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(© Foto: Friedberg - Fotolia)
Michael Hüther auf Focus Online Interview 28. August 2011

Kommt jetzt die Rezession, Herr Hüther?

IW-Direktor Michael Hüther äußert sich im FOCUS-Online-Interview über die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, starke deutsche Branchen, die Bedeutung der Schwellenländer und Inflationsängste.

Deutschland schwächelt. Nur um 0,1 Prozent stieg das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorquartal. Folgt eine Rezession?

Nein, die schwache Entwicklung im zweiten Quartal ist nicht der Beginn einer Rezession. Es kommen mehrere Normalisierungsprozesse zusammen. Zum Beispiel die schnelle Korrektur nach der Krise. Schwach war der private Konsum. Hier wirken sich die Finanzmarktveränderungen und die Schuldenkrise aus. Die Verunsicherung der Bürger steigt. Aber die Mechanik des Aufschwungs über Exporte und Investitionen läuft weiter.

Und zwar wie?

Ich denke, dass wir im dritten und vierten Quartal wieder mehr Wachstum verzeichnen. Wir haben Entlastungen durch moderate Ölpreise, was die Importrechnung angeht. Die Unternehmen verzeichnen außerdem stabile Auftragseingänge und -bestände. Selbst die Beschäftigungsabsichten sind robust. Was hinter den Aggregaten Export, Investition und Konsum steht, ist positiv und bricht nicht ab.

Das heißt am Ende?

Am Jahresende werden wir im Schnitt eine knappe Drei vor dem BIP-Wachstum sehen. Für 2012 gehe ich von einem Wachstum im Korridor einer Zwei aus.

War allein der private Konsum schuld am schwachen zweiten Quartal?

Auch die Importe waren höher. Trotz einer kräftigen Exportentwicklung war die Gegenposition stark. Das liegt an den höheren Preisen für die Rohstoffe, die wir ja in hohem Maße benötigen.

Welche Branchen sind abgekühlt, oder welche verstärken das Wachstum?

Die klassischen Industriebranchen wie den Maschinenbau, die Elektrotechnik, die Chemie oder den Fahrzeugbau sehe ich unverändert positiv. Das sind die Branchen, die in hohem Maße vom Aufholprozess der Schwellenländer profitieren. Der Bau hat im zweiten Quartal geschwächelt. Aber hier sollte sich die Lage wieder stabilisieren.

Auch Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande stagnieren oder wachsen nur minimal. Ist die Politik jetzt machtlos? Eine Finanzspritze dürfte ausfallen . . .

Wir sollten auch nicht mit einer Finanzspritze helfen. Wir haben ja jetzt keine Nachfrageprobleme. Sondern es zeigt sich, dass Volkswirtschaften unterschiedliche Probleme im Strukturwandel lösen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen befördern müssen. Die Themen müssen ausgeschwitzt werden, sie sind nicht durch Politik zu kurieren. Die Politik muss auf gute Standortkriterien achten.

Die Schuldenberge der Staaten drücken die Wirtschaft. Können wir uns die Sparprogramme überhaupt leisten?

Wir sind in einem Dilemma. Das Problem ist, dass viele Länder nach der Krise die expansive Politik zu lange fortführten. Jetzt müssen wir die Staatsschuldenquote verlässlich zurückführen. Das signalisieren uns auch die Kapitalmärkte. Deren Grundbotschaft ist, dass sie völlig schuldenintolerant geworden sind. Aber das benötigt Zeit und ist die Aufgabe für eine Dekade. Eine Vollbremsung wäre fatal.

Deutschland, Euro-Land und die USA schwächeln – droht jetzt die Weltwirtschaftskrise Teil 2?

Eine konjunkturelle Bereinigung hat nichts mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun. Bei der Weltwirtschaftskrise 08/09 gab es ein unerwartetes Ereignis, die Lehman-Pleite. Jetzt in einer konjunkturellen Atempause sehen wir nichts Vergleichbares. Wir dürfen auch den Beitrag der Schwellenländer nicht unterschätzen. Sie haben ein ganz anderes Gewicht als früher. Und sie sind selbst in der Krise relativ robust durchgekommen.

Sind die Schwellenländer also der Hoffnungsschimmer?

Ja, sie zeigen stabil steigende Impulse für die Weltwirtschaft. Wir gehen davon aus, dass die BRIC-Staaten bis 2015 etwa 30 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung ausmachen. Die Entwicklungen sind durch den Nachholbedarf relativ unabhängig von der Konjunktur. Sei es in der Infrastruktur oder dem Baubereich.

Bisher plagte die Menschen in Deutschland eher die Angst vor einer Inflation. Dreht sich nun das Rad?

Ich habe diese Inflationsbefürchtungen angesichts der Handlungsfähigkeit der Geldpolitik immer für recht überzogen gehalten. Die Notenbank wird die Inflation dämmen, und damit werden wir wieder ein hohes Maß an Preisniveaustabilität haben. Deutschland bleibt eine kräftige Volkswirtschaft in Europa.

Keine japanischen Verhältnisse mit hohen Schulden und Miniwachstum?

Das sehe ich nicht. Vor allem nicht wegen der Einbettung Europas in die Weltwirtschaft und der Anbindung an die Entwicklungen in den Schwellenländern.

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