Rund die Hälfte der Haushalte in Deutschland müssten ihren Konsum wegen der derzeit hohen Inflation spürbar einschränken, erklärt IW-Ökonom Martin Beznoska im Interview mit dem Online-Magazin TextilWirtschaft.
Inflation: „Alle sind ärmer geworden”
Nach plus 7,3% im März hat die Inflation im April 7,4% zugelegt. Was bedeutet die steigende Inflation für den Modekonsum?
Bei Bekleidung ist natürlich auch ein Preiseffekt zu sehen, aber noch nicht so stark. Die Verteuerung von Februar auf März um 2,7% etwa war wohl noch ein normaler Saisoneffekt. Der Modekonsum wird aber von den Preisentwicklungen der anderen Güter beeinflusst. Die stark gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise belasten die Konsumenten.
Was heißt das konkret?
Alle sind ärmer geworden. Die Inflationsrate wird dieses Jahr sicherlich bei über 6% liegen, im Vergleich zum April 2021 sind es schon jetzt über 7%. Die Konsumenten werden um diesen Wert ärmer. Dieser Einkommenseffekt wirkt sich auf den gesamten Konsum und damit auch auf den Modekonsum aus. Mode hat dabei einen höheren Einkommenseffekt als etwa Güter des täglichen Gebrauchs. Das heißt, wenn das Einkommen steigt, wird mehr Mode gekauft und umgekehrt. Es ist jetzt also ein negativer Effekt zu erwarten.
Die Wirkung des Preiseffekts auf den Modekonsum ist hingegen eher niedrig. Auch gerade, weil die Preise für andere langlebige Gebrauchsgüter wie Möbel, Freizeitgüter, Elektronik- und Sportartikel, Spielwaren noch stärker angezogen haben. Im Vergleich dazu, ist Bekleidung sozusagen eher billiger geworden.
Welche Verbrauchergruppen trifft die steigende Inflation wie stark und was bedeutet das konkret für den Modekonsum?
Besonders getroffen sind die Haushalte mit niedrigeren Einkommen, dazu zählen etwa auch viele Rentner. Die einkommensstärkeren Haushalte trifft es hingegen nicht so stark. Unterschiedliche Effekte sind aber nicht nur bei der Unterscheidung nach Einkommen zu sehen. Gerade Pendler im ländlichen Bereich, die auf das Auto angewiesen sind, haben natürlich höhere Einbußen als Stadtbewohner, die eher mit Fahrrad und Bahn unterwegs sind. In den ländlichen Bereichen, in denen man zum Einkaufen fahren muss, würde ich einen stärkeren Effekt erwarten als in den Innenstädten.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Haushalte, die ihren Modekonsum ändern müssen?
Bei Haushalten mit niedrigeren Einkommen - bei Single-Haushalten liegt die Grenze bei knapp 1600 Euro netto, bei Familien mit zwei Kindern unter 3300 Euro netto - belaufen sich die Ausgaben für Bekleidung und Schuhe auf rund 3-4% ihres verfügbaren Einkommens. Dazu gehören gut 30% der rund 40 Millionen Haushalte in Deutschland. Aber auch die Haushalte, die einkommensmäßig etwas über diesen Grenzen liegen, werden aufgrund der Inflation ihren Konsum spürbar einschränken müssen. Da reden wir dann schon von der Hälfte aller Haushalte hierzulande.
Lässt sich beziffern wie viel weniger die Verbraucherinnen und Verbraucher für Mode in diesem Jahr ausgeben werden?
Ich würde erwarten, dass der Anteil an den Konsumausgaben für Bekleidung und Schuhe - laut Statistischem Bundesamt liegt dieser bei rund 4,5% - konstant bleibt. Allerdings wird das Konsumbudget insgesamt schrumpfen.
Wie stark?
Wenn die Inflationsrate bei 7% liegt und die Lohnsteigerungen, sagen wir mal, bei 3%, dann heißt das, dass die Konsumenten im Schnitt 4% ärmer werden. Dann würde ich erwarten, dass auch der Konsum für Bekleidung und Schuhe ungefähr um 4% zurückgehen. Dazu kommt, dass die Verbraucher in Deutschland insgesamt recht preissensibel sind.
Eine solch hohe Inflation gab es seit fast 40 Jahren nicht mehr. Inwieweit lässt sich das Anpassungsverhalten der Konsumenten überhaupt vorhersagen?
Das ist in der Tat schwierig. Ich denke aber, sicher ist, dass die Konsumenten erwarten, dass die Inflation erst einmal hoch bleibt und sie dementsprechend ihr Konsumverhalten anpassen. Nicht absehbar ist, inwieweit es Lohnanpassungen geben wird.
In den vergangenen zwei Jahren war die Sparquote extrem hoch. Inwieweit kann das jetzt die Auswirkungen der Inflation dämpfen?
Das kann schon einen positiven Effekt auf den Modekonsum haben. Dadurch, dass wieder mehr geschäftliche und private Anlässe stattfinden, ist auch der Bedarf an neuer Bekleidung wieder höher. Allerdings wird es einen solchen Effekt nur bei den Haushalten geben, die etwas zurücklegen konnten. Und das sind diejenigen, die sowieso eher weniger von der Inflation betroffen sind.
Inwieweit werden die Verbraucher aus Angst vor weiter steigenden Preisen bestimmte Anschaffungen vorziehen? Oder wird das Geld eher gehortet?
Bei Toilettenpapier und Sonnenblumenöl haben wir ein solches Kaufverhalten gesehen, aber das waren eher Panikkäufe. Wenn jetzt keine Schiffe mehr aus Asien kommen und es keinen Nachschub gibt, dann könnte es auch bei Gebrauchsgütern zu Verknappungen kommen. Bei Heimtextilien sieht man das schon, bei Gardinenstoffen und Bettwäsche sind die Preise deutlich stärker gestiegen als bei Bekleidung.
Wie stark sind die Auswirkungen der steigenden Preise in den Vorstufen auf die Preisgestaltung im Einzelhandel?
Diese führen wie die Lieferengpässe natürlich zu Preissteigerungen. Wenn es bei Bekleidung etwa zu ähnlichen Lieferengpässen wie bei Elektronikartikeln kommt, wird es weitere Preiseffekte geben.
Welche Risiken sehen Sie in Bezug auf die Inflationsentwicklung?
Natürlich den Krieg in der Ukraine, aber eben auch die sich weiter verschärfenden Probleme bei den Warenlieferungen. Und nicht zu vergessen, eine mögliche Verschärfung der Corona-Lage im Herbst.
Stellt auch die Einführung des Mindestlohns ein Inflationsrisiko dar?
Klar, Lohnerhöhungen können immer einen zusätzlichen Preiseeffekt haben, weil die Unternehmen die gestiegenen Personalkosten weitergeben müssen. Das gilt vor allem für Branchen, die sehr kostensensitiv sind. Es kommt extrem darauf an, in welcher Branche die Löhne steigen. Auch die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale droht, so dass sich die hohe Inflation verfestigen kann. Das birgt ein wirtschaftliches Risiko. Wenn die Abschlüsse jedoch moderat bleiben, sollte kein Inflationsschock dazu kommen.
Prognosen sind derzeit schwierig, aber was erwarten Sie bei der Preisentwicklung in der zweiten Jahreshälfte?
Tendenziell erwarte ich, dass sich die Raten stabilisieren und über den Sommer wieder etwas zurückgehen. Zumal die zweite Jahreshälfte 2021 bereits von Energiepreiseffekten geprägt war. Im Schnitt wird die Inflation meiner Meinung nach bei maximal 7% landen. Aber man weiß natürlich nicht, was noch passiert. Diese Unsicherheit wird uns wohl weiter begleiten. Im Herbst 2021 hatten wir für das Jahr 2022 noch eine deutliche Konsumerholung angenommen und über 3% Wachstum prognostiziert. Diese Prognose haben wir jetzt halbiert.
Zum Interview auf textilwirtschaft.de.
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