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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 23. April 2018

Weltwirtschaft: „Deutschland verzerrt keine Preise”

IW-Direktor Michael Hüther hat die internationale Kritik an Deutschlands Handelspolitik zurückgewiesen. Deutschland sei ein Hochlohnland und bringe hochpreisige Produkte in den Weltmarkt, sagte er im Deutschlandfunk. Zudem investiere Deutschland viel Kapital im Ausland.

Die großen Warnungen gehören in diesen Monaten bei den Finanzexperten irgendwie dazu, die Warnungen vor einer zu hohen Verschuldung weltweit, die alles wieder ins Wanken bringen könnte, vor allem die immensen Schulden der USA, angezettelt durch die Steuerreform von Donald Trump. Doch dann kommt gleich Deutschland: Vorwürfe gegen Berlin, Vorwürfe an die Adresse der Bundesregierung, die sich Olaf Scholz nun in Washington beim Frühjahrstreffen des Internationalen Währungsfonds anhören musste. Zu wenig Investitionen, heißt es da, zu wenig Ausgaben, zu groß der Handelsüberschuss. Vor allem die Amerikaner formulieren das so klar und deutlich immer wieder, aber auch IWF-Chefin Christine Lagarde. Sparen ist die Tugend, antwortet Olaf Scholz, und verlässt die Tagung frühzeitig. Er muss Andrea Nahles wählen beim SPD-Parteitag in Wiesbaden. Ob seine Stimme bei dem Ergebnis so wichtig war? Herr Hüther, ist Olaf Scholz mehr Parteisoldat denn Finanzminister?

Na ja, dass er diese Pflicht auch wahrnehmen muss, bei seiner ja nicht ganz einfachen Rolle auch in der SPD und auch der Themen, die er dort zu vertreten hat, kann man schon erkennen. Ich glaube auch, dass es erst mal wichtig war, dass er sich in Washington eingeführt hat und dass er auch ein paar wesentliche inhaltliche Markierungen vorgenommen hat, die ja nicht so unterschiedlich zu denen waren, die sein Vorgänger schon vorgenommen hatte.

Alle anderen sind drei Tage geblieben, er verlässt Washington gleich nach einem Tag. Ist das gut?

Na ja, das ist auch ein Dilemma. Aber ich glaube, das ist am Ende des Tages nicht die entscheidende politische Frage. Entscheidend ist, mit welchen Antworten er den von Ihnen ja am Eingang genannten kritischen Positionen auch begegnet, und er hat ja deutlich gemacht, dass an der Frage der Haushaltskonsolidierung und Sanierung in Deutschland nicht gerüttelt wird.

Ist das so, wie viele Kritiker sagen, die schwarze Null wird von der Bundesregierung wie eine heilige Monstranz hochgehalten?

Na ja, heilige Monstranz ist das eine. Wir wissen aber auch, was passieren kann, wenn die Wirtschaft abdreht, und wie schnell dann die Finanzpolitik überfordert ist und in Defizite hineinläuft, mit denen sie nicht zurechtkommt. Und das ist ja eigentlich der tiefere Sinn der Veranstaltung, dass man jetzt in Zeiten, in denen die Wirtschaft gut läuft, auch den Haushalt saniert. Man kann immer fragen, ist da jeder Millimeter richtig vermessen, aber im Grunde geht es darum: Wir haben mehrere Risiken. Wir haben Risiken, unabhängig von der Konjunktur, wenn die Zinsen sich normalisieren, mit entsprechenden Belastungen im Bundeshaushalt und in den Haushalten der Länder und Kommunen. Wir haben Risiken aus der Demographie. Die Große Koalition hat ja großartige Dinge vor, die allerdings sich nur so lange rechnen, wie die Demographie noch stabil bleibt, also noch etwa die nächsten fünf Jahre. Und wir haben dann die Konjunktur.

Großartig in Anführung, oder meinen Sie das ernsthaft?

Ich weiß, man muss die Anführungsstriche mitdenken und mitreden.

Herr Hüther, dennoch: Wenn Deutschland spart, auf Konsolidierung setzt und die schwarze Null letztendlich als absolutes Kriterium setzt, und alle anderen im Westen, aber auch China selbst in Südostasien kritisieren das, sehen das anders, sagen, wir müssen mehr tun, die Deutschen sollen mehr tun, die Bundesregierung, für Investitionen, für Ausgaben, haben die alle Unrecht?

Na ja, es geht nicht darum, dass sie alle Unrecht haben, sondern die Frage, in welchem Ausmaß. Es ist ja vorgesehen, die Investitionen hochzufahren. Es ist gelungen in den letzten Jahren, die Ausgaben in der Bundesrepublik für Forschung und Entwicklung von zweieinhalb auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochzufahren. Das Ziel ist jetzt bei 3,5 Prozent verankert. Das wird enorme finanzielle Anstrengungen auch des Staates voraussetzen. Es sind entsprechende Investitionen in die Infrastruktur vorgesehen. Man kann immer fragen, hätten wir das nicht schon längst mal alles stärker forcieren können – das ist richtig. Aber es geht hier nicht um Beträge, die letztlich die Weltwirtschaft in eine andere Dimension bringen. Wir müssen ja mal sehen: Der Währungsfonds geht von 3,9 Prozent Wachstum in diesem und im nächsten Jahr aus. Das ist sehr robust. Insofern bleibt die Frage, was ist da eigentlich die Aufgabe Deutschlands. Es ist die Aufgabe, Wachstumsimpulse zu setzen, und da kann man nun nicht klagen. Wir sind bei zwei Prozent.

Aber können wir das mit zwei Prozent oder 2,5 Prozent Wachstum?

Wir sind ja nicht China. Wir sind ja eine ausgewachsene Ökonomie mit einer etablierten industriellen Basis. Und wenn Sie das mal vergleichen mit anderen Europäern, dann ist es schon bedeutsam, dass die Bundesrepublik mit diesem stabilen Maß läuft. Das ist unerwartet gewesen vor einigen Jahren. Und zweitens: Wir haben einen hohen und dynamischen Beschäftigungsaufbau, der ja letztlich auch der enorme Hebel ist oder der eigentliche Hebel ist, die Importe zu stärken, die Nachfrage der Konsumenten. Die letztlich hat ja die große Mengenwirkung auch über die Importe und insofern läuft das auf diese Weise schon ganz richtig.

Christine Lagarde hat ja als französische Finanzministerin wie jetzt auch als IWF-Chefin immer wieder dieses Thema Handelsbilanzüberschuss aufgegriffen. Das ist auch das große Thema von Donald Trump. Das ist auch ein Grund für Strafzölle, die eventuell dann doch auf Europa zukommen. Am 1. Mai ist ja dort die Entscheidungsfrist. In wenigen Tagen läuft das dann ab. Die Kanzlerin fährt nach Washington, versucht, dafür zu werben, dass Europa nach wie vor außen vor bleibt. Aber wenn Sie das jetzt von außen versuchen, noch einmal zu betrachten, ist Deutschland im Wettbewerb wirklich fair?

Ich sehe nicht, dass wir irgendwelche Preise verzerren, dass wir ein Dumping organisieren. Wir sind ein Hochlohnland – unverändert -, und die Produkte, die wir in die Weltmärkte bringen, sind hochpreisige Produkte. Wir sind spezialisiert im Bereich der Industrie, so wie sie vielfach andere nicht mehr haben, und das macht derzeit diese Marktposition aus.

Man darf auch nicht vergessen: Dem Handel geht voran, dass wir international viel Kapital investieren. Die Deutschen investieren mehr Kapital im Ausland als umgekehrt. Auch das ist durchaus richtig und wichtig, weil es auch einer Demographie einer alternden Gesellschaft entspricht. Wir tun da schon Wesentliches und die Vorwürfe, die seit – Sie haben es erwähnt – längerer Zeit, seit 2010 eigentlich kommen, werden ja nicht dadurch richtiger, dass Donald Trump sie auch noch mal formuliert. Es geht hier letztlich um die Frage – und das ist der viel entscheidendere Punkt -, sind wir in der Lage, den internationalen Handel offenzuhalten, Freihandel weiterhin multilateral geregelt zum Leitbild unserer weltwirtschaftlichen Kooperation zu nehmen. Das ist der entscheidende Punkt. Grenzen dicht machen ändert auch nichts an solchen differenzierten Gleichgewichten, wie wir sie hier haben.

Aber der Überschuss ist da, weil wir so gut sind?

Weil wir A in der Welt investieren, mehr als zuhause. Man kann sagen, ob die Investitionsströme sich ändern sollten. Aber das folgt ja auch den Investitionsmöglichkeiten der Welt. Und zweitens: Wir haben ein Portfolio an Produkten, das ganz besonders in der Welt und im Augenblick attraktiv ist. Es ist ja so, wenn sie sich die Tatsache anschauen: Zwei Drittel der hidden Champions im Bereich des Industriedienstleistungsverbundes weltweit sitzen in Deutschland. Das hat natürlich auch Auswirkungen.

Wenn wir über den Euro noch einmal reden, da sagt ja auch nicht nur Washington, der Euro ist immer noch vergleichsweise preiswert, billig, weil er sehr stark abgestürzt war vor fünf, sechs Jahren, und er hat jetzt ein bisschen zugelegt. Er ist immer noch unter dem Ausgangsniveau. Ist das so, dass der Euro immer noch ein Geschenk ist für die Europäer, zumindest zu exportieren?

Es gibt da vielfach die These in der Tat, dass, wenn Deutschland nicht den Euro hätte, wir mit der D-Mark eine etwas andere Position hätten. Ja, das kann man so sehen. Aber ich darf erinnern an die Schweiz, die als ebenfalls Hochlohn-Land mit Aufwertungen auch nicht einen Einbruch ihrer Exportüberschuss-Position erlebt hat. Das muss man sich dann sehr viel genauer anschauen. Denn es kann ja bedeuten, dass man zwar dann im Ausland höhere Preise zu zahlen hat, weil der Wechselkurs sich anders darstellt, aber man trotzdem die Waren nachfragt, weil man sie woanders nicht bekommt. Man muss schon erklären, warum ein Land wie die Schweiz nachhaltig mit Aufwertungsdruck so sich aufstellen kann. Es zeigt: Das ist nicht so ganz einfach, wie es immer beschrieben wird.

Dann ist der Euro aber im umgekehrten Sinne auch kein Argument wert, wenn Sie sagen, die Deutschen exportieren ohnehin, weil die Produkte gut sind?

Ja. Das würde sicher, wenn er sich ändern würde, am Rande etwas ändern, aber nicht in der Substanz dessen, was wir im Augenblick beobachten. Und man muss einfach sehen: Was steht denn hinter dem Euro? – Eine Politik der Europäischen Zentralbank, die die Zinsen niedrig hält, weil wir, so Ihre Interpretation, ein Risiko eher in zu geringen Inflationsraten als in zu hohen Inflationsraten haben, und das führt im Vergleich zu den USA, wo die Zinswende eingeschritten ist und begonnen hat, natürlich dann auch zu anderen Kapitalbewegungen.

Reicht Mario Draghi jetzt?

Na ja, es reicht dann irgendwann, wenn man sieht, dass man den Pfad angestoßen hat, den man anstoßen wollte, und wenn die Kollateraleffekte zunehmen. Irgendwann wird es halt schwierig, beispielsweise in Anleihemärkten überhaupt noch entsprechende Qualitäten zu bekommen. Deswegen wird die Europäische Zentralbank im Herbst mit dem Aufkaufprogramm schlicht und ergreifend aufhören müssen, weil sie die Qualitäten nicht mehr bekommt. Und dann ist die eigentliche Frage, wie kommt man aus so niedrigen Niveaus sukzessive in Minischrittchen, in Trippelschrittchen nach oben, ohne Kapitalmärkte, Bankbilanzen und andere Positionen zu stören.

Zum Interview auf deutschlandfunk.de

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