend die Strompreisbremse, um einen weiteren Anstieg der EEG-Umlage zu verhindern. Aber die ist ja leider gescheitert. Man müsste dann spätestens 2014 strukturell an das Erneuerbare Energien Gesetz heran, das durch seine Förderlogik immer teurer wird. Wir haben zwar die Vergütungssätze in einzelnen Technologien gesenkt, aber dadurch, dass der Trend zur teureren Technologien geht – von Windkraft an Land zum Wind auf See und zur Photovoltaik – steigen die Kosten immer weiter an. Man kann die Energiewende auch anders, nämlich preiswerter, organisieren. Nur wird vor der Bundestagswahl nichts passieren. Es läuft uns kostbare Zeit weg.

Welche Chancen sehen sie in den nächsten Jahren für den deutschen Mittelstand?

In den USA, aber auch in Spanien, gibt es einen Trend zur Reindustrialisierung. Dafür haben unsere Mittelständler genau die richtigen Produkte. Auch von einer Industrialisierung Griechenlands könnten wir mittelfristig profitieren. Das große Interesse ausländischer Investoren am deutschen Mittelstand zeigt, dass das keine isolierte nationale Bewertung ist.

Zum Interview auf der Website der Westfälischen Nachrichten

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