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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther im Kölner-Stadtanzeiger Interview 15. Dezember 2018

„Da ist Sand im Getriebe“

Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht IW-Direktor Michael Hüther über die Folgen der „Gelbwesten“-Proteste in Frankreich, den Brexit und die Gründe für den Rechtsruck in Deutschland und Europa.

Herr Hüther, in Europa rumort es: In Frankreich gibt es heftige Proteste, mit Italien Streit um Schulden und natürlich den Brexit: Wie bekommt das die Wirtschaft zu spüren?

Das alles sorgt für Verunsicherung. Wie auch der Konflikt der USA mit China bei Handelsfragen ist das Sand im Getriebe, der nicht dazu geeignet ist, Investitionen anzuregen. Das drückt sich auch in einer Verlangsamung, einem Luftholen der Konjunktur aus.

Folge der "Gelbwesten"-Proteste ist wohl, dass Frankreich mehr als drei Prozent Neuverschuldung erreicht und so die EU-Regeln bricht. Welche Folgen hat das?

Frankreich ist ein schwieriger Fall: Seit 20 Jahren gibt es Versuche, die Wirtschaft stärker in Gang zu bringen. Das ist nicht nachhaltig gelungen. Emmanuel Macron versucht es nun mit Reformen, die in Deutschland schon gewirkt haben, trifft aber auf andere Widerstände. Die Situation ist dazu angetan, die Fiskal-Regeln der EU in Frage zu stellen. Denn ihre Glaubwürdigkeit ist betroffen.

In der EU gibt es für solche Verstöße keine schmerzlichen Sanktionen. Das Problem liegt darin, dass die Souveränität unverändert auf nationaler Ebene liegt. Die EU kann nur Regeln setzen, ihre Mitglieder aber kaum disziplinieren.

Der Weg zum Brexit wird immer holpriger, aber wir kommen stetig näher. Ist inzwischen besser abzusehen, wie die deutsche Wirtschaft betroffen sein wird?

Die Zölle werden natürlich Effekte haben. Unseren aktuellen Berechnungen zufolge müssten bei WTO-Zöllen die EU-Unternehmen insgesamt zehn Milliarden Euro an Großbritannien zahlen, die britischen wiederum fünf Milliarden an die EU. Von den zehn Milliarden Euro an Großbritannien kämen etwa 3,1 Milliarden aus Deutschland - davon wiederum zwei Milliarden Euro von der Automobilindustrie. Daraus ergeben sich natürlich Konsequenzen, zum Beispiel die Verlagerung von Produktionskapazitäten von Großbritannien in andere Regionen.

Zwei Milliarden Euro wären für die deutsche Automobilindustrie gut zu verkraften: VW alleine verdiente 2017 immerhin 11,4 Milliarden Euro.

Zu verkraften ist das schon, führt aber natürlich zu Preis- und Standorteffekten. Die eigentliche Frage ist doch, welche Brexit-Lösung in Großbritannien derzeit überhaupt mehrheitsfähig ist. Eine zu finden, die sowohl Labour als auch den Tories zusagt, ähnelt einer Quadratur des Kreises.

Der Brexit verläuft so chaotisch und abschreckend, dass der 2016 befürchtete Dominoeffekt in anderen Ländern ausbleiben dürfte.

Ja, es hat keinen Sogeffekt gegeben oder eine Auflösung der europäischen Positionen. Die Briten erleben, dass es nicht besonders spaßig ist, die wechselseitige Solidaritätsverpflichtung aufzukündigen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Stopp von Anleiheankäufen verkündet, der Leitzins bleibt hingegen bei null. Wie werden sich die Zinsen entwickeln?

Ich erwarte, dass die Zinsen im Laufe des kommenden Jahres in sehr niedrigem Maß steigen. Bis 2025 werden es kaum mehr als 1,5 Prozent sein.

EZB-Chef Mario Draghi zeigt sich hinsichtlich der europäischen Konjunktur wenig zuversichtlich, sämtliche Institutionen prognostizieren ein schwächeres Wirtschaftswachstum. Bahnt sich eine Rezession an?

Wir haben eine Abschwächung, gehen aber davon aus, dass sich die Wirtschaft auf niedrigerem Niveau stabilisiert. Seitens der internationalen Konjunktur gibt es keine Signale, die auf eine Rezession hindeuten. Wir befinden uns in einer Phase des Atemholens, des Übergangs.

Zahlreiche deutsche Konzerne - etwa Bayer und Thyssenkrupp - setzen Sparprogramme auf. Viele bauen Stellen ab. Rüsten sich die Unternehmen so für kommende Krisen?

Es ist immer richtig, in stabilen Zeiten Vorsorge für die Zukunft zu treffen. Das sind keine Anzeichen einer konjunkturellen Krise, sondern strukturelle Anpassungen, die vor allem durch die beschleunigte Digitalisierung notwendig sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

In Zeiten der Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung hat es in Deutschland und Europa einen Rechtsruck gegeben. Nimmt er noch stärker zu, wenn sich die Wirtschaft abschwächt und die Arbeitslosigkeit steigt?

Die Stimmung ist jetzt labiler als zu Zeiten, in denen wir 5,3 Millionen Arbeitslose hatten. Der Rechtsruck hat aber andere Hintergründe: Er entspringt einem Gefühl des Kontrollverlusts, verursacht durch die Finanzkrise und den Zustrom von Flüchtlingen. Leider gibt es Politiker, die diese Stimmung versuchen auszunutzen und Dinge salonfähig zu machen, die nicht salonfähig sein sollten. Und das in einer Zeit, in der es nicht nur unserem Land besser geht als jemals zuvor, sondern auch die Bürger zufriedener sind denn je.

Kann auch die Wirtschaft ihren Beitrag leisten, dieses Problem zu lösen?

Es ist alles eine Frage der Haltung der demokratischen Kräfte. Wir haben glücklicherweise Führungskräfte in der Wirtschaft, die sehr deutlich Stellung beziehen, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer zum Beispiel. Ich halte das für vorbildhaft.

Zum Interview auf ksta.de

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